Verschärfung des Asylrechts

So reagieren Parteien und EU-Staaten auf den Asylkompromiss

Regierungssprecher Steffen Hebestreit erläuterte die Haltung der Bundesregierung zum EU-Asylkompromiss.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit erläuterte die Haltung der Bundesregierung zum EU-Asylkompromiss.

Berlin. Die Bundesregierung hat den EU-Asylkompromiss begrüßt, zugleich aber bedauert, dass sich Deutschland mit seiner Position zu Familien mit minderjährigen Kindern nicht durchsetzen konnte. Es sei ein Wert, dass Europa zu einer gemeinsamen Haltung gefunden habe, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag in Berlin. „Das ist kein kleiner Schritt, aber (...) es gab auch manche bittere Pille zu schlucken.“ Die Bundesregierung sei zuversichtlich, dass es im Trilog mit EU-Kommission und Europäischem Parlament noch gelingen werde, eine Verbesserung zu bewerkstelligen.

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Die EU-Staaten hatten am Donnerstag in Luxemburg mit einer ausreichend großen Mehrheit für umfassende Reformpläne gestimmt. Vorgesehen ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive. So sollen ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen.

Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden. Denkbar ist aber, dass das EU-Parlament noch Änderungen durchsetzt. Es hat bei der Reform ein Mitspracherecht und wird in den kommenden Monaten mit Vertretern der EU-Staaten über das Projekt verhandeln.

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Familien mit Kindern sind nicht ausgenommen

Die Bundesregierung hatte sich in den Verhandlungen nachdrücklich dafür eingesetzt, dass Familien mit Kindern von den sogenannten Grenzverfahren ausgenommen werden. Um den Durchbruch zu ermöglichen, musste sie aber akzeptieren, dass dies doch möglich sein könnte.

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Das bisherige Asylsystem in Europa habe nicht mehr funktioniert, sagte Regierungssprecher Hebestreit. Beim Treffen der EU-Innenminister in Luxemburg sei ein wichtiger Schritt gelungen, „nämlich eine gemeinsame solidarische Lösung in dieser Frage hinzukriegen, die vielen Dingen gerecht wird“. Das gelte für die Anrainerstaaten des Mittelmeeres, die mit einer massiven Flüchtlingswelle konfrontiert seien und damit nicht allein gelassen werden wollten. Andererseits wolle man auch nicht akzeptieren, dass unregistrierte Flüchtlinge durch Europa reisen. Hier müsse es wieder ordentliche Verfahren geben.

Ungarn: „Mit Gewalt“ Migranten verteilen

Die ungarische Regierung hat hingegen erwartungsgemäß kritisch auf die Einigung der EU-Staaten auf eine Verschärfung der Asylregeln reagiert. „Brüssel missbraucht seine Macht und will um jeden Preis jedes Land in Europa zum Einwanderungsland machen“, sagte der parlamentarische Staatssekretär im ungarischen Innenministerium, Bence Retvari, am Freitag im ungarischen Staatsfernsehen. Brüssel wolle nun „mit Gewalt“ Migranten verteilen.

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„Brüssel missbraucht seine Macht und will um jeden Preis jedes Land in Europa zum Einwanderungsland machen“

Bence Retvari, Staatssekretär im Innenministerium von Ungarn

Wenn Ungarn sich weigere, Flüchtlinge aufzunehmen, müsse das Land zur Strafe acht Millionen Forint (rund 21.000 Euro) pro Flüchtling an Brüssel bezahlen. Die EU erkenne nicht an, dass Ungarn die EU-Außengrenze schütze und weigere sich, die entsprechenden Kosten von 1,5 Milliarden Euro zu bezahlen, sagte Retvari mit Bezug auf den von Ungarn 2015 erbauten Grenzzaun an der Grenze zu Serbien.

Italien begrüßt vor allem Ausgleichszahlungen

Die italienische Regierung hat sich mit der Einigung der EU-Staaten auf eine Verschärfung der europäischen Asylregeln zufrieden gezeigt. Italien sei es bei dem Treffen der EU-Innenminister gelungen, seine Position zu halten sowie einen „Konsens zu allen seinen Vorschlägen“ zu erzielen, sagte der italienische Innenminister Matteo Piantedosi am späten Donnerstagabend der Zeitung „Corriere della Sera“. „Wir sind zufrieden. Es ist ein wichtiger Tag, aber es ist ein Anfang.“

Italien habe insbesondere abwenden können, dass Ersteinreiseländer dafür bezahlt werden, irreguläre Migranten auf ihrem Territorium zu behalten, sagte er. Das habe Italien nicht akzeptiert, weil es als „Gründungsmitglied der Union seine Würde hat“. Die Regierung befürworte deswegen den Mechanismus der Entschädigungszahlungen. „Italien wird nicht das Auffanglager Europas sein.“

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Die beschlossenen Pläne sehen unter anderem mehr Solidarität mit den stark belasteten Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen vor. Sie soll nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen werden. Von dieser Solidaritätspflicht könnten Länder wie Italien profitieren. Nach offiziellen Zahlen des Innenministeriums in Rom erreichten seit Beginn des Jahres mehr als 53.600 Migranten Italien auf Booten - im Vorjahreszeitraum waren es rund 21.200.

Nord-SPD über massive Kritik

Die Verständigung der EU-Innenminister auf eine Asylreform stößt bei der SPD in Schleswig-Holstein auf massive Kritik. Die Einigung habe bereits unzureichende Vorschläge der Europäischen Kommission verschärft, erklärte am Freitag die Landesvorsitzende Serpil Midyatli. Als Beispiele nannte sie eine Ausweitung sogenannter sicherer Drittstaaten und dass auch bei Minderjährigen in „Grenzverfahren“ über ihren Asylantrag entschieden werden solle. Eine Aufnahme in wie auch immer gearteten Lager lehnte Midyatli, die auch stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD ist, ab.

