Russlands Krieg in der Ukraine

Wie gut ist Deutschland auf die Integration ukrainischer Flüchtlinge vorbereitet?

Frauen und Kinder kommen nach ihrer Flucht aus der Ukraine am Grenzübergang in Medyka in Polen an.

Frauen und Kinder kommen nach ihrer Flucht aus der Ukraine am Grenzübergang in Medyka in Polen an.

Berlin. Vor sieben Jahren erlebte Deutschland schon einmal die Ankunft Hunderttausender Menschen, die vor einem Krieg in ihrem Heimatland flüchten mussten. Das könnte nun ein Vorteil für die Menschen aus der Ukraine sein, die hierzulande Zuflucht suchen.

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„Es gibt Erfahrungswerte in Deutschland, wie man schnell auf größere Zahlen von ankommenden Flüchtlingen reagiert“, sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Referentin von Pro Asyl. „Die Kommunen sind erprobt und haben hoffentlich ihre Schlüsse von 2015 und 2016 gezogen.“

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Neu im Vergleich zur Ankunft syrischer Flüchtlinge ist jedoch, dass nun hauptsächlich Frauen und Kinder nach Deutschland flüchten. „Wir müssen uns auf diese Situation einstellen und die Frage beantworten: Wie gehen wir mit Kindern und ihren Müttern um, deren Familien durch den Krieg durchweg auseinandergerissen wurden und die im schlimmsten Fall hier bei uns zu Halbwaisen und Witwen werden“, fragt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtverbands.

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Ukrainer dürfen privat unterkommen

Ein Vorteil sei jedoch, dass viele Menschen aus der Ukraine Freunde oder Verwandte in Deutschland haben, bei denen sie unterkommen könnten. „Dadurch, dass sie visafrei einreisen können, sind sie im Gegensatz zu Menschen in Asylverfahren nicht verpflichtet, in Erstaufnahmeeinrichtungen zu wohnen“, sagt Judith von Pro Asyl.

Die persönlichen Kontakte können auch auf andere Weise helfen: Freunde und Verwandte erleichtern die Ankunft, denn sie können als Dolmetscher fungieren und zum Beispiel bei Behördengängen helfen. Gleichzeitig fangen sie die Menschen auf, hören zu und vermitteln das Gefühl, nicht völlig allein in einem fremden Land zu sein.

Trotz dieser guten Startvoraussetzungen dürften auch Probleme entstehen, etwa wenn es um die Integration der geflüchteten Kinder geht. „Es ist enorm wichtig, dass die schulpflichtigen Kinder aus der Ukraine schnell und unbürokratisch Aufnahme an deutschen Schulen finden“, sagt Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands.

Schulen, die über eine bestehende Integrationsinfrastruktur verfügten, wo es also beispielsweise möglich ist, ukrainische Kinder in Willkommens-, Übergangs- und Vorbereitungsklassen zu integrieren oder diese schnell wieder einzurichten, seien da im Vorteil, erklärt Meidinger.

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„Große Herausforderung für die Schulen“

Doch das gilt längst nicht für jede Bildungseinrichtung. „Nach fast zwei Jahren Pandemie und dem ohnehin dramatischen Lehr- und Fachkräftemangel wird das eine große Heraus­forderung für die Schulen“, sagt Anja Bensinger-Stolze, Vorstandsmitglied Schule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Erfahrungsgemäß würden sich die Lehrkräfte sehr für geflüchtete Kinder und Jugendliche engagieren, so Bensinger-Stolze. Trotzdem brauchten die Schulen zusätzliche Fachkräfte. „Denn sowohl Expertise in asylrechtlichen Fragen und für Traumata als auch Lehrkräfte für ‚Deutsch als Zweitsprache‘ sowie herkunftssprachliche Fachkräfte werden verstärkt benötigt.“

Lehrerverband: Bürokratie abbauen

Der Deutsche Lehrerverband fordert deswegen nun die Politik zum Handeln auf. „Da sollte man bürokratische Hürden bei der Personalsuche abbauen und auch von der Politik her die notwendigen Mittel bereitstellen“, sagt Verbandspräsident Meidinger.

Die GEW wünscht sich daneben eine verstärkte Sensibilisierung von Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften im Umgang mit den Themen Krieg, Flucht und Trauma. „Schule muss zum Schutzraum werden. Dafür brauchen die Schulen die Unterstützung der Kommunen und der Schulverwaltung“, betont Bensinger-Stolze.

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Doch wie steht es um rechtliche Fragen? Die EU-Kommission hat am Mittwoch vorge­schlagen, eine gemeinsame Richtlinie in Kraft zu setzen. Diese würde den vorübergehenden Schutz der Ukrainer ohne langes Asylverfahren ermöglichen. Entscheiden werden darüber am Donnerstag die zuständigen Minister.

Mehr Vorteile als andere Flüchtlinge

Pro Asyl begrüßt diesen Vorschlag. „Wir halten die Anwendung dieser Richtlinie für richtig. Für die Menschen ist es wichtig, schnell einen klaren Status zu haben und sich über den Ausgang eines Asylverfahrens keine Sorgen machen zu müssen.“ Die Menschen könnten damit auch sofort arbeiten. „Das sind Vorteile, die andere Flüchtlingsgruppen in den letzten Jahren nicht hatten.“

Wichtig sei jedoch, andere Menschen, die aus der Ukraine fliehen, nicht zu vergessen. Etwa ausländische Studierende, Personen, die aus Somalia, Syrien oder Afghanistan dorthin geflüchtet sind oder schon lange in der Ukraine leben und dort arbeiten. „Es ist wichtig, allen Menschen auf die gleiche unkomplizierte Weise zu helfen, unabhängig von Pass und Staats­angehörigkeit.“

Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband stellt Forderungen an die Politik. Bis eine Entscheidung über den Status der Flüchtlinge falle, brauche es schnelle und pragmatische Lösungen, sagt ihr Geschäftsführer Schneider. Außerdem sollten auch die psychologischen Folgen des Krieges bedacht werden. Für die geflüchteten Frauen und Kinder „müssen systematische Strukturen der psychosozialen Versorgung ausgebaut werden“, sagt Schneider. „Als Wohlfahrtsverbände brauchen wir angesichts der anstehenden Herausforderungen auf jeden Fall verlässliche politische, aber auch finanzielle Unterstützung.“

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