Pekings geheimer Plan mit Taiwan: Greift China schon bald die Insel an?
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ARCHIV - Soldaten der chinesischen Armee nehmen am 19.11.2016 an einem Militärmanöver der Shanghai Cooperation Organization (SCO) in Balyktschy, Kirgisistan, teil. (Zu dpa «Report: China rüstet weiter auf - Ärger um Verteidigungsetat der Nato» vom 14.02.2017) Foto: Igor Kovalenko/EPA/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Was plant die andere Seite? In der globalen Politik ist das eine entscheidende Frage, die am Ende über Krieg und Frieden, Existenz oder Nichtexistenz, Leben und Tod entscheidet. Im Fall Russlands hat sich die Völkerfamilie täuschen lassen und ist am Morgen des 24. Februar 2022 mit der Realität eines Krieges aufgewacht, der für nicht möglich gehalten wurde. Im Westen hat das zu einem Trauma geführt, zu einem Paradigmenwechsel: Seitdem haben Misstrauen und die Befürchtung weiterer militärischer Konflikte klar Priorität.
Nicht die Tatsache, dass China irgendwann Taiwan militärisch attackiert, schien offen, sondern nur die Frage, wann das geschieht. Der renommierte amerikanische Verteidigungsexperte Timothy R. Heath vom Thinktank Rand, vermutlich der versierteste China-Kenner der westlichen Welt, hat jetzt auf der Analyseplattform „War on the Rocks“ eine lange und fundierte Analyse über Chinas gegenwärtige Politik veröffentlicht.
Grundlage seiner Untersuchung sind US-Geheimdiensterkenntnisse, Veröffentlichungen der chinesischen Kommunistischen Partei (KP), Äußerungen der führenden chinesischen Politiker sowie – der vielleicht maßgebliche Anteil – seine Kenntnisse der politischen Kultur, der Geschichte und Ideologie des Landes. Weil vieles, was im Westen zunächst bedrohlich und irritierend erscheint, im Kontext einer Einparteiendiktatur fernöstlicher Prägung gesehen, verstanden und eingeordnet werden muss.
Taiwan beginnt Militärmanöver – chinesische Invasion simuliert
Das Manöver sei geplant und keine Reaktion auf die chinesischen Militärmanöver der vergangenen Tage, hieß es. Auch China setzte die Manöver vor Taiwan fort.
© Quelle: Reuters
Verfolgt man die Nachrichten, dann schien kein Brennpunkt der Weltpolitik 2023 einem Krieg näher zu sein als diese Weltregion. In einer Umfrage jüngeren Datums unter amerikanischen Topanalysten hielten 63 Prozent der Befragten eine Invasion für „innerhalb der nächsten zehn Jahre möglich“. Noch Mitte September betonte US-Präsident Joe Biden die Bereitschaft der USA, Taiwan dabei zu helfen, eine chinesische Aggression abzuwehren. Japan erhöhte aus Angst davor seine Verteidigungsausgaben, Australien schloss mit Großbritannien und den USA einen Vertrag über die Entwicklung gemeinsamer Atom-U‑Boote.
Xi: Bis 2027 militärische Optionen gegen Taiwan vorbereiten
Es waren gleich mehrere Faktoren, die im Westen Alarm auslösten und die Überzeugung nährten, dass ein Krieg um Taiwan unmittelbar bevorstehe. Da war zunächst eine vom chinesischen Staatspräsidenten Xi für seine Volksbefreiungsarmee formulierte Doktrin, die in etwa lautete, bis 2027 militärische Optionen gegen Taiwan vorzubereiten, basierend auf amerikanischen Geheimdienstberichten.
An der Doktrin bestehen keine Zweifel. Zuvor war bereits Russlands Angriff auf die Ukraine – Peking gab Putin seinen Segen dafür – als eine Art Testlauf gewertet worden: China, so die westliche Deutung, beobachte sehr genau die Reaktion des Westens auf diesen Völkerrechtsbruch, um eigene Expansionspläne daran auszurichten. Zudem sei Pekings grundsätzliches Einverständnis für Putins Aggression ein deutliches Zeichen für die Legitimierung von Angriffskriegen durch die chinesische KP.
Seit der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 beharrt Peking auf dem Ziel der Vereinigung.
Timothy R. Heath,
China-Experte vom Thinktank Rand
Der Politikwissenschaftler Heath, der seit als 20 Jahren militärisch und politisch schwerpunktmäßig über China forscht, glaubt nicht an eine Änderung der chinesischen Taiwan-Doktrin. „Seit der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 beharrt Peking auf dem Ziel der Vereinigung“, schreibt er.
