Angst vor neuer Katastrophe

„Welle so hoch wie ein zehnstöckiges Gebäude“: Sprengt Russland den Staudamm in der Ukraine?

Der Kachowkaer Stausee am Unterlauf des Dnepr in der Ukraine.

Der Kachowkaer Stausee am Unterlauf des Dnepr in der Ukraine.

Während sich die ukrainischen Truppen auf ihre Gegenoffensive in der Region Cherson vorbereiten, könnte sich in jenem Gebiet eine „humanitäre und technologische Katastrophe“ anbahnen. Das jedenfalls sagte der ukrainischen Militärexperten Oleksij Melnyk dem Sender N-TV. Er befürchtet, dass russische Soldaten einen Damm am Fluss Dnepr sprengen könnten, die Kachowka-Staumauer. Es wäre eine Attacke, die Hunderttausende Menschen in den umliegenden Gebieten der Region Cherson ins Elend stürzen könnte.

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Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teilt die Sorge. Am Donnerstag sagte er, russische Truppen hätten den Staudamm vermint. Es gebe Pläne, die Staumauer zu sprengen und das flussabwärts gelegene Cherson mit 18 Millionen Kubikmetern Wasser zu überfluten. Anschließend werde Russland die Ukraine dafür verantwortlich machen. Aus der Sicht Kiews würde Moskau sich auf diese Weise eine Pufferzone schaffen und sich geordnet zurückziehen können.

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Wie das Nachrichtenportal „Nexta“ meldete, hat Kiew nun die Vereinten Nationen sowie die Europäische Union gebeten, Beobachterinnen und Beobachter zum Wasserkraftwerk zu entsenden.

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„So hoch wie ein zehnstöckiges Gebäude“

Der russische Oppositionelle und Hydrogeologe Yuri Medovar erklärte gegenüber dem ukrainischen Internetportal „Obozrevatel“, dass eine Sprengung der Staumauer katastrophale Folgen hätte – „wie nach einem Tsunami“. Medovar zufolge würden in einem solchen Szenario viele Siedlungen in der Nähe des Damms sowie die Stadt Cherson überflutet.

„Ich finde es gruseliger als taktische Atomwaffen, so etwas kann ich mir gar nicht vorstellen“, sagte der Wissenschaftler und rechnete das Wasservolumen des Kachowkaer Stausees vor. „Die Tiefe des Damms beträgt 30 Meter, die Länge etwa vier Kilometer. Es wird eine Welle geben, die so hoch ist wie ein zehnstöckiges Gebäude.“

Medovar sagte weiter, dass alles unter dem Damm weggeschwemmt und auch Cherson überflutet werde. Auch auf der Krim würden die Folgen zu spüren sein, denn der Nordkrimkanal liefere Wasser aus dem Stausee.

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Wasser in zwei Stunden in Cherson

Russische Kriegsblogger verbreiteten über den Messengerdienst Telegram eine Karte, die das Ausmaß einer möglichen Überschwemmung darstellt. Demnach würden Orte nördlich und südlich des Dnepr überflutet, auch die Großstadt Cherson wäre betroffen. Wenn der Damm brechen sollte, würde eine fast fünf Meter hohe und fünf Kilometer breite Flutwelle flussabwärts fließen und in rund zwei Stunden Cherson erreichen.

Mit großer Wahrscheinlichkeit trete das Wasser an beiden Ufern des Dnepr über, was zur Folge hätte, dass Tausende Menschen in Gebieten gefährdet würden, die Moskau noch selbst kontrolliert.

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Stausee ist 240 Kilometer lang

Das 50 Kilometer südlich von Saporischschja gelegene Wasserkraftwerk wurde zu Sowjetzeiten von 1960 bis 1968 gebaut, schreibt das ukrainische Onlineportal bigkyiv.com. Der mehr als 3600 Meter breite Damm des Wasserkraftwerks bildete einen riesigen Stausee, der auch das Kiewer Meer genannt wird. Das Gewässer, nach der am Ufer gelegenen Stadt Kachowka benannt, erstreckt sich über 240 Kilometer entlang des Flusses Dnepr durch die Regionen Cherson, Saporischschja und Dnipropetrowsk.

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Der Stausee hat eine Größe von 2155 Quadratkilometern, bei einer maximalen Wassertiefe von 32 Metern. Es dauerte zwei Jahre, bis das Staubecken mit Wasser gefüllt war. Das Wasserkraftwerk, das laut dem Onlineportal localhistory.org als das „letzte und westlichste große Gebäude des Kommunismus“ bezeichnet wird, spielt eine große Rolle bei der Gewinnung von Energie. So können etwa die Spitzenlasten im ukrainischen Stromnetz abgedeckt werden. Außerdem lassen sich Klimaphänomene wie etwa Überschwemmungen im Frühjahr oder Dürreperioden leichter regulieren. Bei Hochwasser wird beispielsweise der Stausee leicht abgelassen, damit er zusätzliches Wasser aufnehmen kann. Zudem lässt sich rund um die Talsperre Wein, Obst oder Reis anbauen.

Zehntausende Tote im Zweiten Weltkrieg

Der Staudamm verbindet das linke und rechte Ufer des Dnepr. Beide Seiten befinden sich derzeit unter russischer Besatzung. Doch die ukrainischen Truppen rücken von Nordwesten her immer weiter vor. So befindet sich die Frontlinie in dieser Region rund 30 bis 50 Kilometer vom Flusslauf des Dnepr entfernt. Russland befürchtet, dass die ukrainische Armee die Stadt Cherson schon bald wieder einnehmen könnte.

Kachowkaer Stausee

Das Wasserkraftwerk DniproHES und die Talsperre am Saporischschja-Stausee des Dnepr.

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Welche Folgen eine Sprengung einer Staumauer haben kann, zeigt ein Beispiel aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Talsperre DniproHES, die den Saporischschja-Stausee bildete und oberhalb des Kachowkaer Stausees liegt, wurde im September 1941 von der Sowjetunion zerstört. Josef Stalin ließ die Staumauer sprengen, um den Vormarsch Hitler-Deutschlands zu verlangsamen. Die Wassermassen töteten zwischen 20.000 und 100.000 Zivilistinnen und Zivilisten.

Strategie: Bevölkerung soll leiden

Die kritische Infrastruktur ist in vielen Regionen der Ukraine inzwischen zum Hauptziel der russischen Streitkräfte geworden. In dem seit fast acht Monaten andauernden russischen Angriffskrieg hat Moskau offen seine Absicht verkündet, verstärkt Kraftwerke und andere wichtige Infrastruktur anzugreifen. Aus Kreisen der ukrainischen Energiebehörde hieß es am Mittwoch, 40 Prozent des Stromnetzes sei schwer beschädigt worden. Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte, die russischen Truppen hätten seit dem 10. Oktober 30 Prozent der ukrainischen Elektrizitätswerke zerstört.

Auch die Zerstörung der Staumauer der Kachowkaer Talsperre hätte den Effekt, das Leid der Zivilbevölkerung weiter zu erhöhen. Wenn es auf dem Schlachtfeld immer weniger Erfolge der russischen Truppen gibt, dann sollen nach dem Willen des Kreml die Ukrainerinnen und Ukrainer mürbe gemacht und demoralisiert werden. Eine weitere perfide Waffe Putins.

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