„Ich habe immer gesagt, dass wir Fluchtursachen und nicht Geflüchtete bekämpfen müssen“, betonte Midyatli. Solidarisch wäre es gewesen, wenn alle Länder dazu verpflichtet würden, rechtsstaatliche Asylverfahren durchführen. „Stattdessen wird eine „flexible Solidarität“ eingeführt, von der man sich mit Geld freikaufen kann, und es wird noch stärker verhindert, dass Menschen überhaupt das EU-Festland betreten.“ Damit bleibe die Hauptlast weiterhin vor allem bei den Staaten an den EU-Außengrenzen.

Linke: „Frontalangriff auf das Asylrecht“

Die Linke hat die Einigung der EU-Innenminister auf eine Reform des EU-Asylsystems kritisiert. Die Co-Vorsitzende der Partei, Janine Wissler, sprach am Freitag in einer Mitteilung von einem „Frontalangriff auf das Asylrecht“. Sie sei entsetzt darüber, dass die Bundesregierung einer Einigung zustimme, die faktisch die Abschaffung des Menschenrechts auf Asyl bedeute. „Abschottung und Inhaftierungen von Familien mit Kindern, die vor Krieg und Hunger fliehen, sind kein „historischer Erfolg“, wie Innenministerin Faeser es nennt, sondern ein Anschlag auf die Menschenrechte.“

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EU-Staaten einigen sich auf Verschärfung des Asylverfahrens

Die EU-Staaten arbeiten seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 an einer weitreichenden Reform des EU-Asylsystems.

Wisslers Co-Vorsitzender Martin Schirdewan erklärte, die Einigung sei eine moralische Bankrotterklärung und ein Einknicken vor den rechten Kräften in Europa. „Stacheldraht statt Willkommenskultur ist die Botschaft der EU-Asylreform. Dabei wissen wir, dass Abschottung Menschen nicht von der Flucht abhält, sondern nur vom sichern Ankommen.“

FDP begrüßt verschärfte Regeln

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hat die Einigung der EU-Staaten auf eine Verschärfung der europäischen Asylregeln hingegen als „Erfolg nach etlichen Jahren des politischen Stillstands“ begrüßt. „Mehr Kontrolle und Steuerung bei der Migration und schnelle Asylverfahren an den EU-Außengrenzen werden dazu beitragen, dass eine menschenwürdige Versorgung der Geflüchteten möglich ist und auch deutsche Kommunen in ihren Anstrengungen entlastet werden“, erklärte Djir-Sarai am Freitag.

Er dankte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und kritisierte zugleich die Grünen. „Ich möchte ausdrücklich Nancy Faeser danken, die als Hauptverhandlerin für Deutschland diese Einigung ermöglicht und dem Druck des grünen Koalitionspartners standgehalten hat“, sagte Djir-Sarai. „Hätte sich die grüne Position durchgesetzt, wäre eine EU-Einigung auf ein neues Asylsystem an Deutschland gescheitert.“

BERLIN, GERMANY - JUNE 07: Interior and Homeland Minister Nancy Faeser arrives  for the weekly federal government cabinet meeting on June 7, 2023 in Berlin, Germany. On the morning's agenda are a new law relating to the expansion of Germany's railway network and a report on energy research. (Photo by Maja Hitij/Getty Images)

„Wer das Asylrecht antasten will, spielt das dreckige Spiel der AfD mit“

Am Donnerstag beraten die EU‑Innenminister über eine Reform des EU‑Asylsystems. Doch ob es zu einer Einigung kommt, ist ungewiss. Es stehe viel auf dem Spiel: „Wir müssen das Europa der offenen Grenzen retten“, sagt Innenministerin Nancy Faeser im Gespräch.

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Landkreise fordern gerechte Verteilung

Auch der Deutsche Landkreistag befürwortet die verschärften Regeln. Die Ergebnisse zeigten, dass eine Reform des europäischen Asylrechts möglich sei, sagte der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager (CDU), am Freitag. „Daran hat auch Deutschland entscheidenden Anteil. Das ist gut so.“

Die Landkreise erwarteten nun, „dass die gefundene Linie bei den weiteren Schritten auf europäischer Ebene durchgehalten wird“. So müsse außer den Grenzverfahren auch die gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in der EU dringend umgesetzt werden, erklärte Sager. Die Maßnahmen seien ohne wirkliche Alternative, wenn man die Zuwanderung steuern und irreguläre Einwanderung begrenzen wolle. „Das brauchen die Landkreise vor dem Hintergrund, dass die Kapazitäten für die Aufnahme, aber auch und vor allem für die Integration neu ankommender Menschen ausgeschöpft sind.“

Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, nannte die Einigung eine „Perspektive“. „Im Moment hilft der Kompromiss gar nichts, das muss man ehrlich sagen“, sagte er dem Fernsehsender Phoenix am Freitag. Er rechne damit, dass die Einigung erst in zwei bis drei Jahren Wirkung zeige. Der „Bild“ sagte Landsberg: „Was auf EU-Ebene jetzt Zustimmung gefunden hat, muss auch in Deutschland gelten: Personen ohne Bleibeperspektive dürfen nicht auf die Kommunen verteilt werden und sollten in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben. Der Bund sollte mit den Ländern die Kapazitäten ausdehnen.“

RND/dpa

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