Kanzler unter Zugzwang

Wie es wirklich zur deutschen Panzerwende kam

Der Schützenpanzer Marder während einer Übung.

Der Schützenpanzer Marder während einer Übung.

Berlin. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und US-Präsident Joe Biden haben am Donnerstagabend in einer gemeinsamen Erklärung bekannt gegeben, dass sie Schützenpanzer der Typen Bradley und Marder an die Ukra­i­ne liefern werden. Außerdem wird Deutschland eine Batterie des Luftabwehrsystems Patriot an das Land abgeben. Wie kam es dazu? Und was folgt daraus?

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Was ging der Ankündigung ­voraus?

Die Ukra­i­ne fordert praktisch seit Beginn des Krieges schwere Waffen, insbesondere Panzer. Sie wusste dabei die Grünen und Teile der FDP hinter sich. Tatsächlich ist Deutschland diesen Forderungen nach anfänglichem Zögern bereits teilweise nachgekommen. So hat die Ukra­i­ne Gepard-Flugabwehrpanzer, die Panzerhaubitze 2000 sowie das Luftabwehrsystem Iris-T bekommen. Schützen- und insbesondere Kampfpanzer, so sagte der Kanzler immer wieder, werde man aber „nicht im Alleingang“ schicken, sondern nur abgestimmt mit den Verbündeten.

Nachdem sich auf diesem Feld lange nichts bewegt hatte, ging es in den vergangenen Tagen plötzlich sehr schnell. Am Mittwoch hieß es, Frankreich werde der Ukra­­i­­ne „leichte Kampfpanzer“ liefern. Das habe Präsident Emmanuel Macron seinem ukra­i­ni­schen Kollegen Wolodymyr Selenskyj mitgeteilt. Dabei muss man wissen, dass Ma­cron in der Vergangenheit in die Kritik geraten war, weil er angeblich zu viel Rücksicht auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin nimmt. Bald folgten Meldungen, die US-Regierung ziehe die Lieferung von Bradley-Schützenpanzern in Erwägung. Das brachte Scholz unter Zugzwang.

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Wie ist die offizielle deutsche Darstellung dazu?

Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Freitag, das Vorgehen der drei Staaten sei eng miteinander koordiniert. Und das, was nun von deutscher Seite geschehe, stehe im Einklang mit dem, was das Kanzleramt von Anfang an gesagt habe. Die wesentlichen Kriterien der Ukra­i­ne-Po­li­tik seit Kriegsbeginn seien nämlich, dass Deutschland das Land unterstütze, aber nicht zur Kriegspartei werden wolle und sich über alles Wesentliche im Bündnis abstimme.

Allerdings, so Hebestreit weiter, sei die Kriegssituation hochdynamisch. Und mit dem nahenden Frühling sei mit wieder zunehmenden Kämpfen zu rechnen. Bei den Pa­tri­ots wiederum sei es so, dass die USA anlässlich des jüngsten Selenskyj-Besuchs in Washington eine Batterie in Aussicht gestellt hätten. Das ändere die Lage. Die Vorbereitungen für die Intensivierung der Waffenlieferungen seien jedenfalls schon länger im Gange, unterstrich der Regierungssprecher. So etwas mache man ja „nicht aus der hohlen Hand“.

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Wolfgang Hellmich, versuchte schon am Donnerstagabend, den Eindruck einer deutschen Isolation zu zerstreuen. „Im Laufe der vergangenen Wochen ist unter den Bündnispartnern, natürlich unter Einschluss des Bundeskanzlers, intensiv über die weitere Unterstützung der Ukra­i­ne gesprochen worden, auch über die Lieferung von Panzern“, sagte er. Deshalb kämen „die Ankündigungen aus Paris und Washington nicht überraschend“.

Wie ist es wirklich?

In Wahrheit ist es so, dass das Verhältnis von Scholz und Ma­cron äußerst angespannt ist. Der Franzose hatte den Deutschen bei einem EU-Gipfel im Herbst offen kritisiert. Die deutsch-französischen Regierungskonsultationen platzten. Als Scholz später nach Paris reiste, tat Ma­cron ihm nicht den Gefallen einer gemeinsamen Pressekonferenz. Die einseitige Ankündigung von Panzerlieferungen durch Ma­cron ist ein weiteres Indiz dafür und brachte Scholz absichtsvoll in die Bredouille.

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Darauf deutet auch die Kommunikation der Bundesregierung am Freitag hin. Zwar sagte der Regierungssprecher, man werde etwa 40 Marder bis Ende März an die Ukra­i­ne abgeben, nachdem man ukra­i­ni­sche Soldaten in Deutschland an dem System ausgebildet habe. Gleiches gelte für die Patriots. Details dazu, ob die Marder von der In­dus­trie oder aus Beständen der Bundeswehr stammen und wie es mit der Finanzierung läuft, musste er indes nachreichen.

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Der Sprecher des Verteidigungsministeriums ergänzte, die Lieferung der Pa­tri­ot-Bat­te­rie sei „für uns ein Kraftakt und eine besondere Anstrengung“, unter anderem, weil deutsche Pa­tri­ots in der Slowakei stationiert sind und Polen ebenfalls welche bekommen soll. Aus der Bundeswehr verlautet ohnehin seit Längerem, dass die Truppe eigentlich nichts mehr abgeben könne, weil sie das Material selbst brauche.

Was bedeuten die Lieferungen für die Lage in der Ukra­i­ne?

