„Grenzenlose Freundschaft“ oder Zweckbündnis? Warum Xi Jinping immer noch zu Putin hält
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Der chinesische Präsident Xi Jinping (links) und der russische Präsident Wladimir Putin vor ihren Gesprächen Anfang Februar 2022 (Archivbild).
© Quelle: imago images
Peking. Als Putins Panzer Richtung Kiew rollten, liefen in Pekings Parteiapparat schon bald die Drähte heiß. Die Staatsführung ordnete nach den verheerenden Sanktionen gegen Moskau umgehend an, auch die eigene Volkswirtschaft einem geopolitischen „Stresstest“ zu unterziehen. Man wollte ganz genau studieren, wie anfällig China für westliche Repressionen wäre. Denn der Ernstfall könnte auch für Peking schon bald eintreten: Immer offener redet Staatschef Xi Jinping von seiner „Wiedervereinigung“ mit der „abtrünnigen Provinz“ Taiwan – notfalls auch mit militärischer Gewalt.
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Noch zu Beginn des russischen Krieges zeigten sich die europäischen Diplomaten in Peking aufrichtig schockiert über die chinesische Loyalität gegenüber Putin, die weiterhin ungebrochen scheint. Man rechnete damals noch, dass es nicht im Interesse der Volksrepublik liegen würde, zu einem international isolierten Paria-Staat zu halten, dessen wirtschaftliche Attraktivität überschaubar ist: Der russisch-chinesische Handel beträgt nicht einmal ein Drittel verglichen mit dem Warenverkehr nach Europa.
Xi Jinping hegt langfristigere Vision
Erst langsam sickerte das Bewusstsein durch, dass Staatschef Xi Jinping eine viel langfristigere Vision hegt: die Umgestaltung der westlichen Weltordnung, für die Peking und Moskau sich gegenseitig brauchen.
Nur so lässt sich erklären, dass Chinas Staatsmedien nahezu vollständig die russische Propaganda übernommen haben. Der Krieg wird der eigenen Bevölkerung als „Militäroperation“ verkauft, die vor allem von den USA provoziert wurde. Und auf den Landkarten des Rundfunksenders CCTV sind schon längst die Grenzen des ukrainischen Territoriums nicht mehr eingezeichnet.
Die enge Beziehung zwischen den zwei Staaten hat auch eine persönliche Komponente: Xi und Putin sind quasi Brüder im Geiste. Sie beide betrauern den Untergang der Sowjetunion, verachten die Dekadenz des Westens und lehnen unabhängige Medien ab. Sie entstammen derselben Generation, kennen Armut aus persönlicher Erfahrung und wuchsen unter starken Vaterfiguren auf.
Abseits der biografischen Parallelen verstehen sich die zwei Staatschefs prächtig: 38-mal haben sie sich in den letzten zehn Jahren getroffen – und während ihrer Besuche gemeinsam gekocht, Geburtstage gefeiert und Wodka getrunken.
Doch genau diese persönliche Nähe könnte sich schon bald als trügerisch erweisen. Genau wie die mittlerweile desaströse „Null Covid“-Politik ist auch die Verbrüderung mit Moskau aufs Engste mit der Person Xi Jinping verknüpft. Dieser gilt in der heimischen Propaganda als unfehlbar. Dementsprechend schwierig ist es nun für die chinesische Regierung, den eingeschlagenen Kurs korrigieren zu können.
„Grenzenlose Freundschaft“ hat sehr wohl Grenzen
Doch zumindest ist in den letzten zweieinhalb Monaten seit Ausbruch des Kriegs auch deutlich geworden, dass die offiziell „grenzenlose Freundschaft“ sehr wohl Grenzen hat: Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass China direkte Militärhilfe nach Moskau liefert. Zudem verstoßen chinesische Firmen nicht offen gegen die bestehenden Sanktionen. Selbst neue Ölverträge haben die beiden Staaten bislang nicht abgeschlossen, obwohl Moskau sein schwarzes Gold derzeit mit Rekordrabatten am asiatischen Markt feilbietet.
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© Quelle: dpa
Ganz offensichtlich möchte keines der chinesischen Unternehmen zum zweiten Huawei werden: Das Telekommunikationsunternehmen, das einst als internationales Aushängeschild der Volksrepublik galt, wurde von der US-Regierung von amerikanischen Technologieimporten abgeschnitten – und damit wirtschaftlich in die Schranken gewiesen. Seither spielt Huawei beim einstigen Kerngeschäft – dem Verkauf von Smartphones – praktisch keine Rolle mehr.
Und volkswirtschaftlich kann sich China insbesondere zum jetzigen Zeitpunkt keine potenziellen Sanktionen aus dem Ausland leisten. Durch die anhaltenden Lockdowns steht das Land vor einem historisch niedrigen Wachstum und wird nur mit Mühe seine über zehn Millionen Universitätsabgänger mit Arbeitsplätzen versorgen können.
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„Ich glaube nicht, dass es eine Palastrevolution gegen Putin geben wird“
Die prominente Kremlkritikerin Ekaterina Schulmann, die vor vier Wochen nach Berlin geflohen ist, hat große Zweifel, dass Putin vom eigenen Umfeld gestürzt wird. Das sieht auch der in der Sowjetunion geborene Sergey Lagodinsky so. Ein Gespräch über den Krieg, Putins Propaganda und die Chancen, dass aus Berlin ein neues Zentrum der russischen Opposition wird.
Doch fallen lassen wird Peking seinen Verbündeten in Moskau unter gar keinen Umständen. Denn die zwei Staaten brauchen sich angesichts der zunehmend polarisierenden Weltordnung mehr denn je.
In der Vergangenheit war dies allerdings nicht immer der Fall. Russland und China, die eine 4200 Kilometer lange Grenze teilen, lieferten sich zu Sowjetzeiten in den 60er-Jahren einst ein spektakuläres Zerwürfnis, das nur knapp an einem militärischen Konflikt vorbeischrammte. Beim Zwischenfall am Grenzfluss Ussuri 1969 bereiteten sich beide Länder gar darauf vor, im Notfall auch ihre Atomwaffen einzusetzen. Zum Glück ist es anders gekommen.
Doch eine organisch gewachsene Freundschaft hat sich zwischen den zwei Völkern niemals entwickelt. Stattdessen herrschte vor allem Misstrauen und Entfremdung vor. Dass die chinesisch-russischen Beziehungen derzeit dennoch auf einem historischen Rekordhoch sind, ist eine politisch verordnete Zweckgemeinschaft, keine Herzensangelegenheit.
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