Warum nordkoreanische Raketentests US-Präsident Biden auf die Probe stellen
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US-Präsident Joe Biden.
© Quelle: Julio Cortez/AP/dpa
Tokio. Ballistische Geschosse fliegen in Richtung Japanisches Meer; ein amerikanischer Flugzeugträger kreuzt vor der koreanischen Küste; Kampfjets des Nordens nähern sich der Grenze zum Süden; die Weltgemeinschaft verurteilt und zeigt sich besorgt. Das Muster ist nicht neu. Im Laufe der Jahrzehnte ist der Konflikt schon oft in dieser oder ähnlicher Weise hochgekocht. Und einiges deutet darauf hin, dass Pjöngjang auch wieder einen Atomtest vorbereitet.
Einerseits dürfte das Vorgehen Nordkoreas schlicht als ein weiterer Schritt des Landes hin zum Aufbau eines für die USA bedrohlichen Waffenarsenals zu deuten sein. Doch andererseits wirkt die besonders hohe Zahl von Raketentests in diesem Jahr auch fast wie ein verzweifeltes Bemühen um die Aufmerksamkeit eines wichtigen, zuletzt aber reichlich abgelenkten Publikums, das im Grunde aus nur einer Person besteht: US-Präsident Joe Biden.
Washington hat auf die nordkoreanischen Waffentests der vergangenen Wochen mit scharfen Worten reagiert und gemeinsam mit dem Verbündeten Südkorea eigene Raketen starten lassen. Bislang zeigt die Biden-Regierung aber weiterhin kein allzu großes Interesse daran, sich wieder verstärkt auf diesen komplizierten und diplomatisch heiklen Konflikt einzulassen, an dem sich schon etliche US-Präsidenten abgearbeitet haben.
Entwicklung von Atomwaffen vorangetrieben
Der Abschuss zweier Kurzstreckenraketen am Donnerstag war bereits der sechste größere Waffentest Nordkoreas innerhalb von knapp zwei Wochen. Erst am Dienstag hatte Pjöngjang eine Rakete abgefeuert, die über die japanische Inselgruppe hinwegflog, bevor sie im Pazifik landete. Dies war der bisher weiteste Flug einer nordkoreanischen Rakete – so weit, dass auch militärische Anlagen der USA auf der Insel Guam in Reichweite gewesen wären. Am Donnerstag schickte Pjöngjang zudem zwölf Kampfjets in die Nähe der innerkoreanischen Grenze. Im Gegenzug ließ Seoul seinerseits 30 Militärflugzeuge starten.
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Nordkorea ist zwar nur ein kleines, verarmtes und international isoliertes Land. Mit viel Beharrlichkeit und zum Teil auch kühnen politischen Manövern hat es die autoritäre Regierung trotzdem geschafft, die Entwicklung von Atomwaffen voranzutreiben. Für Machthaber Kim Jong Un erfüllt jeder Raketentest dabei mindestens drei Zwecke: Erstens kann er sich gegenüber der eigenen Bevölkerung als ein starker Führer präsentieren, der nicht vor ausländischen Feinden zurückschreckt; zweitens können seine Wissenschaftler an der Lösung von technischen Fragen arbeiten; und drittens wird ein Signal an die Welt – und insbesondere an die USA – gesandt.
Die USA mögen noch so sehr mit anderen Herausforderungen beschäftigt sein – vom russischen Angriffskrieg in der Ukraine über Spannungen mit China bis hin zu Problemen in der eigenen Wirtschaft. Mit den jüngsten Raketentests hat Kim wirksam daran erinnert, dass auch der Konflikt in Korea jederzeit eskalieren könnte. Sein Ziel dabei ist eine amerikanische Anerkennung seines Landes als Atommacht und ein Ende der internationalen Sanktionen.
Wie lange kann Kim noch Verhandlungen ablehnen?
Zuletzt betonte Pjöngjang stets, Verhandlungen seien erst dann möglich, wenn Washington seine „Feindseligkeit“ beende. Neben den Sanktionen dürfte damit vor allem die starke militärische Präsenz der USA in Südkorea gemeint sein. Die jährlichen gemeinsamen Militärmanöver dieser beiden Länder kritisiert Nordkorea als Vorbereitungen für eine mögliche Invasion. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie lange Kim es sich noch leisten kann, Verhandlungen abzulehnen.
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© Quelle: dpa
Die Wirtschaft Nordkoreas – die zu keinem Zeitpunkt besonders stark war – scheint derzeit so schwach wie noch nie seit Kims Machtübernahme zu sein. Nach drei Jahren, die von der Corona-Pandemie, zermürbenden Sanktionen, Naturkatastrophen und Missmanagement der Regierung geprägt waren, ist die Lage im Land prekär. Die jüngsten Raketentests sind womöglich auch eine Strategie, um bei künftigen Verhandlungen mehr Zugeständnisse erzwingen zu können.
Auch gegenüber dem früheren US-Präsidenten Donald Trump hatte Nordkorea mit Raketen- und Atomtests zunächst Druck ausgeübt. In den Jahren 2018 und 2019 traf sich Trump dann persönlich mit Kim. Am Ende scheiterten die Verhandlungen. Biden signalisierte nach seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr die Bereitschaft, Sanktionen schrittweise zu lockern, wenn Nordkorea Teile seines Atomprogramms aufgebe. Langfristiges Ziel der USA bleibt eine komplette Denuklearisierung des asiatischen Landes. Aus Sicht vieler Experten ist dieses Ziel inzwischen aber kaum noch realistisch. Denn für Kim ist das Atomprogramm praktisch der einzige Garant für den Machterhalt.
Momente der Panik
Aktuell stehen die Zeichen ohnehin eher auf Konfrontation. Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen schickten die USA ihren Flugzeugträger „Ronald Reagan“ in die Gewässer östlich von Südkorea, was Pjöngjang als „ernsthafte Bedrohung für die Stabilität der Lage auf der koreanischen Halbinsel“ bezeichnete. Das weitere Vorgehen dürfte Washington stark von den Reaktionen in den verbündeten Staaten in der Region abhängig machen.
Als am Dienstag eine Rakete über Japan hinwegflog, gab es dort Momente der Panik: Im Norden des Landes wurden Evakuierungen angeordnet, Zugverbindungen wurden eingestellt und Zeitungen veröffentlichten Sonderausgaben. In Südkorea, dessen Hauptstadt Seoul nur etwa eine Autostunde von der stark militarisierten Grenze zum Norden entfernt liegt, kommen bei jedem Fortschreiten des nordkoreanischen Atomprogramms neue Zweifel auf, ob Washington das Land wirklich ausreichend beschützen könne – oft verbunden mit Forderungen nach einem eigenen Atomprogramm.
Denn die Frage ist die: Sollte Pjöngjang bald in der Lage sein, mit Atomraketen Städte auf dem amerikanischen Festland ins Visier zu nehmen – würde Washington dann im Falle eines Angriffs des Nordens auf den Süden wirklich eingreifen? Für die kommenden Wochen rechnen Experten mit weiteren Raketentests oder gar mit einem weiteren Atomtest – eventuell auch zeitlich abgestimmt auf die für Biden wichtigen Zwischenwahlen im November.
RND/AP