Ruhig und respektvoll: Bundestag debattiert über Sterbehilfe
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Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) spricht im Bundestag bei der Orientierungsdebatte zum Thema Sterbehilfe.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Der Bundestag debattierte am Mittwoch über die Zukunft der Sterbehilfe in Deutschland. Denn seit dem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2020 in Karlsruhe sind Sterbehilfeorganisationen wieder erlaubt – und auch tätig. In Deutschland begleiteten Sterbehilfeorganisationen im vergangenen Jahr in fast 350 Fällen Sterbehilfesuizide oder vermittelten Assistenz für die Selbsttötung. Doch ein rechtlicher Rahmen fehlt bisher.
Bundesverfassungsgericht: Persönlichkeitsrecht umfasst Recht auf selbstbestimmtes Sterben
Denn seit 2015 hatte es noch ein Verbot von Sterbehilfeorganisationen gegeben, welches das Bundesverfassungsgericht 2020 kippte. Die Begründung: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben – egal aus welchen Gründen. Dieses Recht schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen.
Das Urteil der Karlsruher Richter hat damit vor zwei Jahren eine Tür für organisierte Sterbehilfeangebote aufgestoßen. Am Mittwoch befasste sich das Parlament nun damit, ob es Leitplanken wie Beratungspflichten oder Wartefristen braucht.
Liberalisierung der Sterbehilfe oder restriktiver Rahmen?
In der Orientierungsdebatte ging es noch nicht um konkrete parlamentarische Beratungen zu Gesetzentwürfen oder Anträgen. Zunächst stellten Abgeordnetengruppen fraktionsübergreifend Vorschläge für mögliche gesetzliche Regelungen vor.
Die Stimmen der Rednerinnen und Redner war ernst, die Stimmung im Bundestag ruhig und respektvoll. Die Abgeordneten vertraten nicht wie sonst die Ansichten ihrer Fraktionen, sondern präsentierten vielmehr ihre persönliche Sicht auf das Thema Sterbehilfe.
Auf dem Tisch liegen bisher drei Vorschläge für eine Neuregelung → das sind bisher ausnahmslos Entwürfe, die schon in der vorigen Wahlperiode erarbeitet wurden.
Der Bundestag debattiert über eine mögliche neue Sterbehilferegelung in Deutschland
Der Bundestag debattiert über eine mögliche neue Sterbehilferegelung in Deutschland. Doch Sterbehilfe ist nicht gleich Sterbehilfe.
© Quelle: epd
Erster Entwurf: „Lebenswillen unterstützen“
Nach dem Entwurf einer Abgeordnetengruppe um Lars Castellucci (SPD) und Benjamin Strasser (FDP) soll die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe gestellt werden – aber mit einer Ausnahme für Volljährige: „Ich bin der Meinung, dass wir den Sterbewillen anerkennen sollten. Aber vielmehr bin ich der Meinung, dass wir den Lebenswillen unterstützen müssen“, sagte Castellucci während der Debatte.
Zunächst müsste, so betonte Castellucci, möglichst lange Hilfe angeboten werden, die die Menschen dabei unterstütze, am Leben zu bleiben. Um die freie Entscheidung ohne inneren und äußeren Druck festzustellen, sollen laut des Entwurfs in der Regel zwei Untersuchungen durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie im Abstand von drei Monaten und eine umfassende ergebnisoffene Beratung vorgegeben werden.
Das Karlsruher Urteil will die Abgeordnetengruppe um Castellucci – das zeigte die Debatte – damit so eng wie möglich auslegen. Der Normalisierung eines Suizids müsse entgegengewirkt werden: „Niemand in diesem Land soll sich überflüssig fühlen“, so Castellucci.
