Kommentar

Warum der Krieg gegen die Ukraine auch ein Krieg gegen den Klimaschutz ist

Verzichten aufs Erdgas? Viele Wunschträume sind in den vergangenen Monaten verraucht.

Verzichten aufs Erdgas? Viele Wunschträume sind in den vergangenen Monaten verraucht.

Die Tage werden kürzer, die Kämpfe in der Ukraine immer länger, und Deutschland erlebt gerade den Wechsel vom Wunsch zur Wirklichkeit. Als die Russen frisch ins Nachbarland eingefallen und die Folgen für die Bundesrepublik noch nicht recht absehbar waren, da überwogen hierzulande noch eine berechtigte Empörung und ein gewisses Wunschdenken darüber, wie es weitergehen könnte.

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CDU-Chef Friedrich Merz etwa forderte kurz nach Kriegsbeginn, neben Nord Stream 2 auch die bereits laufende Pipeline Nord Stream 1 zu boykottieren: Diese „neue Qualität in den Sanktionen“ sei angesichts der Kriegsverbrechen nötig – selbst wenn so die Gasversorgung in Deutschland eingeschränkt würde.

Zur gleichen Zeit erklärten einige Politikerinnen und Politiker sowie Expertinnen und Experten, der Krieg könne langfristig womöglich die Energiewende beschleunigen – weil durch den Mangel und die Abwendung von russischem Gas der reale Druck steige, den Umstieg von fossilen, klimafeindlichen auf erneuerbare und eben heimische Energien zu forcieren. FDP-Chef Christian Lindner sprach von „Freiheitsenergien“.

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Inzwischen hat die Realität den Traum überholt, vom russischen Gas schnell loszukommen – im Gegenteil: dass Putin es uns abdrehen und die Preise in weitere Höhen treiben könnte, löst ungekannte Ängste aus. Die Idee, bei all dem Grauen könnte zumindest der Klimaschutz profitieren, wirkt heute fast naiv.

In Friedenszeiten wäre Ruf nach mehr Klimaschutz unüberhörbar

Besonders bitter ist das nach einem Sommer voller Dürren, Waldbrände und Hitze in Europa, der das Ausmaß der Klimakrise verdeutlichte, die sich ja nicht mehr umkehren, sondern bestenfalls bremsen lässt. In Friedenszeiten wäre daraus erheblicher Druck auf die Politik entstanden.

Dass der Krieg andere Prioritäten ist verheerend, weil wir so schon heute für die Krisen von morgen sorgen. Doch diese Klage ist müßig, denn in keiner Demokratie der Welt könnte die Politik etwas anderes tun als für die Versorgungssicherheit mit Strom, Wärme und Brennstoff von heute den Schutz des Klimas von morgen auszusetzen.

„Bitter, aber unumgänglich“: Greenpeace befürwortet Wiederbetrieb von Steinkohlekraftwerken
29.08.2022, Nordrhein-Westfalen, Petershagen: Blick auf das Steinkohlekraftwerk Heyden mit einer grünen Verkehrsampel davor und zwei Schilder mit Pfeilen. In Deutschland ist ein weiteres Steinkohlekraftwerk aus der Reserve geholt worden, um den Erdgasverbrauch in der Stromproduktion zu senken. Das Kraftwerk Heyden an der Grenze zu Niedersachsen sei seit Montagfrüh 5.30 Uhr wieder regulär am Netz, sagte ein Sprecher des Betreibers Uniper. Foto: Friso Gentsch/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Das Kraftwerk Heyden war eines der leistungsstärksten Steinkohlekraftwerke Deutschlands. Nun soll es wieder im großen Stil Strom produzieren, um Gas zu sparen.

Heute ist klar, dass Sorge des – Achtung: grünen – Bundesministers für Wirtschaft, Energie und – Achtung: – Klima, Robert Habeck wahr geworden ist, die er schon vor einem halben Jahr geäußert hat: Wegen der Krise muss er die schlimmsten CO₂-Schleudern, die Kohlekraftwerke, länger laufen lassen.

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Auch Habecks Energiesparverordnungen wären in Friedenszeiten zwar der Traum von Klimaschützerinnen und ‑schützern gewesen, weil keine Energie so billig und klimafreundlich ist wie die nicht verbrauchte. Heute aber lösen Verpflichtungen und Tipps zum Energiesparen regelrechte Wut aus in finanziell überforderten Haushalten und Firmen, die sich gar nicht erst leisten können, was sie sparen sollen. Und der Klimaschutzeffekt wird aufgefressen von zusätzlicher Kohle und neuem Flüssiggas – ganz zu schweigen vom überflüssigen Erdgas, das Putin abfackeln lässt.

Wie realistisch ist ein Turbo-Windkraftausbau?

Zusätzlich deprimiert die Frage, wie realistisch ein Turbowindkraft-, Wärmepumpen- und Solarausbau ist, wenn hierzulande die Fachkräfte fehlen und die Rohstoffe dafür aus China kommen, dessen Verhältnis zum Westen sich gerade ebenfalls rapide abkühlt.

Das wiederum wirft große Schatten auf ein Ereignis im November, das vor dem Krieg das Motto erhielt: „Gemeinsam für eine gerechte, ambitionierte Umsetzung JETZT!“ Was da auf der UN-Klimakonferenz in Ägypten umgesetzt werden sollte, war der 2021 vereinbarte Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl – doch von „ambitioniert“ oder „gemeinsam“ träumt niemand mehr im Westen. Denn nicht nur Russland, sondern auch CO₂-Sünder wie China und Indien zeigen derzeit offen, dass sie keinerlei Druck für Öl- und Gasverzicht mehr verspüren.

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Das immerhin beweist: Klimaschutz lebt nicht von Zufallseffekten wie dem Wirtschaftsstillstand während der Corona-Pandemie, sondern nur durch echten Handlungsdruck. Der entsteht entweder aus öffentlicher Aufmerksamkeit, der die Politik zum Handeln zwingt – und das sogar in Autokratien, wie frühere Klimagipfel zeigten. Die Hoffnung ist berechtigt, dass diese Aufmerksamkeit nach Corona und Krieg zurückkehren wird.

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Aber auch ökonomischer Zwang kann Druck erzeugen: Wenn Unternehmen wegen hoher Gaspreise umrüsten auf CO₂-arme Technik, hat das langfristige Wirkung. Dafür reicht ein halbes Kriegsjahr nicht. Aber wenn jetzt neue Weichen gestellt werden, ist das vielleicht doch ein Anfang.

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