Welternährung in Gefahr: Warum Bangladesch hungert, wenn in der Ukraine Krieg ist
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Dhaka, Bangladesch: Ein Kind holt Wasser für seine Familie.
© Quelle: imago images/ZUMA Wire
Berlin. Blau und Gelb sind die Farben der ukrainischen Flagge, zwei gleich große Blöcke.
Blau und Gelb – der Himmel und das Kornfeld. Es ist eine ruhige, friedliche Symbolik und eine, die den Beinamen abbildet, den die Ukraine bekommen hat: Als Kornkammer Europas gilt das Land mit seinen 32 Millionen Hektar Ackerfläche, dreimal so viel wie in Deutschland.
Von Ruhe und Frieden kann nun keine Rede mehr sein, seit Russland vor nunmehr bald drei Wochen sein Nachbarland angegriffen hat. Im Osten des Landes war es schon vorher brenzlig. Durch das Land rollen Panzer, es wird geschossen, Städte werden verwüstet, Menschen sterben, bangen, fliehen.
Krieg in der Ukraine: Tote nach Explosion in Kiew – Beschuss durch russische Armee gemeldet
Nach Angaben von Augenzeugen wurden mindestens zwei Menschen getötet. Das ukrainische Staatsfernsehen hatte zuvor von einer getöteten Person berichtet.
© Quelle: Reuters
Das Gelb der Fahne bekommt blutige Spuren – und wenn der Krieg nicht sehr schnell aufhört, wird sich noch eine weitere Farbe hineinmischen: das Braun für unbestellten Ackerboden. Das hat Folgen für die Ukraine, und es hat Folgen für die Welt. Die lassen sich in einem Wort zusammenfassen: Hunger.
Zerstörte Straßen, verminte Häfen
„In zwei Wochen müssen wir auf die Felder, sonst können wir die Frühjahrssaat nicht mehr in die Erde bringen“, sagt Kees Huizinga, ein Niederländer, der 200 Kilometer südlich der Hauptstadt Kiew einen Großbetrieb mit 15.000 Hektar Acker- und Weideland betreibt. Weizen, Gerste, Raps, Zuckerrüben, Sonnenblumen, Mais und Soja baut er dort an, und Rinder hält er außerdem.
Aber Feldarbeit ist gefährlich im Krieg. Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmittel sind nicht angekommen. Transportwege sind unterbrochen: Straßen zerstört, Häfen vermint. Das ukrainische Landwirtschaftsministerium teilt mit: 20.000 Tonnen Diesel, bestellt vor Kriegsausbruch in Belarus für die Bauern im Land, würden nicht geliefert.
Selbst wenn also jetzt Frieden wäre, könnten viele Traktoren nicht fahren. Vielleicht wären dann die Traktorfahrer und sonstigen Arbeiter wieder da, viele sind ja jetzt Soldaten. Bei Huizinga sind allein 25 Arbeiter aufgebrochen, um zu kämpfen. Die Saatsaison beginnt in diesen Wochen, die Erntesaison für das Wintergetreide im Juni, sie dauert bis in den November. „Der Krieg muss jetzt aufhören“, fleht Huizinga.
Wenn nicht, wird man das in der Ukraine spüren, aber auch Tausende Kilometer entfernt. Die Ukraine liegt laut Uno in der Top-Ten-Liste der Getreideexporteure an vorderer Stelle. Sie ist der weltweit wichtigste Exporteur von Sonnenblumenöl, der zweitgrößte Roggenproduzent für den Weltmarkt nach Australien. Beim Weizen steht die Ukraine an Platz fünf der Exporteure, bei Mais und Raps auf Platz drei. Das Netz der Getreidesilos ist dicht, die Landkarte der Ukraine gleicht mit ihnen einem Sternenhimmel in einer sehr klaren Nacht.
Ohne Weizen weniger Brot
Über Straßen und Schienen gelangen die Kerne und Körner oder das Öl an die Häfen – normalerweise. Von dort geht es dann in großen Frachtschiffen weiter in die Welt.
Zum Beispiel in den Libanon, nach Ägypten, nach Bangladesch.
Insgesamt 50 Länder beziehen laut Uno-Welternährungsprogramm FAO Getreide aus der Ukraine und auch aus Russland, viele davon sind Länder, die ohnehin mit Inflation, Hunger und der Versorgung der Bevölkerung kämpfen.