Auch sehe er in der Tonalität, im Duktus chinesischer Bekenntnisse zur Wiedervereinigung mit Taiwan keine neue Qualität. Der damalige Parteichef Jiang Zemin hatte 2002 auf dem 16. Parteitag erklärt: „Die Taiwan-Frage darf sich nicht auf unbestimmte Zeit hinziehen“, und versprach, dass die „vollständige Wiedervereinigung des Mutterlandes“ zu einem unbestimmten „frühen Zeitpunkt“ erreicht werde. Hu Jintao erklärte auf dem 18. Parteitag 2012, dass die „vollständige Wiedervereinigung Chinas ein unwiderstehlicher historischer Prozess“ sei. Selbst Mao, Gründer der Volksrepublik, hätte „regelmäßig solche kompromisslosen Proklamationen herausgegeben“.
Kommunistische Plan-Manie
Der Westen müsse einordnen, dass in China selbst die Zielsetzung von Jahreszahlen – wie eben die Nennung des Jahres 2027 für eine militärische Option – im Zusammenhang mit der kommunistischen Plan-Manie zu sehen und keineswegs als Dogma zu verstehen sei. Was laut Heath zudem gegen eine bevorstehende kriegerische Handlung seitens Pekings spricht, sei das Fehlen einer propagandistischen Orchestrierung solcher Pläne. Zitat: „Peking hat sich auch nicht bemüht, die öffentliche Meinung zugunsten eines Krieges gegen die Insel zu mobilisieren.“
Die nationale Vereinigung mag unter chinesischen Bürgern eine beliebte Idee sein, aber Krieg ist es nicht.
Timothy R. Heath,
China-Experte vom Thinktank Rand
Politische Führer müssen die Menschen für die Bedeutung und die potenziellen Gefahren eines Krieges sensibilisieren, um die öffentliche Unterstützung dafür zu gewinnen. Ein Krieg sei eine große Zumutung für Chinas Öffentlichkeit, er würde zu schweren wirtschaftlichen Störungen und zu großen Opferzahlen führen. Heath: „Die nationale Vereinigung mag unter chinesischen Bürgern eine beliebte Idee sein, aber Krieg ist es nicht.“ Dass Chinesen bereit sind, auch gewaltsam gegen politische Zumutungen aufzubegehren, haben die jüngsten Proteste gegen die repressive Covid-Politik gezeigt.
Was Heath zudem an Chinas Bereitschaft, in nächster Zeit einen krieg gegen Taiwan zu beginnen, zweifeln lässt, ist der Zustand der Volksbefreiungsarmee. Chinas Armee wird zwar aufwendig modernisiert und technisch hochgerüstet, verfügt aber über keinerlei Kriegserfahrung. Zwar gebe es „keinen Grund, an den Warnungen der US-Militärführer zu zweifeln, dass China in jedem Fall eine zunehmend gewaltige Bedrohung Taiwans darstellt“, so Heath, doch „es wäre beispiellos, extrem riskant und ehrlich gesagt bizarr für eine Großmacht wie China, ihr Militär nicht einmal in einer begrenzten Kampfoperation zu testen, bevor sie einen Angriff startet“.
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US-Präsident Joe Biden (rechts) schüttelt dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping bei ihrem Treffen vor dem G20-Gipfel auf Bali die Hand. Es war das erste persönliche Treffen seit Bidens Amtsantritt vor knapp zwei Jahren.
© Quelle: Alex Brandon/AP/dpa
Einen Gegner zu unterschätzen, wie es die USA und der Westen mit Putin getan haben, sei verheerend, so Heath. „Aber die Konfliktbereitschaft eines rivalisierenden Staates zu überschätzen führt zu anderen Nachteilen. Ein übertriebenes Gefahrengefühl kann Spannungen verschärfen und die Wahrnehmung feindseliger Absichten verstärken. Dies könnte wiederum einen Konkurrenten zu einem aggressiveren Verhalten anregen und dadurch ein Sicherheitsdilemma beschleunigen“, so Health, an die Adresse des Weißen Hauses gerichtet.
Tatsächlich scheint die US-Politik solchen Überlegung zu folgen: US-Präsident Biden gab sich jüngst überzeugt, dass die Drohgebärden Chinas zumindest nicht auf einen „unmittelbar bevorstehenden“ Versuch zur Invasion Taiwans hindeuteten. Am Rande des G20-Gipfels auf der indonesischen Insel Bali traf sich Biden mit Chinas Staatschef Xi. Es war das erste persönliche Treffen seit Bidens Amtsantritt vor knapp zwei Jahren.
Mit Agenturmaterial von AP und dpa