Arbeitszeiterfassung wird Pflicht: Was Gewerkschaften, Betriebsräte und Arbeitgeber nun erwarten
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Eine Frau demonstriert mit einer Chipkarte ein modernes Verfahren zur Arbeitszeiterfassung.
© Quelle: PCS Systemtechnik/dpa
Berlin. Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung hat eine Debatte, aber auch Verunsicherung ausgelöst. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßte das Grundsatzurteil. Es öffne den Weg, übermäßige Überstunden einzudämmen. „Diese Feststellung ist lange überfällig“, sagte das DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. „Die Arbeitszeiten der Beschäftigten ufern immer mehr aus, die Zahl der geleisteten Überstunden bleibt seit Jahren auf besorgniserregend hohem Niveau“, fügte sie hinzu. Sie pochte darauf, dass Arbeitgeber jetzt schnell tätig werden müssten.
Kritik kam hingegen vom Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter. Er nannte das Urteil „überstürzt und nicht durchdacht“. Kampeter befand: „Das Bundesarbeitsgericht überdehnt mit seiner Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung den Anwendungsbereich des Arbeitsschutzgesetzes deutlich.“ Er warnte, die Entscheidung dürfe nicht dazu führen, „dass bewährte und von den Beschäftigten gewünschte Systeme der Vertrauensarbeitszeit infrage gestellt werden“.
Das Urteil am Arbeitsgericht
Worum geht es? Das Bundesarbeitsgericht hat gerade entschieden, dass in Deutschland eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht. Die Präsidentin des höchsten deutschen Arbeitsgerichts, Inken Gallner, begründete die Pflicht von Arbeitgebern zur systematischen Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten mit der Auslegung des deutschen Arbeitsschutzgesetzes nach dem sogenannten Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Anders ausgedrückt: Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung besteht laut dem Gericht bereits – obwohl davon bislang weder Politik noch Wirtschaft ausgingen. Bisher müssen nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht die gesamte Arbeitszeit.
Mit dem Grundsatzurteil gebe es die Maßgabe, dass Arbeitgeber die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten erfassen müssen, so eine Sprecherin des Bundesarbeitsgerichts. Das Urteil wirke quasi wie ein Gesetz, sei allerdings auf die Maßgabe der Arbeitszeiterfassung beschränkt und nicht so detailliert wie ein mögliches Gesetz.
Gleichzeitig gibt es in Unternehmen Unsicherheit, wie mit dem Urteil umzugehen ist. Auch die Politik steht jetzt vor der Frage, wie sie reagiert. Axel Woeller, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Berlin, warnt, das Urteil könne mit dem Wunsch nach mobilem Arbeiten kollidieren. „Gerade junge Menschen möchten flexibel arbeiten und geografisch nicht gebunden sein“, sagte Woeller. Doch wer im Homeoffice zwischendurch die Kinder betreue und die entsprechende Arbeitszeit am Abend nachhole, gerate mit einer anderen Regelung in Konflikt. Denn nach dem deutschen Arbeitsrecht müssten elf Stunden Ruhezeit zwischen den Arbeitszeiten liegen.
Betriebsräte von VW und Berliner Charité äußern sich
Die Reaktionen in den Unternehmen fallen unterschiedlich aus. Aus dem VW-Betriebsrat hieß es, um zu sehen, ob und wie Regelungen im eigenen Unternehmen betroffen seien, müsse man erst das schriftliche Urteil prüfen. „Wir sind da tiefenentspannt“, sagte hingegen Jörg Pawlowski, Sprecher des Betriebsrats für Klinikpersonal an der Charité, „wir erfassen unsere Arbeitszeit seit Jahren elektronisch gekoppelt an den Dienstplan und das ist auch erhaltenswert.“
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Im Bundesarbeitsministerium will man sich jetzt eingehend mit dem Urteil beschäftigen. „Welche Weiterungen sich aus dem Urteil nun für den Gesetzgeber ergeben, kann erst nach Vorliegen der Urteilsbegründung beurteilt werden“, hieß es. Das Ministerium werde den Sachverhalt genau prüfen und dann reagieren.
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