Putins Gas und Öl boykottieren: Welche Abgeordneten sind dafür – und welche dagegen?
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Norbert Röttgen ist ein Befürworter eines Energieembargos gegen Russland.
© Quelle: IMAGO/Future Image
In den vergangenen Wochen haben sich die Bundestagsabgeordneten in erster Linie mit den Folgen des Kriegs Russlands gegen die Ukraine beschäftigt. Eine zentrale Debatte war, ob und wie die Bürgerinnen und Bürger von den steigenden Kosten für fossile Energien entlastet werden können. Am Donnerstag gab es dazu eine Einigung der Regierungsparteien. Eine andere Diskussion drehte sich darum, was zusätzlich unternommen werden soll, um gegen Russlands Präsident Wladimir Putin vorzugehen.
Der Streit über die hohen Preise etwa fürs Tanken auf der einen Seite und ein mögliches Embargo auf Gas, Kohle und Öl aus Russland auf der anderen ließ sich auch in den Sozialen Medien verfolgen, zum Beispiel auf Twitter. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hat die Twitter-Daten aus der zurückliegenden Woche aller rund 600 dort vertretenen Bundestagsabgeordneten ausgewertet und die Meinungsbildung mit einigen Grafiken nachgezeichnet.
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Energiekosten sind der größere Aufreger
Die Analyse der Twitter-Aktivitäten ergab, dass die hohen Spritpreise die Gemüter der Politiker zumindest öffentlich sichtbar weit mehr bewegt haben als weitere Sanktionen gegen Russland. In der vergangenen Woche haben rund 230 Bundestagsabgeordnete ihre Meinung zum Umgang mit den hohen Energiepreisen auf Twitter geäußert, einen Tweet dazu weitergeleitet oder mit einem zustimmenden Herz versehen.
In der Grafik unten sind alle Bundestagsabgeordnete hervorgehoben, die vom 14. bis 22. März 2022 die Wörter Energiekosten, Spritpreisbremse, Tankrabatt oder Benzinpreisbremse in einem Tweet verwendet haben oder auf einen Tweet mit diesen Wörtern reagiert haben (Reaktionen sind Reply, Quote, Retweet und Favorite).
Im gleichen Zeitraum haben sich hingegen nur 60 Parlamentarier zu einem möglichen Importstopp von fossilen Energien aus Russland positioniert. In der Grafik unten sind jene Parlamentarier markiert, die die Wörter Energieembargo, Gasembargo, Embargo, Importstopp oder die Kombination aus Gas und Russland in einem Tweet verwendet haben oder auf einen Tweet mit diesen Wörtern reagiert haben.
Obwohl unter anderen der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und US-Außenminister Anthony Blinken dazu aufgerufen haben, hat sich die Bundesregierung bisher nicht dazu durchgerungen, die milliardenschweren Lieferungen von Gas, Erdöl und Kohle aus Russland und den entgegengesetzten Geldfluss zu unterbrechen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach sich gegen einen Importstopp aus, weil dieser nicht von heute auf morgen wirksam werden könne. Bei überhasteten Schritten drohe Deutschland eine Rezession.
Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wandte sich gegen ein sofortiges Ende russischer Energielieferungen, denn damit seien gesamtgesellschaftliche Schäden „schwersten Ausmaßes“ verbunden. Diese könnten das Durchhalten von anderen Sanktionen gefährden. Auf der anderen Seite sagte Habeck aber auch: Sollte Russland von sich aus seine Ausfuhren stoppen, würde Deutschland bereits heute „damit umgehen können.“
Parlamentarier stellen sich gegen Regierung
Trotz der ablehnenden Haltung der Regierung gibt es Befürworter eines Importstopps nicht nur aus der Opposition, sondern auch aus den Regierungsfraktionen. Gemessen an der Zahl ihrer Follower gehören Jürgen Trittin (Grüne), Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Jessica Rosenthal (SPD) zu den prominentesten Fürsprechern aus dem Regierungslager. Agnes Strack-Zimmermann, Mitglied des FDP-Vorstands, fordert etwa: „Deutschland muss den Importstopp dieser Rohstoffe aus Russland sofort umsetzen.“
Zustimmung kommt aus der Opposition von Norbert Röttgen (CDU): „Stehender Applaus für Präsident Selenskyj, der im Bundestag Deutschland bittet, Putin den Geldhahn abzudrehen. Er hat recht! Viele im Bundestag und in der Bevölkerung stimmen ihm zu. Wir finanzieren damit Putins brutalen Krieg. Das Öl- und Gasembargo muss endlich kommen!“ Auch Paul Ziemiak (CDU) bekennt sich zu einem Embargo: „Wenn wir wollen, dass die Ukraine eine Chance hat, müssen wir SWIFT-Sanktionen ausweiten und uns auf ein Energieembargo vorbereiten. Panikmache von Habeck und Baerbock hierzu ist inhaltlich und strategisch falsch.“
Relativ wenige Vertreter der SPD befürworten öffentlich einen Importstopp. Zu den Ausnahmen gehört die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal: „Wir können uns ein Öl- und sogar Gasembargo leisten, wenn wir nur wollen. Lasst uns aufhören, Putins Kriegskasse zu füllen!“ In den Fraktionen der Linken und der AfD fand sich hingegen kein einziger Fürsprecher eines Energieembargos.
Wissenschaftler halten Embargo für handhabbar
Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle hält einen kurzfristigen Lieferstopp von russischem Gas für die deutsche Volkswirtschaft für handhabbar. Engpässe könnten sich allerdings im kommenden Winter ergeben. Es bestünde jedoch die Möglichkeit, die negativen Auswirkungen zu begrenzen. Als Sofortmaßnahme wird etwa die Beschaffung von Flüssiggas (LNG) auf dem Weltmarkt empfohlen. Zu einem Ersatz von Erdgas könne auch eine stärkere Kohleverstromung beitragen.
Industrie fürchtet Folgen eines Importstopps
Die Industrievertreter äußern sich in dieser Frage weniger optimistisch. „Die Europäische Union ist nicht auf ein kurzfristiges, umfassendes Energieembargo vorbereitet“, sagte etwa BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Bei ausbleibenden Energielieferungen drohten Produktionsstopps mit unübersehbaren Folgen für Lieferketten und Beschäftigung.
Auch wenn sich nur wenige Abgeordnete öffentlich für ein Embargo aussprechen, so sind bekennende Gegner noch seltener. Ein prominenter Vertreter nach Zahl der Twitter-Follower ist der ehemalige Kanzlerkandidat der Unionsparteien Armin Laschet, der sich für eine „sorgsame Abwägung der Folgen jeder Embargo-Entscheidung“ ausspricht. Auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz schließt sich dieser Meinung an: „Wenn wir Gewissheit hätten, dass der schreckliche Krieg in der Ukraine mit einem Energieembargo gegen Russland nach drei oder vier Wochen ein Ende hätte, gäbe es dafür im Deutschen Bundestag sofort eine Mehrheit. Aber diese Gewissheit haben wir leider nicht.“
Deutlicher formuliert der frühere Anwärter auf den SPD-Vorsitz, Michael Roth: „Wer ein sofortiges Energieembargo gegenüber Russland fordert, hat den Schuss nicht gehört!“. Die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen schreibt: „Wenn Gas- und Ölimporte aus Russland den Krieg in der Ukraine finanzieren, finanzieren Gas- und Wasserstoffimporte aus Katar und den Emiraten dann nicht den Krieg im Jemen?“
Lebhafte Diskussion über Energiekosten
So zurückhaltend sich das Parlament in der Angelegenheit eines Embargos auf Twitter gibt, so aufgeregt verlief die Debatte um die hohen Energiepreise für deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher. Ein Auslöser war der Beitrag des wahlkämpfenden Ministerpräsidenten aus dem Saarland, Tobias Hans (CDU). Dieser hatte sich selbst vor einer Tankstelle gefilmt und die hohen Benzinpreise angeprangert. Wenig später ist Bundesfinanzminister Christian Lindner mit einem Vorschlag eines vom Staat finanzierten Tankrabatts vorgeprescht. Die Zustimmung zu dieser Maßnahme kam allerdings fast ausschließlich von pflichtschuldigen Parteikollegen.
