Warnung vor „Eskalationsspirale“

Partisanenangriffe und Widerstand nehmen zu: Kann Russland die besetzten Städte halten?

Russische Truppen bewachen den Eingang des Wasserkraftwerks Kachowka in der Region Cherson im Süden der Ukraine. Das Bild wurde während einer vom russischen Verteidigungsministerium organisierten Reise aufgenommen.

Russische Truppen bewachen den Eingang des Wasserkraftwerks Kachowka in der Region Cherson im Süden der Ukraine. Das Bild wurde während einer vom russischen Verteidigungsministerium organisierten Reise aufgenommen.

An der Südküste der Ukraine wächst der ukrainische Widerstand gegen die russischen Besatzer. Am Sonntag ist der von Russland eingesetzte Bürgermeister der Kleinstadt Enerhodar bei einem Sprengstoffanschlag schwer verletzt worden. Die Stadt liegt im Oblast Saporischschja, zwischen Mariupol und der Krim. Das gesamte Gebiet ist bereits seit März fest in der Hand russischer Truppen. Doch die Bürger der Ukraine wehren sich, immer wieder kommt es zu Partisanenangriffen gegen russische Soldaten.

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In der vergangenen Woche meldete das ukrainische Militär einen Anschlag in Melitopol, bei dem mehrere russische Offiziere getötet sein sollen. Bis zu 150 russische Soldaten sollen seit der Besetzung der Stadt bereits ums Leben gekommen sein. Unter ihnen befänden sich mehrere ranghohe russische Offiziere, wie der ukrainische Bürgermeister von Melitopol, Ivan Fedorow, auf Telegram mitteilte. Unabhängig überprüfen lassen sich die Berichte nicht. Experten halten den Widerstand aber für glaubwürdig. Das renommierte „Institute for the Study of War“ beobachtet einen „anhaltenden und organisierten ukrainischen Widerstand in besetzten Gebieten“.

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Für den Ex-Nato-General Hans-Lothar Domröse zeigen diese Angriffe „die Macht des kleinen Mannes gegenüber einer Weltmacht.“ Die Einwohner könnten nichts weiter tun, als den russischen Streitkräften „aus den Kellern heraus immer wieder kleine Nadelstiche zu setzen und Russlands Kampfmoral zu zerstören“.

In den besetzten Städten treiben die Besatzer die Russifizierung weiter voran. Die Spuren des Kriegs sind längst beseitigt, die russische Währung Rubel wurde als zweite Währung eingeführt und Supermärkte tragen russische Namen. Geschäfte in Cherson müssen seit Montag alle Preise zusätzlich in Rubel ausweisen. Es gibt kein ukrainisches TV mehr und das Internet wird über Russland umgeleitet. Es gibt Gerüchte über Zensur und Überwachung, die Bürgermeister und Sicherheitsleute wurden durch moskautreues Personal ausgetauscht.

Seit Wochen fahren russische Konvois in die eroberten Gebiete, um dort Lebensmittel zu verteilen und Kinder mit Schulmaterial auszustatten. Militärstratege Markus Reisner vom Österreichischen Bundesheer erklärt: „Wir müssen mit umfangreichen Aufstandsbewegungen vor allem dann rechnen, wenn es die russische Seite nicht schafft, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen.“ Schon jetzt fehlt es Medikamenten. Der Großteil der Bevölkerung werde laut Reisner den russischen Befehlshabern folgen, solange sie mit Nahrungsmitteln, Strom und Treibstoff versorgt werden. „Wenn Russland die Versorgung nicht sicherstellen kann oder systematische Übergriffe und Terror zunehmen, bietet das den Nährboden für weitere und ausgedehnte Aufstände.“ Ukrainische Anschläge zielen immer häufiger auf die russische Versorgungslinie zu den besetzten Städten ab. Straßen und Eisenbahnbrücken werden gesprengt, russische Konvois beschossen. Am Montag wurden erneut Bahngleise bei Melitopol zerstört, um die Versorgung zu unterbrechen.

„Wenn man die Bevölkerung gegen sich hat, ist es für den Eroberer fast unmöglich, das besetzte Gebiet zu halten – und wenn, dann nur mit äußerster Brutalität.“

Markus Reisner,

Österreichisches Bundesheer

Laut ukrainischen Medien brodelt es an der besetzten Südküste. „Die Widerstandsgruppen könnten daher schnell Zulauf bekommen und dann beginnt eine Eskalationsspirale“, sagt Militärstratege Reisner. Die Besatzer würden dann versuchen, die Widerstandszellen auszuheben, es kommt zu Übergriffen und Toten. Dies führe dann zu Hass gegen die Besatzer und einem noch größeren Zulauf der Widerstandsbewegung. Schon jetzt gehen russische Soldaten mit Tränengas und Verhaftungen gegen öffentliche Proteste vor.

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Man müsse damit rechnen, dass Russlands größte Herausforderung bald nicht mehr die Kämpfe an der Front, sondern eine „harte Besatzung“ sei. „Zu einem solchen Besatzungsregime ist Russland aber langfristig nicht fähig, weil jeder Konvoi, jeder Kontrollpunkt, jeder Stützpunkt in den besetzten Gebieten zur Zielscheibe wird.“ Die Kriegsgeschichte habe gezeigt: „Wenn man die Bevölkerung gegen sich hat, ist es für den Eroberer fast unmöglich, das besetzte Gebiet zu halten – und wenn, dann nur mit äußerster Brutalität.“ Russland bräuchte die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich, um die Städte zu kontrollieren, und das scheint laut Fachleuten im Moment sehr unwahrscheinlich.

Erster Kriegsverbrecherprozess: Russischer Soldat in Kiew verurteilt

Im ersten ukrainischen Kriegsverbrecherprozess ist ein 21 Jahre alter russischer Soldat verurteilt worden.

In Cherson, westlich der Region Saporischschja, wehen inzwischen russische Fahnen an den Gebäuden und die Besatzer haben Checkpoints aufgebaut. Doch der Widerstand hält auch hier an: Immer wieder verschwinden die Fahnen über Nacht und Lehrer weigern sich, auf Russisch zu unterrichten. Die Menschen tauschen den Rubel gleich wieder in ukrainische Hrywnja um. Überall in der Stadt hängen Plakate, auf denen russische Soldaten aufgefordert werden, Cherson zu verlassen. „Wir kennen all Eure Patrouillenrouten! Cherson ist Ukraine!“, steht auf einem Plakat. Es zeigt einen ukrainischen Partisan, der einem russischen Soldaten mit einem Messer hinterrücks den Hals aufschlitzt. Die Botschaft an die russischen Soldaten ist eindeutig: Ihr seid hier nicht sicher. Etwa 300 Soldaten sollen bereits getötet worden sein.

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Seit einigen Tagen plant die vom Kreml eingesetzte Verwaltung von Cherson eine Aufnahme in die Russische Föderation, sagt Russland-Experte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck. Kein Referendum, bei dem die Menschen befragt werden, sondern eine Annexion wie bereits 2014 bei der Krim. Ob und wann es dazu kommt, ist unklar. Längst haben ukrainische Streitkräfte eine neue Großoffensive für Juni angekündigt. Eines ihrer Ziele: die Rückeroberung der Südküste.

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