Weshalb auch Russland vom ukrainischen Getreidedeal profitiert
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Russland wird aus dem Getreideabkommen mit der Ukraine stark profitieren. (Symbolbild)
© Quelle: IMAGO/SNA
New York. Mit viel Fanfaren hat ein Schiff mit Getreide nach dem anderen die Ukraine verlassen, nachdem sich das kostbare Gut wegen der russischen Invasion monatelang in den Silos aufgetürmt hatte. Mehr Stille umgibt einen Deal, der parallel zur Wiederaufnahme der Getreide-Transporte von Schwarzmeer-Häfen aus geschlossen wurde. Er erfüllt Moskauer Forderungen, auch für seinen eigenen Weizen den Weg in Teile der Welt freizumachen. Und das fördert eine Industrie, die große Bedeutung für die russische Wirtschaft hat und im Netz breiter angelegter Sanktionen gefangen war.
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Während die USA und ihre europäischen Verbündeten bemüht sind, Russlands Finanzen mit einem dichten Geflecht von Strafen für den Angriff auf die Ukraine zu ersticken, haben sie vermieden, Getreide und andere Güter zur Ernährung von Menschen in aller Welt mit Sanktionen zu belegen. Russischer und ukrainischer Weizen, Mais, Gerste und Sonnenblumenöl sind wichtig für Länder in Asien, Afrika und Nahost, wo viele Menschen auf subventioniertes Brot zum Überleben angewiesen sind. Der rasante Anstieg von Nahrungsmittel- und Energiepreisen im Zuge des Ukraine-Krieges hat Millionen Menschen in Armut gestürzt oder näher an den Rand des Verhungerns gebracht.
Russlands Nahrungs- und Düngemittel vor Sanktionen geschützt
Zwei Vereinbarungen, die im Juli unter Vermittlung der UN und der Türkei zustande kamen und die durch die Invasion blockierten Lieferungen freischalten, sind miteinander verknüpft. Die eine schützt Schiffe, die ukrainisches Getreide auf dem Weg über das Schwarze Meer exportieren. Die andere sichert Russland zu, dass seine Nahrung und Düngemittel nicht von Sanktionen getroffen werden, was einen Pfeiler seiner Wirtschaft schützt und Besorgnisse seitens Banken und Versicherungen lindert.
Indirekte Sanktion von Banken fallen weg
Die Vereinbarung erlaubte es einer westlichen Reederei, binnen Wochen zwei Schiffe mit Getreide aus Russland auf den Weg zu bringen. Zuvor hatte die Prozedur Monate gedauert, weil westliche Banken den Transfer von Zahlungen an Russland verweigerten. Zwar haben sich Strafmaßnahmen der USA und EU nicht direkt gegen die russische Landwirtschaft gerichtet, aber Banken waren dennoch zurückhaltend, wollten kein Risiko eingehen, irgendwie doch mit den Sanktionen in Konflikt zu geraten. Und das behinderte den Zugang von Käufern und Transporteuren zum russischen Getreide.
Banken hätten - aus Vorsicht - praktisch selbst Sanktionen erhoben, sagt Gaurav Srivastava, dessen Unternehmen Harvest Commodities Getreide aus der Schwarzmeer-Region kauft, verschifft und verkauft. Was sich in den jüngste Wochen geändert habe, sei „der Anschein ... dass dies eine Art Burgfrieden zwischen allen Parteien ist“.
Getreide-Abkommen sichert Millionen russische Arbeitsplätze
Der Deal war wichtig für Russland, denn das Land ist der größte Weizenexporteur der Welt, seine Ausfuhren machen fast ein Fünftel der globalen Lieferungen aus. Und es wird erwartet, dass das Land dieses Jahr eine seiner besten Erntezeiten verzeichnet. Die Agrarwirtschaft macht der Weltbank zufolge insgesamt vier Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts aus. Aber „was wichtiger ist, sind Arbeitsplätze“, merkt der russische Ökonom Sergej Alexaschenko mit Bezug auf die Jobs an, die durch die Landwirtschaft geschaffen werden - ungefähr „sieben bis acht Prozent der Arbeitsplätze“, wie er sagt. Der Agrarsektor sorge etwa für fünf bis sechs Millionen Jobs, in einigen Regionen hänge der Lebensunterhalt fast ganz davon ab.