Umso größer war die Zahl der Abgeordneten mit Einwänden gegen einen Tankrabatt oder andere Vergünstigungen an der Zapfsäule. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir lenkte den Blick stattdessen auf die Lebensmittelpreise: „Längst nicht jeder hat ein Auto oder ist darauf angewiesen. Aber jeder muss sich ernähren. Deshalb muss man schon fragen, ob eine Entlastung hier nicht zielgerichteter ist als beim Benzinpreis.“
Ein Tweet des DIW-Ökonomen Marcel Fratzscher gefiel vielen Abgeordneten, darunter die SPD-Vorsitzende Saskia Esken: „Der wichtigste Grund für den starken Anstieg der Spritpreise sind die viel höheren Gewinnmargen der Mineralölkonzerne. Die Politik sollte nicht mit einer Spritpreisbremse oder Steuersenkungen den Konzernen noch höhere Gewinne bescheren, sondern das Marktversagen bereinigen.“
Viele Parlamentarier sind dafür, dass der Staat den Bürgern finanziell hilft, bevorzugen aber andere Maßnahmen als den Tankrabatt. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Jens Spahn, nannte den Tankrabatt ein „Bürokratiemonster“ und forderte stattdessen Steuersenkungen. Sein Parteichef Friedrich Merz (CDU) leitete Spahns Vorschlag an seine Twitter-Abonnenten weiter, was dort in der Regel als Zustimmung gewertet wird. CSU-Politikerin Dorothee Bär wurde in ihrer Einlassung konkreter: „Deshalb fordern wir die Spritpreisbremse. Damit wird die Mehrwertsteuer und Energiesteuer gesenkt und der beigemischte Biokraftstoff wird steuerbefreit.“
Linke und Union vereint für Steuersenkung
In dieser Frage liegen die Ansichten der Union und der Linken nah beieinander. Der Co-Vorsitzende der Linksfraktion Dietmar Bartsch schrieb: „Wir brauchen Verdopplung der geplanten Zuschüsse, Absenken der Mehrwertsteuer auf 7 Prozent und Reduzierung der Energiesteuer.“ Auch viele Grüne wandten sich gegen den Tankrabattvorschlag des Finanzministers und stellten ihr Konzept eines Mobilitätsgeld dagegen. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt forderte zudem eine Verbilligung des öffentlichen Personennahverkehrs.
Das Ergebnis der lebhaften Diskussion ist ein Paket mit vielen einzelnen Maßnahmen, das die Vorsitzenden der Regierungsparteien am Donnerstag vorgestellt haben. Demnach erhalten alle einkommensteuerpflichtigen Erwerbstätigen einmalig eine Energiepreispauschale von 300 Euro. Zusätzlich gibt es einen einmaligen Familienzuschuss von 100 Euro für jedes Kind. Dieser Bonus soll auf den Kinderfreibetrag angerechnet werden.
Für Empfängerinnen und Empfänger von Sozialleistungen werde die bereits beschlossene Einmalzahlung von 100 Euro um weitere 100 Euro pro Person erhöht. Zudem wolle man den Spritpreis senken: beim Benzin um 30 Cent pro Liter und beim Diesel um 14 Cent pro Liter. Befristet für drei Monate soll dafür die Energiesteuer auf Kraftstoffe auf das europäische Mindestmaß abgesenkt werden. Zudem soll es bundesweit für 90 Tage ÖPNV-Tickets für 9 Euro geben.