Für Somalia, die Seychellen, Libyen, Pakistan, Djibouti, Tunesien, Libanon ist die Ukraine Weizen-Hauptlieferant. Auch in Indonesien, Äthiopien und Eritrea, Ägypten und Jemen ist Weizen aus der Ukraine wichtig. Fällt der Weizen aus, gibt es, zum Beispiel, weniger Brot. Das liegt auch daran, dass Weizen in vielen etwa afrikanischen Ländern traditionelle Getreidearten verdrängt hat.
Im Libanon macht man sich schon Sorgen
Besonders viel Mais geht unter anderem nach China, Ägypten, in die Türkei und auch in die EU. Sonnenblumenöl wird zu großen Teilen nach Indien, China und in die EU exportiert.
Knapp ein Drittel des Exports aus der Ukraine könnte nun wegfallen, schätzt die FAO.
Im Libanon macht man sich schon jetzt Sorgen. Es ist das Land mit der viertgrößten Inflationsrate weltweit. Drei Viertel der Bevölkerung lebt in Armut. Über 90 Prozent des importierten Getreides kommt dort bisher aus der Ukraine und Russland.
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Die Explosion am Hafen von Beirut 2019 hat bis heute Folgen für den Libanon – und die könnten sich infolge von Putins Krieg noch verschlimmern.
© Quelle: Marwan Naamani/dpa
Und die russischen Importe fallen nun auch weg: Am Montag kündigte der Kreml an, die Ausfuhr unter anderem von Weizen, Gerste und Roggen vorübergehend zu beschränken. Damit solle der Bedarf im Land gesichert und ein Preisauftrieb für Verarbeiter und Verbraucher verhindert werden, teilte die Regierung mit. Für den Libanon und die Hauptimporteure russischen Getreides wie Ägypten, Nigeria, Marokko und Jemen verschärft der russische Exportstopp die Lage weiter.
Und vor zwei Jahren gab es schon einen schweren Schlag: Eine schwere Explosion im Hafen der Hauptstadt Beirut zerstörte einen der größten Weizen-Silos des Landes. „Der Ukraine-Krieg ist ein zusätzliches Desaster“, sagt der Beiruter Büroleiter der Welthungerhilfe, Lennart Lehmann, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Welthungerhilfe in Beirut: Ernährungssicherheit stark gefährdet
Seit der Hafenexplosion könne der Libanon Weizen nur noch für einen Monat im Voraus lagern. Aus der Ukraine sei das Getreide innerhalb einer Woche im Land, aus den USA oder Indien brauche die Lieferung bis zu vier Wochen. Die Ernährungssicherheit sei nun stark gefährdet. Ohnehin stiegen die Preise angesichts erhöhter Benzinpreise und der Inflation deutlich.
Viele Libanesen bäten nun Verwandte im Ausland um Geld, berichtet Lehmann. Immer mehr planten, das Land zu verlassen. „Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wie“, sagt Lehmann. Eigentlich seien die Menschen im Libanon stolz auf ihr Land. „Aber viele haben jetzt aufgegeben“, sagt Lehmann.
Viele Syrer befürchten zudem, dass ihr Land wegen des Kriegs in der Ukraine nicht mehr wahrgenommen wird und die Hilfslieferungen der internationalen Gemeinschaft ausbleiben.
Kristof Kleemann,
Regionalbüro der Friedrich-Naumann-Stiftung
Kristof Kleemann vom Regionalbüro der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung verweist auf ein Land, das vor sieben Jahren im Fokus stand und in dem immer noch Bürgerkrieg herrscht. „Syrien wird ein ähnliches Problem wie der Libanon bekommen“, sagt Kleemann. Die Versorgung mit Lebensmitteln werde einbrechen. „Viele Syrer befürchten zudem, dass ihr Land wegen des Kriegs in der Ukraine nicht mehr wahrgenommen wird und die Hilfslieferungen der internationalen Gemeinschaft ausbleiben.“
Bangladesch wird ebenfalls nervös
Aus Bangladesch berichtet die Welthungerhilfe, schon jetzt seien einige Frachtladungen wegen des russischen Kriegs in der Ukraine nicht angekommen. „Wegen des Kriegs zwischen der Ukraine und Russland sind die Lebensmittelpreise signifikant gestiegen.“ Öl zum Kochen sei seit der russischen Invasion um 42 Prozent teurer geworden, Weizen um 39 Prozent. Reis, eines der Hauptnahrungsmittel, koste nun 80 Cent statt 69 Cent.
