„Mein Herz ist einen Moment lang stehen geblieben“: Fehlalarm über Seoul nach Nordkoreas Raketentest
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Im südkoreanischen Seoul schauen Menschen die Übertragung eines Raketentests ihres nördlichen Nachbarns.
© Quelle: Getty Images
Die meisten der 10 Millionen Einwohner von Seoul nehmen die nordkoreanischen Raketentests nur mehr als lästiges Hintergrundrauschen wahr. Den geschäftigen Alltag lassen sie sich jedoch kaum durch die ständigen Drohgebärden des Kim-Regimes stören. Am Mittwochmorgen hingegen hatten sie keine andere Wahl: Dröhnende Sirenen und Lautsprecherdurchsagen weckten die Hauptstadtbewohner um 6:41 Uhr aus ihren Betten. Es folgte eine Warn-SMS mit alarmierender Botschaft an sämtliche Handybesitzerinnen und ‑Besitzer. Darin wurden die Menschen aufgefordert, umgehend in der nächstgelegenen Schutzunterkunft Zuflucht zu suchen.
Grund des Anstoßes: Nordkoreas Militär hatte in den Morgenstunden erstmals versucht, einen Satelliten ins All zu schießen. Die Mission ist allerdings gescheitert: Nur kurz nach Start der Trägerrakete ist das Flugobjekt ins Meer gestürzt – und zwar mehrere Hundert Kilometer vom koreanischen Festland entfernt. Eine reale Gefahr ging von dem – wohl gemerkt zuvor angekündigten – Raketentest also niemals aus. Und dass über Seoul mögliche Trümmer abstürzen könnten, wie es in der Warnbotschaft der Stadtregierung hieß, war aufgrund der Flugroute vollkommen ausgeschlossen.
Vereinzelte Panik in Südkoreas Hauptstadt
In der Hauptstadt kam es dennoch zu vereinzelter Panik. Auf den Sozialen Medien schilderten die Leute zu Tausenden ihre Erfahrungen: „In zehn Minuten habe ich meinen Laptop und meine zwei Katzen zusammengepackt“, kommentiert ein 30‑jähriger Koreaner: „Mein Herz ist einen Moment lang stehen geblieben.“
Der in Seoul ansässige Journalist Raphael Rashid schreibt auf Twitter: „Zwar kamen mehrere verwirrte Menschen aus ihren Häusern gelaufen, aber nur wenige schienen die Aufforderung zur Evakuierung wirklich ernst zu nehmen.“ Immerhin gab es jedoch so viele besorgte Suchanfragen bei der Onlineplattform Naver, dass diese für insgesamt fünf Minuten unter dem Ansturm zusammenbrach.
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Erst knapp eine halbe Stunde später räumte die Stadtregierung ein: Es habe sich um einen Fehlalarm gehandelt, die Aufforderung zur Evakuierung ziehe man zurück. Aus dem Präsidentenbüro sprach man zudem von einer „Überreaktion“. Doch um einen ärgerlichen Faux-pas handelt es sich keinesfalls: Der Fehlalarm über Seoul hat das Vertrauen in das öffentliche Warnsystem deutlich beschädigt.
Nordkorea arbeitet weiter an Modernisierung des Raketenprogramms
„Ich bin derzeit mehr besorgt über die Inkompetenz der südkoreanischen Regierung als die Kriegslust der nordkoreanischen Regierung“, schrieb Ben Forney, Doktorand an der renommierten Seoul National University, auf Twitter. Denn sollte es in den nächsten Monaten oder Jahren wirklich einmal zum Ernstfall kommen, werden immer mehr Südkoreaner die öffentlichen Warnungen der Behörden auf die leichte Schulter nehmen.
Nordkorea: Start von Aufklärungssatellit fehlgeschlagen
Das südkoreanische Militär teilte mit, es habe Teile der Trägerrakete geborgen.
© Quelle: Reuters
Auch wenn die mediale Aufmerksamkeit zuletzt nachgelassen hat, arbeitet das nordkoreanische Regime weiterhin unter Hochtouren an der Modernisierung seines Raketenprogramms. Während der Pandemie testete das Militär teilweise im Wochentakt neue Geschosse. Meist handelte es sich um Kurzstreckenraketen, die international für wenig Aufschrei sorgten.
Doch im April dieses Jahres schoss Nordkorea zu Testzwecken eine Interkontinentalrakete ab, die potenziell auch die Westküste der Vereinigten Staaten erreichen kann. Ein letzter Schritt fehlt Pjöngjang allerdings, um dem Erzfeind USA mit einem Atomschlag zu drohen: Bislang hat es das nordkoreanische Militär nicht geschafft, Sprengköpfe zu entwickeln, die den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre während des Raketenflugs schadlos überstehen.