Boris Becker: „Ich glaube, das Gefängnis war gut für mich“
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Moderator Steven Gätjen stellte dem sichtlich erschlankten Boris Becker Fragen zur Gefängniszeit.
© Quelle: Nadine Rupp/SAT.1/dpa
Es war im Oktober, als eine Situation im Gefängnis Huntercombe zu eskalieren drohte. Ein Mithäftling konnte nicht verstehen, dass sich Boris Becker mit einem anderen gut verstand. „Der hat mir verbal erklärt, was er mit mir machen würde“, sagte Boris Becker, „der wollte mich umbringen.“ Doch er habe schon ein Standing gehabt und nur laut schreien müssen. „Die anderen Häftlinge sind sofort rausgekommen und haben ihn bedroht.“ Die Gefängniswelt sei anders, sagte er, Wärter würden nicht oder nur sehr langsam kommen.
Im großen Sat.1‑Interview packte Boris Becker am Dienstagabend aus. Mehr als zwei Stunden hatte der Sender in der Primetime freigemacht, um den ehemaligen Tennisstar exklusiv vom Gefängnisaufenthalt erzählen zu lassen. Tränenreich ging es zu. Etwa, als Becker von der Versöhnung mit besagtem Mithäftling sprach. „Er hat sich auf den Boden geworfen, meine Hand genommen und um Vergebung gebeten“, sagte Becker sichtlich mitgenommen. „Ich habe ihn hochgenommen und umarmt …“ Seine Stimme stockte, er kämpfte mit den Tränen, trank einen Schluck aus dem Glas vor sich. „Und ich habe ihm gesagt, dass ich großen Respekt vor ihm habe.“
Nur zwei Mahlzeiten am Tag: „Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Hunger gefühlt“
Das ehrlichste Interview von Boris Becker sollte es sein, keine Tabus geben, hatte Moderator Steven Gätjen vorab angekündigt. Gätjen, der Becker duzt, berichtete zunächst von seinem Besuch in Huntercombe. Als er Anfang Dezember zwei Stunden mit Becker sprach, sei noch unklar gewesen, wann Becker freigelassen würde. Arrangiert hatte das Treffen Beckers Lebensgefährtin Lilian de Carvalho Monteiro.
Äußerlich hat sich Becker während seiner Haftzeit verändert. Knapp sieben Kilo hat er abgenommen, die Haare sind deutlich dunkler, das Gesicht kantiger. „Meiner Gesundheit tat der Gefängnisaufenthalt sicherlich gut.“ Doch das war mit Entbehrungen verbunden. Es gab nur Mittag- und Abendessen im Gefängnis, kein Frühstück, kein Essen zwischen 17 und 11 Uhr. Wochentags wurden vor allem Kartoffeln und Reis mit Soße serviert, am Wochenende auch mal Hähnchen. „Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Hunger gefühlt“, so der 55‑Jährige. Außerdem trank er keinen Alkohol. „Es gab selbst gebrannten Schnaps, aber das war zu gefährlich.“ Auch das Rauchen ließ er bleiben, da es nur E‑Zigaretten gab.
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Boris Becker und seine Freundin Lilian de Carvalho Monteiro: Sie besuchte ihn regelmäßig im Gefängnis.
© Quelle: Alastair Grant/AP/dpa
Nach dem Urteil: „Ich wurde mit einer Realität konfrontiert, die ich nicht kannte“
Im März 2022 wurde Becker in 29 Punkten angeklagt. „In den drei Wochen bis zum Urteil habe ich viel gebetet. Ich war jeden Tag in der Kirche.“ Er wusste: Würde er in allen Punkten verurteilt, könnte das lebenslang bedeuten. Am Ende wurde er in vier Punkten schuldig gesprochen. Er hatte unter anderem in einem Insolvenzverfahren eine Immobilie in seiner Heimat Leimen und Aktien verheimlicht. Am 29. April, dem Geburtstag seiner Freundin, fiel das Urteil: 30 Monate Haft. Auch wenn er vor Gericht noch auf unschuldig plädiert hatte und bis zum Juryurteil davon ausging, mit Bewährung davonzukommen, gab er nun zu: „Natürlich war ich schuldig.“
Vom Gerichtssaal aus sei er direkt abgeführt worden, ohne sich zu verabschieden. Er sei in eine Zelle im Gericht gekommen, mit einem Drogenhändler, einem Menschenschmuggler, einem Mörder. „Ich wurde mit einer Realität konfrontiert, die ich nicht kannte. Das war auch gefährlich. Ich habe nur auf den Boden geschaut und versucht, in meiner Ecke zu bleiben.“ Mit „so Verbrechern“ habe er sich nicht ausgekannt, sagte Becker.
