Virologin Brinkmann: „Bei der Infektionsdynamik ist die Impfung leider egal“ – Booster schützt
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/45UAO22DQVDIVHRTIACIBB6OFY.jpeg)
Melanie Brinkmann, Virologin am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung.
© Quelle: Michael Sohn/POOL AP/dpa
Hannover/Berlin. Die Regeln scheinen ihren Zweck zu erfüllen. Auch wenn sich die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Deutschland inzwischen jenseits der Marke von 80.000 am Tag bewegt, baut sich die Omikron-Welle im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eher langsam auf. Das gesamte Ausmaß wird zwar erst in den nächsten Wochen sichtbar; und doch besteht die Hoffnung, dass der Schreck jener Variante vorüberzieht und sie die Pandemie vielleicht sogar beendet.
In Großbritannien – dort hatte Omikron schon im Dezember das Infektionsgeschehen beherrscht – geht die Zahl der täglich gemeldeten Neuansteckungen wieder zurück. Auch in Südafrika ließ die Welle zügig nach.
Einen Blick in die Glaskugel wagte am Donnerstagabend die Talkrunde bei Maybrit Illner. Die Sendung stand unter dem Titel: „Welle oder Wende – ändert Omikron die Corona-Politik?“
Eingeladen hatte die Gastgeberin nicht nur Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, und Klaus Holetschek (CSU), Gesundheitsminister von Bayern, sondern auch die Virologin Melanie Brinkmann, den Wissenschaftsjournalisten und Physiker Ranga Yogeshwar sowie die Journalistin Eva Quadbeck, stellvertretende Chefredakteurin des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND).
Holetschek musste sich Kritik anhören, weil Bayern die zuletzt von Bund und Ländern beschlossene 2G-plus-Regel in der Gastronomie nicht anwendet. „Ich staune, dass Bayern das macht“, sagte Schwesig und erinnerte: „Vor Kurzem wurden noch Patienten ausgeflogen.“ Quadbeck betonte: „Ich finde es das völlig falsche Signal.“
Yogeshwar: „Wir erleben allmählich das Ausbleichen der Pandemie“
Doch der bayerische Gesundheitsminister ließ das alles leidenschaftslos über sich ergehen, bevor die Virologin Melanie Brinkmann ein erstes Ausrufezeichen setzte. „Die Boosterung hilft noch mal sehr“, konstatierte sie, schob mit Blick auf die durch Omikron angeschobene Zahl an Neuansteckungen jedoch nach: „Bei der Infektionsdynamik ist die Impfung leider egal.“
Drei Immunisierungen würden das individuelle Risiko, schwer zu erkranken, zwar stark reduzieren. Aktuell sei jedoch „das Problem, dass wir so viele Ungeimpfte haben“. Obwohl die Inzidenzwerte stiegen, bliebe die Belegung der Intensivstationen unten, sagte Brinkmann. „Das korreliert aber sehr stark mit der Impfquote.“ Allzu viel Optimismus verstreute sie nicht.
Ranga Yogeshwar sagte immerhin: „Wir erleben allmählich das Ausbleichen der Pandemie.“ Auch er haderte allerdings mit der hohen Zahl an nicht geimpften Personen in Deutschland und zeichnete dann doch ein düsteres Bild der nahen Zukunft. Die viel zitierte Omikron-Wand, mahnte er, „die kommt, das wissen wir alle“. In drei bis vier Wochen werde man täglich mehr als 200.000 Neuinfektionen erleben.
Danach kam die Runde am interessantesten und kontroversesten Punkt des Talkshow-Abends an: der Debatte über eine allgemeine Impfpflicht. Vor allem Quadbeck und Schwesig diskutierten eifrig miteinander. Erstere ging hart mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ins Gericht, weil er nun entgegen einer vorherigen Ankündigung doch keinen eigenen Gesetzentwurf vorlegen möchte. „Das ist etwas“, sagte Quadbeck, „wo die Leute bestimmt nicht mehr mitkommen.“ Lauterbach verspiele an dieser Stelle viel Vertrauen.
Schwesig argumentierte, dass Lauterbach die Initiative bewusst dem Bundestag überlassen wolle – und dies ihrer Meinung nach in einer solch ethischen Angelegenheit das richtige Vorgehen sei. „Ich finde seine Entscheidung nachvollziehbar“, sagte sie. Doch Quadbeck erwiderte, man hätte sich „schnell um 180 Grad drehen“ müssen, nachdem die Politik eine Impfpflicht zuvor lange und konsequent abgelehnt habe. „Jetzt zerfasert diese Debatte.“
Daher werde es „immer unwahrscheinlicher, dass wir die Impfpflicht bekommen“. Den Schlussstrich setzte Quadbeck unter diese Debatte mit der Aussage: „Die Ampel hat keine Mehrheit für die Impfpflicht.“ Schon allein aus diesem Grund benötige sie für ihr Vorhaben eine fraktionsoffene Abstimmung.
Brinkmann: „Covid-19 ist keine Grippe“
Yogeshwar gab zu bedenken, dass „wir durch eine Pflicht so etwas wie eine Trotzreaktion erzeugen“, und kritisierte die Lagerbildung, zu der auch die Politik mit ihrer Sprache beigetragen habe. So gebe es etwa unter den Impfgegnern „auch Spinner, aber nicht nur“. Letztlich werfe man verschiedene Gruppen ohne Differenzierung in einen Topf. Kommunikativ „haben wir einen Weg eingeschlagen, der eine Sackgasse ist“.
Außerdem stürzte sich die Runde auf die mangelnde Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen. „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir bei der Datenlage immer wieder auf Schätzungen angewiesen sind“, sagte Holetschek, ohne die Miene zu verziehen. „Ich würde mir wünschen, dass die Datenlage präziser wird.“ Das hänge mit der Digitalisierung zusammen, „da müssen wir aus der Pandemie lernen“.
Quadbeck kritisierte, Bund und Länder seien nicht in der Lage, zusätzliches Personal etwa in den Gesundheitsämtern einzustellen, obwohl das nötige Geld vorhanden sei. Brinkmann ergänzte: „Man versucht seit 2003, das Gesundheitssystem in eine elektronische Form zu bringen.“ Während einer Pandemie sei die Transformation jedoch schwierig. „Es wäre hilfreich gewesen, wenn es schon existiert hätte.“ Und Yogeshwar schimpfte eloquent über Ämter, die am Wochenende keine Daten übermitteln. Ex-Kanzlerin Merkel habe gesagt, das Virus kenne keine Wochenenden und Feiertage. Aber: „Am Sonntag sah man, dass die Zahlen offenbar Feiertage haben.“
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von glomex GmbH, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Einen wesentlichen Punkt brachte Brinkmann noch an. Sie lehnte den Vergleich des Coronavirus mit der Grippe erneut vehement ab, auch wenn die Omikron-Variante vermeintlich mildere Verläufe auslöse. „Covid-19 ist keine Grippe, es ist eine wirklich schwere Krankheit“, betonte sie. „Die Natur ist grausam.“