SOS-Kinderdorf-Sprecher: „Wir verurteilen jede illegale Adoption“
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Nach Polen geflüchtet: Zwei ukrainische Kinder stehen vor einer Karte der Ukraine (Symbolbild).
© Quelle: IMAGO/NurPhoto
„Das hat uns wie ein Schlag getroffen“, sagt Boris Breyer, Pressesprecher der internationalen Hilfsorganisation SOS Kinderdörfer weltweit. Er bezieht sich auf eine zehnminütige ZDF‑„Frontal“-Reportage aus der Vorwoche, in der es um russische Kinderdeportationen aus der Ukraine geht. Zu sehen sind ukrainische Kinder, die Besuch von einer gut gelaunten blonden Dame erhalten – von Maria Lvova-Belova, einer Frau aus dem Umfeld von Präsident Wladimir Putin. Der Ort des Geschehens ist ein SOS Kinderdorf im russischen Tomilino, nahe Moskau.
Ukrainische Kinder tauchten in russischen SOS-Kinderdorf-Einrichtungen auf
Die 38-jährige Lvova-Belova, Mitglied der Präsidentenpartei Einiges Russland und Putins „Ombudsfrau für Kinderrechte“, gilt – so die „Süddeutsche Zeitung“ im November des Vorjahres – als „Architektin der Umvolkung“ von ukrainischen Jungen und Mädchen nach Russland. Mindestens 1800 ukrainische Kinder sind laut UN seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine nach Russland verbracht worden. Die ukrainischen Behörden sprechen von einem Vielfachen dessen – von 14.000 Kindern.
Im November 2022 erfuhr man bei der SOS‑Dachorganisation davon, dass 13 ukrainische Kinder von russischen Behörden zwei Einrichtungen von SOS‑Kinderdorf Russland zugewiesen worden waren. „Das hatten wir damals umgehend auf unserer Homepage transparent gemacht“, sagt Breyer im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), „um vor allem sicherzustellen, dass die Öffentlichkeit von diesen Fällen weiß und dass diese Kinder nicht plötzlich irgendwohin verschwinden können“. Die 13 Jungen und Mädchen seien auch bis heute noch dort untergebracht, weitere ukrainische Zugänge in den russischen SOS‑Kinderdorf-Einrichtungen habe es nicht gegeben. „Soweit wir wissen.“
Kindertransfer ist ein Merkmal für einen Genozid
Zu Putins Vorgehen in seinem am 24. Februar 2022 gestarteten Angriffskrieg gegen die Ukraine gehörte früh die Verschleppung und Russifizierung ukrainischer Kinder. Die Entführten werden mit neuen Papieren ausgestattet und sollen von russischen Zieheltern adoptiert werden. ZDF-„Frontal“ zeigt Bilder, in denen den lächelnden Kindern auf einem Silbertablett der russische Pass überreicht wird.
„Kriegsverbrechen“ nennt das die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Laut der Genfer Völkermordkonvention von 1948 ist ein solcher Kindertransfer eines von fünf Merkmalen für einen Genozid. Die Wirkung der ZDF-Bilder aus Tomilino ist freilich harmonisch: eine freundliche Frau mit adretten Kindern, die in Sicherheit vor dem Krieg gebracht wurden. Putins Propaganda nutzt das Logo einer der bekanntesten Hilfsorganisationen der Welt.
SOS-Sprecher weist den Vorwurf einer „Verstrickung“ zurück
Von einer „Verstrickung“ von SOS-Kinderdörfern weltweit spricht ZDF-„Frontal“ in der Reportage, die noch in der ZDF‑Mediathek zu finden ist. Das weist Breyer von sich. „Wir verurteilen jede illegale Adoption. Dass wir in dieses Deportationssystem von Anfang an verwickelt sind, ist absolut ausgeschlossen und weise ich aufs Schärfste zurück.“ Die Pflegeeltern der ukrainischen Kinder seien von den russischen Behörden rekrutiert worden und auch bei ihnen angestellt. SOS‑Kinderdorf Russland bietet hier nur Unterkunft und psychologische Betreuung. „Es ist schade, dass am Ende der ZDF‑Doku der Eindruck von Komplizenschaft erweckt wird.“
Die SOS-Kinderdorf-Föderation will alles aufklären. Gespräche mit den russischen Mitarbeitern wurden bereits geführt und finden auch weiterhin statt. Nur könne man nicht sicher sein, ob die Auskünfte auch stimmen. Alle stünden unter Druck, alles, was man sage, könne politisch auf einen zurückfallen. Es sei deshalb derzeit „schwierig“, so Breyer, „in Russland an valide, verlässliche Informationen zu kommen“.
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Man will in jedem Fall eine nochmalige Instrumentalisierung des Logos durch die russische Propaganda unmöglich machen. Das Einfrieren finanzieller Zuwendungen an SOS‑Kinderdorf Russland wird unter anderem diskutiert. Die SOS-Kinderdorf-Organisationen von Deutschland und Norwegen hätten dies schon vollzogen.
SOS-Kinderdorf-Chef der Ukraine: Deportationen sind „große Tragödie für unser Land“
„Es wird noch in dieser Woche Entscheidungen geben“, versichert Breyer am Telefon. „Nur eines ist sicher – auch in dieser Situation würden wir niemals Kinder, Jugendliche und Familien, die in unserer Obhut sind, im Stich lassen.“
Der SOS-Kinderdorf-Chef Ukraine, Serhii Lukashov, nannte die russischen Kinderdeportationen jüngst in einem Interview mit dem RND eine „große Tragödie für unser Land“, mit der man sich nie abfinden könne. „Sie sind verschollen, und wir werden sie finden müssen.“