Aus Boris Becker wurde Häftling A2923EV
Aus Beckers Namen wurde eine Nummer: A2923EV. In jedem Slip stand sie, nur noch so wurde er angesprochen. Die ersten Wochen verbrachte Becker im Gefängnis Wandsworth. Es sei eng, dreckig, überfüllt gewesen. Als das erste Mal die Zelle verschlossen wurde, sei die ganze Welt für ihn zusammengebrochen. „Es war der einsamste Moment, den ich in meinem Leben je hatte.“ Immerhin, er bekam – entgegen seiner Befürchtung – eine Einzelzelle, weil er als Prominenter gefährdeter war, von Mithäftlingen angegriffen zu werden. „Es geht ums nackte Überleben. Jeden Tag gehst du aus der Zelle raus und musst auf deine Haut aufpassen, denn die Wächter tun es nicht.“
Angst habe er vor dem Duschen gehabt. Es kannte die Szenen aus Filmen, wenn die Seife runterfällt und sich Männer über einen hermachten. In der Realität habe es Duschkabinen gegeben, „man sieht niemanden nackt“. Generell habe man gut auf ihn aufgepasst im Gefängnis. Er hatte direkt drei langjährige Mithäftlinge kennengelernt, die sich für ihn einsetzten und ihn vor anderen Gefangenen schützten, erzählte Becker. „Jake, Russell und Billy haben mein Leben gerettet“, sagte er.
Nach Haftentlassung: Boris Becker berichtet über Zeit im Gefängnis
In einem Interview des Senders Sat.1 hat der Ex-Tennisstar Boris Becker über seine Zeit im britischen Gefängnis gesprochen.
© Quelle: dpa
Eine Zelle, zwei Schritte breit, drei Schritte lang - mit Mini-Fernseher und Klo
Er habe nur schlecht schlafen können, weil immer jemand geschrien oder andere laut beschimpft habe. Dennoch habe er bald eine Art Alltag gehabt, vor allem nach der Verlegung nach Huntercombe. Er habe Englisch und Mathe unterrichten dürfen. „So wurde mein Leben etwas leichter, weil ich aus der Zelle kam“, sagte er. „Du wirst in der Zelle wahnsinnig, du gehst die Wand hoch – und die ist nicht besonders hoch.“
Seine Zelle war weiß, die erste auch dreckig. Es gab einen Tisch und einen Stuhl, ein Regal, ein Bett, ein Klo, ein Waschbecken. „Seitlich sind zwei Schritte möglich, längs drei Schritte“, sagte er zur Größe der Zelle. „Ich hatte einen kleinen Fernseher. Das war sehr wichtig, irgendwie muss man die Stunden ja überleben.“ Das Lüftungsloch am Fenster sei kaputt gewesen, „im Winter war es extrem kalt“. Einen Spiegel gab es nicht, weil Scherben als Waffen genutzt werden können. „Eine der ersten Dinge in Freiheit war, in den Spiegel zu gucken: Ich war erschrocken, wie ich aussehe, wie ich mich verändert habe“, sagte Becker. „Es ist vielleicht auch gut so, dass man sich im Gefängnis nicht sieht.“
„Das Gefühl nach den Besuchen war immer brutal“
Seine Freundin kam alle zwei Wochen zu Besuch. Er hatte ihr vor der Urteilsverkündung freigestellt, sich zu trennen – da er nicht wusste, wie lange er in Haft müsste. Doch sie lehnte ab und blieb an seiner Seite. Auch seine beiden älteren Söhne Noah und Elias besuchten ihn, Noah begleitete ihn auch zum Sat.1-Interview. „Die zwei Stunden, die man zusammen ist, waren schön. Aber man möchte dann auch zusammen nach Hause, zum Italiener, Pasta essen, Wein trinken“, sagte er. „Du gehst zurück in die Zelle, dann fällt dir alles vor die Füße. Das Gefühl nach den Besuchen war immer brutal, das Zurückkommen in den Alltag des Gefängnislebens.“
Nach drei Monaten erhielt er – nach Beschwerde bei der Deutschen Botschaft – eine internationale Telefonkarte. Zuvor hatte er seine in Deutschland lebende Mutter erstmals mit dem Handy eines Priesters angerufen – am Muttertag. Mit Tochter Anna, berichtete Becker, habe er noch nie so viel und so engen Kontakt gehabt wie zur Zeit seiner Inhaftierung. „Es brauchte ein Gefängnis, dass wir uns so nahegekommen sind wie nie zuvor.“
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Boris Becker mit den Söhnen Noah (links) und Elias Becker. Beide besuchten ihn auch im Gefängnis.
