Wahlen in Italien: Staatsoberhaupt verzweifelt gesucht
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Ein Parlamentsangestellter sammelt eine Wahlurne im italienischen Parlament ein. Der sechste Wahlgang zur Wahl eines neuen italienischen Staatspräsidenten endete ergebnislos.
© Quelle: Filippo Monteforte/Pool AFP/AP/d
Rom. Zurück zum Start: So lautete das Verdikt gestern auch nach den Wahlgängen Nummer fünf und sechs, bei denen erneut kein Kandidat und keine Kandidatin die erforderliche absolute Mehrheit von 505 Stimmen erreichte. Wie sollten sie auch: In den bisherigen Wahlgängen hatte sich jeweils knapp die Hälfte der 1009 Mitglieder der vereinigten Parlamentskammern der Stimme enthalten oder einen leeren Wahlzettel eingelegt.
Die übrigen Stimmen verteilten sich in der Regel auf den amtierenden Amtsinhaber Sergio Mattarella, der gar nicht wieder gewählt werden will, und auf Jux-und Phantasiekandidaten wie Terence Hill, Dino Zoff oder den Pornodarsteller Rocco Siffredi.
Lustig finden dies immer weniger Menschen in Italien, und auch unter den stimmberechtigten Delegierten beginnt sich Unmut breitzumachen. „Wenn wir nicht sehr bald einen neuen Präsidenten haben, gehe ich wieder nach Hause: Ich habe nämlich zu arbeiten“, erklärte gestern der Präsident der Region Ligurien, Giovanni Toti. So wie Toti denken alle Regionalpräsidenten. Allein: Die gut bezahlten römischen Berufspolitiker, die „Senatori“ und die „Onorevoli“ (Ehrenwerte), kümmert dies wenig. Sie haben, außer im Parlament zu sitzen, ja nicht viel anderes zu tun.
Das italienische Parlament blamiert sich gerade vor der ganzen Nation und dem Rest der Welt – und eine besonders ungünstige Figur macht dabei Lega-Chef Matteo Salvini, der so gerne der „King Maker“ dieser Staatspräsidentenwahl wäre. Gestern schickte er im zweiten Wahlgang Senatspräsidentin Maria Elisabetta Alberti Casellati ins Rennen und riskierte damit eine Regierungskrise: Die Kandidatur der 75-jährigen engen Berlusconi-Vertrauten wurde von den meisten Koalitionspartnern der Lega in der Regierung von Mario Draghi als Provokation empfunden, insbesondere vom sozialdemokratischen PD. Am Ende hat Casellati aber nicht einmal alle Stimmen aus dem Rechtslager erhalten – und Salvini die nächste Schlappe eingefahren.
Nach dem Schiffbruch des Duos Salvini/Casellati wurde gestern Abend erstmals seit Beginn der peniblen Staatspräsidentensuche am selben Tag ein zweiter Wahlgang durchgeführt – bei dem die Rechtsparteien wieder einmal Stimmenthaltung beschlossen und die Linksparteien einmal mehr leere Wahlzettel einlegten. Damit war schon vor Beginn der Auszählung klar, dass es auch bei dieser Runde keinen Sieger geben wird. Man hätte den Wahlgang also genauso gut abblasen und eine Pizza essen gehen können. Für Sergio Mattarella gab es erneut Hunderte von Stimmen – ob ihn dies freut, ist fraglich.
Besonders ärgerlich ist das politische Eile-mit-Weile-Spiel, weil ein Kandidat zur Verfügung stünde, der alle Anforderungen an das Amt erfüllen würde, die man sich nur wünschen kann: Mario Draghi. Der bisherige Regierungschef hat die notwendige Kompetenz, genießt hohes internationales Ansehen, und er steht weit über den Niederungen der Parteipolitik. Mit etwas gutem Willen würde man auch eine geeignete Persönlichkeit finden, die ihn als Premier ersetzt und die begonnene Reformpolitik noch ein Jahr weiterführt: Im Frühling 2023 ist ohnehin Schluss, weil die Legislatur zu Ende ist und ein neues Parlament gewählt wird.
Draghis Problem besteht darin, dass es in allen Parteien Leute gibt, die ihn nicht mögen, zum Teil aus sehr durchschaubaren Gründen. Einer von ihnen ist Giuseppe Conte, ehemaliger Regierungschef und heute, zumindest auf dem Papier, Chef der Fünf-Sterne-Bewegung. Conte musste seinen Sessel als Premier für Draghi räumen und ist deswegen heute noch beleidigt. Im PD dagegen intrigiert der einflussreiche Kulturminister Dario Franceschini im Hintergrund gegen eine „Beförderung“ Draghis, weil er gerne selber Staatspräsident würde. Lega-Chef Salvini wiederum befürchtet, dass eine Wahl Draghis als Triumph seiner Rivalin Giorgia Meloni, Chefin der Postfaschisten, interpretiert werden könnte.
Conte, Franceschini und Salvini: Im Grunde sind sie in ihren Parteien mit ihrer Opposition gegen Draghi in der Minderheit. Und deswegen gilt der ehemalige EZB-Chef letztlich immer noch als Favorit. Doch die ständigen offenen Distanzierungen und versteckten Attacken beschädigen ihn. Es wäre also an der Zeit, dass sich die Parteiführer aufraffen und den taktischen Spielchen ein Ende bereiten. Vielleicht klappt es ja heute am Samstag: Wahlgang Nummer sieben und acht stehen auf dem Programm.