„Unerwartet hohe Anzahl“: Studie identifiziert gefährliche Substanzen in Plastik
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Sortierte Verpackungsabfälle stehen gepresst neben einer Halle in Nordrhein-Westfalen.
© Quelle: Rolf Vennenbernd/dpa
Berlin. Plastik ist gesundheitsgefährdend, umweltschädlich und langlebig – doch ebenso praktisch, billig und daher beliebt. Mehr als 350 Millionen Tonnen davon werden nach Angaben des Verbands der Kunststofferzeuger in Deutschland jährlich auf der Welt hergestellt. Dabei kommen gefährliche Stoffe wie Weichmacher, Flammschutzmittel oder UV-Stabilisatoren zum Einsatz. Nichtsdestotrotz findet Mikroplastik Verwendung in Reinigungsmitteln, Kosmetika und Zahnpasta.
Wie viele schädliche Chemikalien darin letztlich enthalten sind, haben nun Forschende der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) untersucht. Das Ergebnis: Von 10.500 Substanzen identifizierte das Team um Stefanie Hellweg, Professorin für Ökologisches und Systemdesign, 2480 Stoffe als potenziell besorgniserregend.
„Diese Studie ist ein Weckruf an die Politik“, sagte Bettina Hoffmann, umweltpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir brauchen endlich mehr Transparenz, um nachhaltige und giftfreie Kunststoffkreisläufe zu ermöglichen.“
Giftige Stoffe verursachen im schlimmsten Fall Krebs, Diabetes und Unfruchtbarkeit
Im Rahmen der Studie, die im Fachmagazin Environmental Science & Technology erschienen ist, analysierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sämtliche für den Weltmarkt zugelassene Monomere, Zusatzstoffe und Hilfsmittel für die Herstellung von Plastik. Sie werden etwa in Lebensmittelverpackungen und Textilien verarbeitet, doch auch in Spielzeug oder medizinischen Masken.
Knapp ein Viertel der Substanzen sind der Untersuchung zufolge entweder nicht abbaubar, toxisch oder reichern sich in Organismen an. „Täglich kommen wir damit in Kontakt“, kommentierte Hoffmann. „Dabei verursachen einige Stoffe im schlimmsten Fall Krebs, Diabetes, Kinderlosigkeit oder Allergien.“
Anzahl potenziell besorgniserregender Substanzen in Plastik unerwartet hoch
Die Forschenden selbst sprechen von einer „unerwartet hohen Anzahl potenziell besorgniserregender Substanzen“ und bezeichnen diese als bedenklich. Hinzu komme, dass es noch nicht möglich sei, alle erfassten Daten auszuwerten. „Für 4100 oder 39 Prozent aller von uns identifizierten Stoffe fehlen noch Gefahrklassifikationen“, erklärte Zhanyun Wang, Senior Scientist des Teams. Denn rund die Hälfte der Chemikalien würden weder in den USA, noch in der EU oder Japan reguliert – und das, obwohl hier 901 der gefährlichen Substanzen für die Verwendung in Kunststoffen mit Lebensmittelkontakt zugelassen seien.
In Deutschland gilt die Chemieindustrie laut Bundeswirtschaftsministerium als drittgrößter Wirtschaftszweig nach dem Fahrzeug- und Maschinenbau. Etwa 70 Prozent der Substanzen werden demnach innerhalb der Industrie weiterverarbeitet, wichtige Abnehmer sind Kunststoffverarbeiter, das Verpackungsgewerbe sowie die Textilwirtschaft.
Problematisches Plastik: Grüne fordern eine Umstellung der Produktion
Zeitgleich gibt es das Pfandsystem für PET-Flaschen, das einen umweltverträglichen Umgang mit Plastik verspricht. Doch erst kürzlich zeigte die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen, dass der Recycling-Anteil sich hierbei in Grenzen hält. Demnach findet nur ein Drittel der PET-Flaschen wieder Verwendung in dem System. Insgesamt stammten lediglich 7,2 Prozent der Kunststoffproduktion hierzulande aus recyceltem Material.
Grundsätzlich stießen die Forschenden der ETH Zürich auf „mehrere kritische Wissens- und Datenlücken, insbesondere bei den Substanzen und ihren Anwendungszwecken“. Das erschwere Verbraucherinnen und Verbrauchern, sichere Kunststoffprodukte zu wählen.
Um mehr Klarheit zu schaffen, fordert Grünen-Politikerin Hoffmann, bis 2030 alle Produkte mit einem digitalen Zwilling auszustatten: „Gemeinsam mit Industrie, Forschung und Zivilgesellschaft wollen wir an einem Materialmix der Zukunft arbeiten, damit nur noch Stoffe verwendet werden, die gut erforscht, ungiftig und kreislauffähig sind.“ Das wiederum würde eine tiefgreifende Umstellung der Plastikproduktion bedeuten – und somit mehrere Jahre beanspruchen.