© Quelle: imago images/Gartner
Boris Becker plaudert: Jürgen Klopp durfte ihn nicht besuchen - aus Sicherheitsgründen
Auch wenn Anna und sein jüngster Sohn Amadeus ihn hätten besuchen wollen, habe er aus Schutz seiner Kinder abgelehnt. Doch die Verbindung zu seinen Kindern sei enger denn je, wenngleich er einräumte, zu Amadeus nur wenig Kontakt gehabt zu haben. Das liegt wohl auch am schwierigen Verhältnis zur Mutter von Amadeus, Ex-Frau Lilly, die während des Prozesses und der Inhaftierung Privates in Interviews ausgeplaudert hatte. Becker nennt sie nur noch bei ihrem richtigen Namen: Sharlely. Sie soll ihn darum gebeten haben.
Prominente Unterstützung erhielt Becker ebenfalls. Dutzende Briefe habe er anfangs täglich erhalten. Darunter auch einen dreiseitigen Brief von seinem ehemaligen Tenniskonkurrenten Michael Stich. Liverpool-Trainer Jürgen Klopp, ein Freund von Becker, habe ihn besuchen wollen, sagte Becker. Doch er durfte nicht. Das Gefängnis untersagte es, weil sie Angst um Klopps Sicherheit hatten. „Und den Rummel wollten sie auch nicht.“ Johannes B. Kerner hingegen habe kommen dürfen.
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Mit Tochter Anna Ermakowa hat Boris Becker während seiner Inhaftierung häufig telefoniert.
© Quelle: dpa
Ein Privatflugzeug brachte Becker von England nach Stuttgart
Am 12. Dezember hat Boris Becker erfahren, dass er abgeschoben würde, dass seine Zeit im Gefängnis vorzeitig nach acht Monaten enden würde. Er habe seine 50 Bücher an die Bibliothek gespendet, seine Schuhe und Klamotten an Mithäftlinge verschenkt. In der Nacht vor der Entlassung habe er nicht geschlafen, erzählte er. Als man ihn morgens um 7 Uhr abholte, sei er auf seinem Bett gesessen. Er sei, wie bereits bei der Aufnahme, noch einmal untersucht worden. Er habe sich nackig machen müssen, ein Mann mit Taschenlampe sei gekommen, „wie man es aus Filmen kennt“.
Er bekam ein Privatflugzeug, das ihn nach Stuttgart brachte. Eine Stadt, in der ihn niemand erwartet habe. „Ich wollte nicht im Trubel ankommen und vor Fotografen wieder in Freiheit kommen“, sagt er. Zudem wolle er jetzt seine Privatsphäre schützen – was etwas in Widerspruch steht zu dem knapp zweistündigen Interview und den privaten Aussagen über seine Kinder. Nach der Freilassung fuhr er zu Freunden, bestellte Sushi und Misosuppe, trank das erste Bier. „Es war das beste Bier meines Lebens.“
Boris Becker über acht Monate Haft: „Die schlimmste Zeit meines Lebens“
Wohin es Boris Becker nun ziehen wird, weiß er noch nicht. Vielleicht Europa, vielleicht Miami, vielleicht Dubai. Hauptsache, Freundin Lilian de Carvalho Monteiro ist an seiner Seite. Ob er sie zu seiner dritten Frau nehmen werde, fragte Gätjen. Doch Becker stellte klar: Seine Lebensgefährtin hatte ihm untersagt, über das Privatleben zu sprechen. Nur so viel: Er hoffe, in zehn Jahren umgeben von seinen Kindern zu sein – und er hoffe, es seien ein paar mehr als die vier, die er bereits hat.
Die schlimmste Zeit seines Lebens sei es gewesen, sagt Becker. Aber auch wenn es komisch klinge, „vielleicht habe ich das gebraucht“. Er habe Zeit zum Nachdenken gehabt, seine Fehler eingesehen, eine zweite Chance bekommen. „Ich glaube, das Gefängnis war gut für mich.“ Er habe den Tennisspieler in sich wiederentdeckt, der im Moment lebt, der Prioritäten setzt. „Jetzt besteht meine Aufgabe darin, das zu verinnerlichen und diesen Weg nicht mehr zu verlassen.“