Krieg gegen die Ukraine

Zwischen Entsetzen und Putin-Verehrung: die gespaltene Community der Russlanddeutschen

Wie hier in Düsseldorf wird vielerorts gegen den russischen Machthaber Putin und seinen Krieg gegen die Ukraine demonstriert – auch von Russlanddeutschen. Trotzdem ist die Community gespalten.

Wie hier in Düsseldorf wird vielerorts gegen den russischen Machthaber Putin und seinen Krieg gegen die Ukraine demonstriert – auch von Russlanddeutschen. Trotzdem ist die Community gespalten.

Berlin. „Das ist schwer, mit einem Wort zu beschreiben“, sagt Alexander Litzenberger über den Krieg gegen die Ukraine. Ich bin entsetzt, manchmal verzweifelt und wütend. Ich stehe voll und ganz an der Seite des ukrainischen Volkes und verurteile den Angriff von Putins Regime.“ Der 55-jährige Webentwickler lebt heute in Köln, wurde in Kasachstan geboren und kam erst 1996 aus dem sibirischen Omsk als Spätaussiedler nach Deutschland.

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So wie ihm geht es vielen Russlanddeutschen in diesen Tagen. Die Solidarität mit der Ukraine ist groß. Litzenberger, der in Russland seinen Militärdienst geleistet hat, ist seit einigen Jahren Moderator einer der größten Facebook-Gruppen für Russlanddeutsche, die sich für liberale, demokratische Werte, Freiheit und Menschenrechte einsetzt.

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Solidaritätsbekundungen und Verurteilungen des russischen Angriffskriegs gibt es in der Gruppe zuhauf. Litzenberger kennt aber ebenso die andere Seite der Medaille. Pro Tag kämen zwischen zehn und 20 Beitrittsanfragen von Putin-Anhängern. „Ganz offensichtliche Putin-Propaganda wird abgeblockt“, erklärt er. Sie würden aktuell zwar nicht davon überrannt werden, es wäre aber deutlich zu bemerken.

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Der ehemalige Journalist, der in der Vergangenheit bei einer deutschsprachigen Zeitung in Russland gearbeitet hat, versteht dies auch als Ausdruck der Gespaltenheit der russlanddeutschen Community. Die Hälfte, so ist seine Schätzung, halte zum Kremlchef. „Viele Russlanddeutsche haben sich schon lange nicht mehr mit Russland beschäftigt und versuchen nun rauszufinden, wo sie stehen.“

Und dann gebe es neben dem liberalen und weltoffenen Teil, der den Krieg verurteile, viele Menschen, die hauptsächlich russisches Fernsehen schauen und sich auf russischen Social-Media-Kanälen informieren. „Diese Leute sind nicht zu erreichen. Da treffen Welten aufeinander, auch in Familien“ sagt Litzenberger.

„Man muss verstehen, was Putins Propaganda über die Jahre mit den Menschen gemacht hat. Er hat mit aller Macht Narrative in die Köpfe der Russen reingepresst“, erklärt er. Er selbst habe deswegen schon lange kein russisches Fernsehen mehr gesehen, dieser Tage aber wieder reingeschaut. „Das kann ich keine zehn Minuten aushalten. Da ist so viel Aggressions­potenzial, und da wird so viel manipuliert.“

Russische Staatskanäle wie NTW sehr beliebt

Ein Beispiel sei die Übertragung der Rede des Außenministers Sergej Lawrow vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Viele westliche Diplomaten boykottierten die Rede, indem sie den Raum verließen. Diese Reaktion sei im russischen Fernsehen jedoch nicht gezeigt worden. Die Sperrung der internationalen russischen Staatsmedien RT und Sputnik in der EU hält Litzenberger nicht für ausreichend. Viele Russlanddeutsche würden nicht diese Sender, sondern russischsprachige Staatskanäle wie den Sender NTW schauen.

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Auch Russlanddeutsche, die Putins Politik ablehnend gegenüberstehen, sehen sich zurzeit vermehrt Anfeindungen ausgesetzt. In Litzenbergers Facebook-Gruppe fallen schnell Beiträge von Russlanddeutschen ins Auge, die berichten, wie ihre Kinder nun in der Schule gemobbt werden. Mithaftung für Putins Politik allein durch die eigene Sprache und Herkunft – Litzenberger kennt solche Berichte auch aus seinem eigenen Umfeld. Der Neffe eines Bekannten sei auf dem Schulhof angepöbelt worden, weil er für einen Anhänger Putins gehalten wurde. Am Ende sei es zu einer Prügelei gekommen.

„Umkehrung der Unschuldsvermutung“

Er selbst habe bislang keine Anfeindungen zu spüren bekommen, sagt Litzenberger, er sieht aber Gefahren. „Zu Repressalien aufzurufen wäre fatal. Die meisten Russlanddeutschen sind dem deutschen Staat dankbar“, betont er. „Wie kann man von 2,5 Millionen Menschen erwarten, dass sie sich ständig distanzieren sollen? Das ist eine Umkehrung der Unschulds­vermutung.“

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Iliane Kiefer, Projektleiterin von Ostklick, einer Initiative des Berliner Zentrums Liberale Moderne, die demokratische Stimmen aus der russlanddeutschen Community sichtbarer machen will. „Wir verurteilen die pauschale Stigmatisierung von Russlanddeutschen in den Medien und in der Gesellschaft. Es ist keinesfalls so, dass alle Russlanddeutschen Putin und seinen Angriffskrieg auf die Ukraine unterstützen“, erklärt Kiefer.

„Verharmlosung und Rechtfertigung dieses Krieges oder die Verbreitung von Desinformation darf auf keinen Fall geduldet werden“, stellt sie klar. „Dabei sollte aber jeder Mensch an seinen individuellen Handlungen, Taten und Einstellungen gemessen werden.“

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Es gebe zwar Pauschalisierungen gegenüber Russlanddeutschen, „gemessen an dem, was die Menschen in der Ukraine gerade erleben müssen, sollte man dieses Problem aber auch nicht zu sehr in den Mittelpunkt rücken“, sagt Kiefer. „Wir sollten gemeinsam unsere Kräfte darauf richten, den Menschen in der Ukraine zu helfen, und alles in unserer Macht Stehende tun, um zu einem Ende des Kriegs beizutragen“, so die Projektleiterin weiter.

Das Team des Projekts, in dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ukrainischer und russischer Herkunft zusammenarbeiten, versuche aktuell, Menschen zu unterstützen, die sich gegen russische Falschinformationen wehren. Dabei gehe es um Konflikte innerhalb von Familien ebenso wie um Auseinandersetzungen im Internet.

Auch Kiefer sieht in der russlanddeutschen Community das Problem, dass einige Menschen sich hauptsächlich über russische Staatsmedien informieren und deren Positionen übernehmen.

Allerdings sieht sie auch die Möglichkeit, dass Russlanddeutsche zur Veränderung der Situation in Russland beitragen können: Viele hätten Kontakt zu Freunden oder Verwandten in der Ukraine und Russland sowie ein differenziertes Bild der Lage.

„Sie haben die Möglichkeit, sich in Deutschland über freie Medien zu informieren und können gefahrlos ihre Meinung äußern, auch Verwandten oder Freundinnen und Freunden in Russland gegenüber. Wir sehen hier eine wirkungsvolle Möglichkeit, zu einer tatsächlichen Veränderung in der russischen Gesellschaft beizutragen“, zeigt sich Kiefer hoffnungsvoll.

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