Und dann gibt es noch die Länder, die nicht direkt aus der Ukraine beliefert werden, aber dennoch Auswirkungen befürchten – wegen der steigenden Preise. Denn wenn etwa der Weizen knapp wird, wird er auch teurer, auch wenn er nicht aus der Ukraine kommt. Auch Transportkosten könnten steigen, nicht zuletzt durch höhere Versicherungskosten für Schiffe im Schwarzen Meer.
Und auf diese Weise schwappt der Krieg gegen die Ukraine möglicherweise nach Haiti: „Alles, was Preise betrifft, betrifft auch Haiti“, sagt Annalisa Lombardo vom örtlichen Büro der Welthungerhilfe. Teurerer Weizen, höhere Preise für Treibstoff – ein weiteres Problem für das armutsgeplagte Land.
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Haiti, Port-au-Prince: Auch Tausende Kilometer weiter werden Menschen die Folgen von Putins Kriegs zu spüren bekommen – gerade in ärmeren Staaten.
© Quelle: Rebecca Blackwell/AP/dpa
Anstieg von Unterernährung
Aus Zimbabwe kommt die Rückmeldung: „Besorgniserregend ist der Anstieg der Gaspreise, was ein wichtiger Brennstoff für das Kochen ist.“ Mehr Abholzung sei zu erwarten – mittel- bis langfristig werde das dem Klima schaden.
So hängt alles mit allem zusammen. Krieg, weniger Lebensmittel, höhere Preise, Hunger. Um acht bis 13 Millionen könne die Zahl der Unterernährten weltweit ansteigen durch den Krieg, schätzt die Uno. Bis zu sechs Millionen im asiatisch-pazifischen Raum, bis zu fünf Millionen mehr in den Ländern südlich der Sahara, im Nahen Osten und Nordafrika noch mal bis zu einer Million. Hunger ist ein zentraler Fluchtgrund.
Am Anfang der massiven Fluchtbewegung aus Syrien und seinen Nachbarländern stand 2015 auch ein Hungerproblem: In den Flüchtlingslagern in der Region hatte sich die Versorgungslage verschlechtert, weil internationale Organisationen, allen voran die Uno, von ihren Mitgliedsländern nicht mit ausreichend Geld ausgestattet wurden.
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Die Folgen für Deutschland
Die Reaktionen der großen Staaten bleiben im Allgemeinen: Die G7-Agrarminister kündigten vergangene Woche Nahrungsmittelhilfen für die bedrängte Ukraine an. Sie äußerten Sorgen, warnten vor Spekulation, stellten Hilfen in Aussicht und schlossen sich dem Appell der Uno an, die Märkte für Lebensmittel offen zu halten, um nicht eine weitere Preisspirale in Gang zu setzen.
Uno-Generalsekretär António Guterres warnte am Montag vor einer weltweiten Hungerkrise. „Wir müssen alles tun, um einen Hurrikan des Hungers und einen Zusammenbruch des globalen Ernährungssystems abzuwenden“, sagte der Generalsekretär.
Und in Deutschland? Die Fleisch- und Wurstfabrikanten fordern Preiserhöhungen. Spritpreise und Energiekosten sind hier das Thema. Und, laut dem Großschlachter Tönnies, Nachschubmangel bei Hähnchenbrustfilets aus der Ukraine. Die Bauern klagen über teureren Sprit und über gestiegene Düngerpreise.
Özdemir äußert sich
Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) warnt vor Panik, vor Hamsterkäufen – und davor, den Klimaschutz jetzt hinten anzustellen: „Die Versorgung in Deutschland mit Lebensmitteln ist sichergestellt.“ Und man dürfe die Krisen nicht gegeneinander ausspielen – auch klimabedingte Umweltschäden könnten schließlich Hunger auslösen. Er hat als Ausgleich für Landwirte angeordnet, dass Brachflächen wieder für die Futtermittelproduktion verwendet werden, statt aus ökologischen Gründen ungenutzt zu bleiben.
Sein ukrainischer Amtskollege Roman Leschtschenko hatte sich zu der G7-Konferenz zugeschaltet. Im Hintergrund waren Sandsäcke zu sehen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Landwirte zur Aussaat aufgerufen. „Soweit das möglich ist“, sagte er.