Weil bei „Maybrit Illner“: Söder wird „einer der populärsten Politiker auf ‚Querdenker‘-Demos“
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Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat seinem bayerischen Amtskollegen Markus Söder (CSU) bei „Maybrit Illner” schwere Vorwürfe gemacht (Archivbild).
© Quelle: Moritz Frankenberg/dpa
Berlin/Hannover. Die europäischen Staaten lockern immer weiter ihre geltenden Corona-Beschränkungen. Auch in Deutschland werden die Rufe nach Lockerungen immer lauter. Manche Landesregierungen preschen bereits vor und setzen sich vom harten Kurs der Bundesregierung ab. Dabei sorgte zuletzt vor allem die Ankündigung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, die einrichtungsbezogene Impfpflicht im Freistaat vorübergehend auszusetzen, für kontroverse Diskussionen. Auch Maybrit Illner hat am Donnerstagabend mit ihren Gästen über den Vorstoß aus Bayern diskutiert.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) betonte vorneweg, dass das Bundesrecht über dem Landesrecht stehe. Er sei deshalb „fest davon überzeugt, dass das Bundesrecht vollzogen wird“. Eine Spitze gegen Söder konnte er sich dennoch nicht verkneifen. Wie bereits zuvor auf Twitter sagte er: „Tyrannei ist nicht mehr fern, wenn sich die Inhaber der Macht selber aussuchen, ob sie sich an Gesetze halten oder nicht.“ Das Gesetz zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht sei beschlossen worden, auch mit großer Unterstützung der CSU. Deshalb könne daran nicht mehr gerüttelt werden. „Wir leben noch immer in einem Rechtsstaat.“
Dem bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) gefiel gar nicht, was er vom Justizminister hörte. „Herr Buschmann vergreift sich vollständig in der Wortwahl“, sagte er und sprang seinem Parteikollegen Söder zur Seite. „Die Teilimpfpflicht hat den Praxischeck nicht bestanden.“ Niemand sei gegen diese, aber es gebe zu viele offene Fragen, „klare Leitplanken“ und Hinweise zum Vollzug würden fehlen. Holetschek betonte einen drohenden Mehraufwand für die ohnehin schon überlasteten Gesundheitsämter.
Weil mit scharfer Kritik an Söder
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) stellte die rhetorische Frage, was aus dem bayerischen Stolz auf die eigene Verwaltungskompetenz passiert sei. Immerhin würden es Schleswig-Holstein oder Niedersachsen auch schaffen. Die Frage von Illner, ob er nun eine Abwanderung von ungeimpften Pflegekräften nach Bayern befürchte, verneinte er und argumentierte damit, dass in Niedersachsen nur „fünf Prozent“ der Berufsgruppe nicht geimpft sei. Der Anteil würde sich durch die Impfpflicht weiter verringern, so seine Vermutung.
Doch auch aus einem anderen Grund würden viele der Pflegenden in seinem Bundesland bleiben: „Weil sie nämlich den Wert einer stetigen Regierungstätigkeit zu würdigen wissen“, schoss Weil scharf in Richtung der bayerischen Landesregierung und wurde noch deutlicher. Er befürchte, dass Söder „demnächst einer der populärsten Politiker auf ‚Querdenker‘-Demos“ sein werde. „Denn das, was er gemacht hat, spielt denen wirklich in die Karten. Und das ist das, was mich am meisten aufregt bei dieser Posse der letzten Tage.“
Holetschek blieb der CSU-Linie zur Teilimpfpflicht treu und konterte: „Es spielt den ‚Querdenkern‘ mehr in die Hände, wenn ein Gesetz nicht vernünftig vollzogen werden kann.“ In diesem Zuge kritisierte er zudem, dass die Bundestagsdebatte zur allgemeinen Impfpflicht von kommender Woche auf Ende März verschoben wurde. „Da frage ich mich schon, wo wir mit dem Finger hinzeigen.“ Buschmann war irritiert: „Es wundert mich, wenn Sie nicht mal eine einrichtungsbezogene Impfpflicht durchsetzen können, wie Sie dann eine allgemeine Impfpflicht durchsetzen wollen. Das ist schon eine etwas wunderliche Argumentation.“ Die Diskussionen hätten nicht viel miteinander zu tun.
Mediziner: Impfpflichtdiskussion ist viel zu spät
Für den Humanmediziner Johannes Wimmer kommt die Impfpflichtdiskussion generell viel zu spät. „Wir sprechen jetzt über eine Impfpflicht, wo der Zug eigentlich abgefahren ist.“ Er könne alle verstehen, die der Politik nicht mehr folgen könnten. Angesichts der aktuellen Virusentwicklungen sei eine Impfpflicht nicht mehr notwendig, sagte er. Aus seiner Sicht hätte diese bereits mit der Verfügbarkeit der Impfstoffe durchgesetzt werden müssen, auch wenn er wisse, dass die Ressourcen zu dem Zeitpunkt knapp waren, aber: „Dann hätte sie einen Effekt gehabt.“
Angesichts der derzeit häufig auftretenden Omikron-Infektionen trotz Boosterimpfungen, brachte Virologin Helga Rübsamen-Schaeff noch eine ganz andere Frage in die Diskussion ein: „Wenn wir bald omikroangepasste Impfstoffe haben: Sollen wir die verwenden oder sollen wir noch die alten Impfstoffe nehmen?“ Es müsse nun geklärt werden, wer die angepassten Vakzine bekommt und ob Pflegende und vulnerable Gruppen priorisiert werden müssten. Sie stimmte Wimmer zu, die Impfpflicht hätte bereits viel früher kommen müssen. Dennoch müssten Menschen, die mit vulnerablen Gruppen arbeiten, „eine Verpflichtung haben“, so die Virologin.
Ist die generelle Impfpflicht wegen Omikron vom Tisch?
Eine Impfpflicht direkt zu Beginn der Impfkampagne einzuführen, ohne vorher zu versuchen, eine hohe Impfquote auf freiwilliger Basis zu erlangen, wäre nicht leicht geworden, wandte Weil ein. Der SPD-Politiker warnte vor einer neuen Welle im kommenden Herbst und Winter. „Wir wissen noch nicht, was der Gegner sein wird.“ Man könne nicht vorhersagen, ob es eine „Schmusekatze oder ein Tiger“ – also eine mildere oder eine gefährlichere Variante – werden könnte. Die Impfpflicht sei ein wichtiger Schritt für den Ausweg aus der Pandemie, so Weil.
Buschmann gab jedoch zu Bedenken, dass Omikron die Grundlage für viele Maßnahmen entziehen könnte. Gemessen an der Verfassung müsse immer geprüft werden, ob es mildere Mittel gebe, erläuterte der Justizminister. Es müsse deshalb nun abgewogen werden, ob es noch eine allgemeine Impfpflicht geben muss oder ob etwa auch eine altersbezogene Impfpflicht oder gar nur der Einsatz von Corona-Medikamenten ausreichen könnte.