„Männer, die sich alles herausnehmen“

Wie die Linke mit ihrem Sexismusproblem kämpft

Linken-Vorsitzende Janine Wissler steht vor großen Problemen in ihrer Partei.

Linken-Vorsitzende Janine Wissler steht vor großen Problemen in ihrer Partei.

Berlin. Nach Vorwürfen sexueller Übergriffe und deren mangelhafter Aufklärung innerhalb der Linkspartei in Hessen und weiteren Landesverbänden erreicht die Debatte um Übergriffe und strukturellen Sexismus auch die Linke-Bundestagsfraktion. Mehrere Abgeordnete und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktion berichteten dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) in den vergangenen Tagen von einem sexistischen Klima, das in der Fraktion herrsche. „Es gibt in der Fraktion ein strukturell diskriminierendes Verhalten gegen Frauen, das weibliche Abgeordnete einschüchtert“, sagte eine Linken-Abgeordnete dem RND. Männliche Abgeordnete würden Frauen anschreien und herabwürdigen.

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Auch gebe es mehrere männliche Linken-Abgeordnete, die Fraktionskolleginnen am Rande von Sitzungen auf ihre äußerlichen Merkmale ansprächen. „Da fallen sexualisierende Sprüche über die Beine oder Brüste von Abgeordneten, und wie aufreizend und erregend sie doch seien“, sagte eine Abgeordnete. Derartige Sprüche seien oft als „Anmache“ getarnt, tatsächlich gehe es aber um Macht. „Es geht darum, Frauen in inhaltlichen, politischen und strategischen Auseinandersetzungen zu verunsichern und herabzusetzen“, sagte die Parlamentarierin. Das führe teilweise dazu, dass Frauen sich in diesen Auseinandersetzungen zurückziehen.

Berichte über Übergriffe kursieren in Fraktionskreisen

Über einige Vorfälle, über die in Fraktionskreisen, unter Abgeordneten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hinter vorgehaltener Hand berichtet wird, wurde in der Linksfraktion bislang nicht offen gesprochen. Im Raum stehen etwa Vermischungen beruflicher und privater Beziehungen zwischen einzelnen Abgeordneten und jungen Mitarbeiterinnen, bei denen Alters- und Machtgefälle gezielt ausgenutzt würden. „Es sind genau dieselben Mechanismen, die aus der gesamten Me-Too-Debatte bekannt sind“, sagte eine Abgeordnete. Auch von einzelnen Fällen sexueller Übergriffe, die sich mutmaßlich im Bereich des Strafbaren bewegen, ist die Rede – und von einer Angst vor allem von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktion und einzelner Abgeordneter, offen darüber zu sprechen.

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„Struktureller Sexismus und sexuelle Übergriffe“ standen am vergangenen Dienstag auch auf der Tagesordnung der Linken-Fraktionssitzung. In geschlossener Sitzung wurde etwa über das Gesprächsverhalten von Fraktionsmitgliedern gesprochen. Die Debatte verlief nach RND-Informationen äußerst hitzig. Sie sei zu einem „Tribunal gegen Frauen“ geraten, sagen die einen im Anschluss. Andere Anwesende widersprechen dem.

Die Debatte um Me Too in der Linksfraktion dreht sich nicht nur um mutmaßliche Äußerungen und Handlungen einzelner Abgeordneter, sondern auch um den Umgang der Fraktion und des Fraktionsvorstands damit. In der Vergangenheit hätten sich bereits weibliche Abgeordnete beschwert und darum gebeten, nicht mehr neben bestimmten Kollegen sitzen zu müssen, sagte eine Abgeordnete dem RND. Der Fraktionsvorstand habe jedoch nie reagiert.

„Männer, die sich alles herausnehmen“

Eine, die offen Kritik am Umgang ihrer Fraktion mit solchen Vorwürfen äußert, ist Martina Renner. Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion und stellvertretende Parteivorsitzende ist seit 2013 Mitglied des Bundestags. „Seitdem ich im Bundestag bin, kenne ich Fälle von männlichen Abgeordneten, die Kolleginnen gegenüber übergriffig geworden sind“, sagte sie dem RND. Die Fraktion habe ein strukturelles Problem. „Es herrscht ein Grundklima, das auch übergriffiges Verhalten beflügelt. Es gibt Männer in der Fraktion, die sich alles herausnehmen und dafür bisher nie sanktioniert wurden“, so Renner.

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„Gerade wir als Linke haben eigentlich einen anderen Anspruch an uns selbst als feministische Partei“, beklagte sie. Doch es gebe einen Mangel an Problembewusstsein. „Es gibt in der Fraktion keine Form der Compliance, keine Reflektion über die Ausnutzung von Hierarchien und über die bestehenden patriarchalen Strukturen“, sagte Renner.

Die Thüringer Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke)

Die Thüringer Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke)

Fraktionsspitze: Kein struktureller Sexismus

Die Linken-Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch sowie der erste parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte erklärten am Donnerstag, erst durch eine Anfrage des RND von den Vorwürfen zu sexuellen Übergriffen in der Fraktion Kenntnis erlangt zu haben. „Insofern können wir uns zu den von Ihnen vorgetragenen konkreten Vorwürfen nicht äußern“, schreiben sie weiter und fügen an: „Wir sehen in unserer Fraktion keinen strukturellen Sexismus.“

„Soweit in der Vergangenheit konkrete Beschwerden, etwa bezüglich einer unangebrachten Ausdrucksweise in einer Debatte in der Fraktionssitzung, vorgebracht wurden, hat das jeweils die Sitzung leitende Vorstandmitglied in der Regel umgehend reagiert“, heißt es im Statement der Fraktionsspitze. Amira Mohamed Ali habe in der vergangenen Legislaturperiode allen Abgeordneten Einzelgespräche angeboten, die auch überwiegend angenommen worden seien. Vorwürfe sexueller Übergriffe seien in diesen Gesprächen nicht thematisiert worden.

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In der geschlossenen Sitzung am Dienstag seien in der Fraktion bestehende Strukturen zur Verhinderung von Sexismus, sexueller Diskriminierung und sexuellen Übergriffen vorgestellt worden. Außerdem seien konkrete Maßnahmen vorgestellt worden, um weitere Angebote zu schaffen.

Auch andere in der Fraktion verweisen auf die existenten Strukturen, wie eine Beschwerdestelle für Mitarbeiterinnen und auf weitere professionelle Strukturen, die nun geschaffen werden sollen.

Die Linke in der Krise

Doch reicht das? Während die einen auf vorhandene Strukturen und neue Bemühungen verweisen und darum bitten, über Vorwürfe offen in der Fraktion zu sprechen, statt sie der Presse mitzuteilen, haben andere Abgeordnete und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kaum noch Vertrauen in die Fähigkeit und den Willen der Fraktion zur Aufklärung.

Die Debatte um Sexismus und mutmaßliche sexuelle Übergriffe fällt zudem in eine Zeit, in der Die Linke ohnehin in einer tiefen Krise steckt. Wie Partei und Fraktion damit umgehen, dürfte auch mit über ihre bundespolitische Zukunft entscheiden.

Haben Sie Hinweise zu diesem Thema?

Dann erreichen Sie den Autoren dieses Artikels per E-Mail an felix.huesmann@rnd.de.

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