Zweiter Entwurf: „Nicht mit Strafe drohen“
Eine Gruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP), Petra Sitte (Linke) und Helge Lindh (SPD) schlägt eine Neuregelung außerhalb des Strafrechts vor. „Ich denke, wir sollten denjenigen, die bereit sind, Menschen auf ihrem letzten Weg zu helfen, mit Respekt begegnen, anstatt mit Strafe zu drohen“, betonte Helling-Plahr.
Das Karlsruher Urteil hält die FDP-Politikerin für „unmissverständlich und wegweisend.“ Deshalb solle die Neuregelung „das Recht auf einen selbstbestimmten Tod legislativ absichern und klarstellen, dass die Hilfe zur Selbsttötung straffrei möglich ist“, wie es im Entwurf heißt. Vorgesehen ist ein breites Beratungsangebot. Ärzte sollen Arzneimittel zum Zweck der Selbsttötung dann verschreiben dürfen, wenn sie „von der Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit des Sterbewunsches“ ausgehen. Seit der Beratung müssten in der Regel mindestens zehn Tage vergangen sein.
Bestehe der Sterbewunsch nach einem Durchlaufen des Prozederes, solle ein Zugang zu einer tödlichen Dosis Betäubungsmittel nicht verwehrt werden: „Wenn die Entscheidung nicht unter Druck, nicht unter Zwang und nicht in Situation einer psychischen Störung fällt, dann müssen wir die Bedingungen ermöglichen – auch wenn wir sie rational, religiös, ethisch oder moralisch für nicht richtig halten“, so Lindh.
Dritter Entwurf: „Zugang zu Betäubungsmitteln schaffen“
Die Grünen-Abgeordneten Renate Künast und Katja Keul stellten Eckpunkte für ein „Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben“ vor. Es gehe darum, Betroffenen mit klaren Kriterien einen Zugang zu bestimmten Betäubungsmitteln zu schaffen, hieß es in der Vorlage: „Wir müssen den Weg zumutbar eröffnen“, so Künast während der Debatte.
Unterschieden werden solle im Verfahren zwischen Menschen, die an schweren Erkrankungen leiden, und Suizidwünschen aus anderen Gründen. „Wir brauchen Schutzmechanismen“, so Künast und nannte eine Aufklärungs- sowie Dokumentationspflicht sowie eine Beratung über Schmerztherapie als Beispiele.
„Was wir wirklich vernachlässigt haben, ist der gesamte Bereich der flächendeckenden und guten Versorgung der Palliativ- und Hospizmedizin“, mahnte Künast und forderte, dass auch das Thema im Rahmen der Debatte zukünftig mit bedacht werde.
Neuer Bundestag braucht neue Orientierung
Eine solche Orientierungsdebatte hatte es bereits im vergangenen Jahr gegeben. Doch nach der Bundestagswahl im September vergangenen Jahres änderten sich nicht nur die Mehrheitsverhältnisse: 280 Abgeordnete sind neu. Der Bundestag ist jünger, bunter und weiblicher. Deshalb brauchte es die neue Orientierungsdebatte, die als Aussprache der Abgeordneten diente, bevor die eigentlichen Gesetzentwürfe zur Debatte gestellt werden.
Erste Kritik an den Gesetzentwürfen
Doch es gab bereits Kritik an den Gesetzentwürfen: Patientenschützer bewerteten gleich am Dienstag alle bisher vorliegenden Entwürfe als verfehlt: „Mit keinem der Vorschläge wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts praxistauglich umgesetzt“, sagte der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Suizidmittel und Angebote der Unterstützung seien vorhanden. „Wenn das Parlament etwas regeln will, dann muss es das Handeln des Sterbehelfers strafrechtlich in den Fokus rücken“, fordert der Patientenschützer.
Haben Sie Suizidgedanken? Dann wenden Sie sich bitte an folgende Rufnummern: Telefonhotline (kostenfrei, 24 Stunden), auch Auskunft über lokale Hilfsdienste: (0800) 111 0 111 (ev.), (0800) 111 0 222 (r.-k.), (0800) 111 0 333 (für Kinder/Jugendliche)
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