Nach dem russischen Überfall am 24. Februar vergangenen Jahres war im Westen erwartet worden, dass die Ukra­i­ne nicht lange würde standhalten können. Eine Fehleinschätzung: Am 20. Dezember – dem 300. Tag des Krieges – hatten ukra­i­ni­sche Streitkräfte Angaben des britischen Verteidigungsministeriums zufolge mehr als die Hälfte der Gebiete zurückerobert, die die russischen Truppen nach dem Überfall besetzt hatten. Russland kontrollierte zu dem Zeitpunkt noch 18 Prozent des international anerkannten Territoriums der Ukra­i­ne. Diese Fläche beinhaltet auch die 2014 völkerrechtswidrig annektierte Halbinsel Krim und die bereits vor dem Überfall besetzten Regionen im ost­ukra­i­ni­schen Donbass. Die ukra­i­ni­sche Regierung argumentiert seit Monaten, dass sie mehr schwere Waffen aus dem Westen benötigt, um die russischen Truppen ganz zu verdrängen.

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Was bringt der Schützenpanzer Marder der Ukra­i­ne?

Vor allem mehr Sicherheit für Soldaten. „Wenn sie bisher Infanteristen auf Pick-ups und in ungeschützten Fahrzeugen mobil gemacht haben, dann haben sie mit dem Marder einen viel besseren Schutz, das hat eine ganz andere Qualität“, sagte der frühere Inspekteur des Heeres, Generalleutnant a. D. Bruno Kasdorf, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) über die ukra­i­ni­sche Armee. Da der Marder ein Kettenfahrzeug ist, sei er „sehr gut einsetzbar in schwerem Gelände“. Seine Bewaffnung ermögliche es Soldaten, aus dem Panzer heraus zu kämpfen. Die Infanterie werde wirksamer und beweglicher. Der Marder bringe „eine deutliche Kampfwertsteigerung“, so Kasdorf. „Es kommt aber darauf an, dass sie genügend Fahrzeuge haben. Und der Marder entwickelt seine volle Kapazität nur gemeinsam mit Kampfpanzern. Die ergänzen sich ideal auf dem Gefechtsfeld.“

Was ist der Unterschied zwischen dem Marder und dem Kampfpanzer Leopard 2?

Sie sind für unterschiedliche Zwecke konzipiert. Mit dem Schützenpanzer Marder wird feindliche Infanterie bekämpft. Der Leopard 2 mit seiner 120-Millimeter-Kanone kann dagegen andere Panzer zerstören – dafür ist der Marder mit seiner 20-Millimeter-Kanone nicht gedacht. Der Leopard 2 kann außerdem weiter schießen. „Er ist viel effektiver gegen gepanzerte Ziele“, erklärte Kasdorf. „Der Leopard 2 ist die ideale Duellwaffe, um andere Panzer zu bekämpfen.“ Kasdorf spricht sich daher auch für eine Lieferung des Leopard 2 an die Ukra­i­ne aus. „Rein militärisch würde eine Lieferung sehr viel Sinn machen. Es wäre ein deutlich größerer Qualitätszuwachs, wenn der Marder gemeinsam mit dem Leopard 2 eingesetzt würde.“

Was bringen die Pa­tri­ots?

Das Luftabwehrsystem hat eine Reichweite von etwa 68 Kilometern und kann fünf Ziele gleichzeitig bekämpfen, also etwa Drohnen oder Marschflugkörper. Die Pa­tri­ots können damit einen weiteren Beitrag dazu leisten, die russische Luftüberlegenheit zu verhindern und auch die von Russland angegriffene Infrastruktur der Ukra­i­ne besser zu schützen.

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Strack-Zimmermann: „Bin erleichtert, dass sich die Bundesregierung einen Ruck gegeben hat“
FDP Dreikoennigstreffen Aktuell, 06.01.2023, Stuttgart,Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschuss im Portrait beim Dreikoennigstreffen der Freien Demokraten im Opernhaus in Stuttgart Stuttgart Baden-Wuerttemberg Deutschland *** FDP Dreikoennigstreffen Current, 06 01 2023, Stuttgart,Marie Agnes Strack Zimmermann, chairwoman of the defense committee in the portrait at the Dreikoennigstreffen of the Free Democrats in the opera house in Stuttgart Baden Wuerttemberg Germany

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses hat die deutsch-amerikanische Entscheidung zur Lieferung von Schützenpanzern an die Ukraine gelobt.

Was fordert die Ukra­i­ne jetzt noch?

Vizeaußenminister Andrij Melnyk, früher Botschafter in Berlin, betonte, dass die „Panzerwende“ nur ein Anfang sein könne. Die Lieferung schwerer Waffen durch westliche Verbündete müsse nun „ohne jegliche rote Linien“ erfolgen, sagte er dem RND. „Es geht um all die sofort lieferbaren schweren Waffen wie Kampfpanzer, Kampfflugzeuge, Kampfdrohnen, Kriegsschiffe, U-Boo­te, ballistische Raketen. Diesen Schritt müsste man schon morgen auf den Weg bringen.“ Um Kremlchef Putin zur „Kapitulation“ zu drängen, benötige die Ukra­i­ne Militärhilfen besonders der USA und Deutschlands in einer Größenordnung, die vergleichbar wäre mit jener der US-Waffenlieferungen an die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg.

Wie geht es weiter?

Experten wie der Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München erwarten, dass auch die Lieferung von Mardern und Pa­tri­ots noch nicht das letzte Wort sind. „Dieses ganze Gerede von ‚Putin eskaliert, wenn wir bestimmte Waffensysteme liefern‘, ist jetzt endgültig vom Tisch“, sagte er dem RND. „Das öffnet auch die Tür für andere Waffenlieferungen. In zwei Monaten reden wir möglicherweise über Kampfflugzeuge und Kampfpanzer.“

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