Ausländische Firmen wittern das große Geschäft
Srivastava, dessen Unternehmen von Los Angeles und Genf aus operiert, hofft, im Laufe des nächsten Jahres zehn bis 15 Millionen Tonnen Getreide aus Russland verschiffen zu können. Er konnte auch zwei gecharterte Schiffe, die seit Beginn der Invasion am 24. Februar in ukrainischen Häfen festsaßen, auf den Weg bringen. Wie er sagt, hat seine Firma das Ziel, im Zuge der auf vier Monate befristeten Vereinbarung eine Million Tonnen Getreide in der Ukraine abzuholen. Er sei insgesamt „sehr optimistisch, insbesondere seit den letzten paar Wochen“, sagt Srivastava.
USA und EU beteuern landwirtschaftliche Sanktionen erhoben zu haben
Die Moskauer Forderungen vor der Vereinbarung schlossen öffentliche Erklärungen der USA und EU ein, nach denen russische Nahrung und Düngemittel nicht Ziel von Strafmaßnahmen seien. Es ging auch um Fragen finanzieller Transaktionen der russischen Landwirtschaftsbank, Zugang für Schiffe unter russischer Flagge zu Häfen und Exporte von Ammoniak, das zur Herstellung von Düngemitteln benötigt wird.
Eine Woche, bevor Russland die Vereinbarung unterzeichnete, gab das US-Finanzministerium Erklärungen mit den gewünschten Zusicherungen ab. Es machte klar, dass Washington keine Sanktionen hinsichtlich des Verkaufs oder Transportes landwirtschaftlicher Verbrauchsgüter und auch Medikamenten aus Russland erhoben habe. Auch wurde eine breit angelegte Genehmigung für bestimmte Transaktionen im Zusammenhang mit Agrargütern erteilt.
Die USA „unterstützen stark Bemühungen der Vereinten Nationen, sowohl ukrainisches als auch russisches Getreide auf Weltmärkte zu bringen und die Auswirkungen des unprovozierten russischen Krieges gegen die Ukraine auf globale Nahrungsmittelversorgung und -preise zu verringern“, hieß es weiter.
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Trotz Sanktionen steigert der Kreml seinen Export nach Deutschland
Russlands Wirtschaft schafft es offenbar, Verluste durch höhere Energiepreise überzukompensieren. So kann die Rezession bisher in Grenzen gehalten werden. Der vorhergesagte Ruin des Landes ist bislang nicht eingetreten, stellt RND-Kolumnist Jan Emendörfer fest.
Auch die EU bekräftigte, dass Russlands Agrarwirtschaft nicht mit Sanktionen belegt sei und führte zugleich den globalen hohen Anstieg von Nahrungsmittelpreisen auf den Krieg sowie die von Moskau verfügten Obergrenzen für Agrarexporte zum Schutz des einheimischen Marktes zurück.
Russland reicht der Getreide-Deal nicht
Russland sagt derweil, dass es weiter mit Herausforderungen konfrontiert sei. So erklärte das Moskauer Landwirtschaftsministerium, dass Probleme bei der Versorgung mit importierter landwirtschaftlicher Ausrüstung, die nicht direkt von Sanktionen betroffen ist, auch die Getreideernte bedrohten. Zwar werde der einheimische Bedarf gedeckt, aber Exporte könnten beeinträchtigt werden.
Und sogar nach der Unterzeichnung des Deals nahm der russische Außenminister Sergej Lawrow auf einer Afrika-Tour die westlichen Zusicherungen in Sachen Sanktionen gegen die Agrarwirtschaft aufs Korn. Er verwies darauf, dass es negative Auswirkungen von Strafmaßnahmen auch auf diesen Bereich gebe und fügte hinzu, eine „Halbwahrheit ist schlimmer als eine Lüge“.
RND/AP