Bahnreisen: Neuer Nachtzug ab Berlin
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Zurück in die Zukunft: Ein neuer Nachtzug mit jeder Menge Retro-Charme verbindet jetzt Berlin, Amsterdam und Brüssel.
© Quelle: Jan Sternberg/RND
Die Abenddämmerung senkt sich über Berlin, als der Premierenzug des European Sleepers außerplanmäßig am Bahnhof Wannsee zum Halten kommt. Einige Jugendliche, die auf den verspäteten Regionalexpress nach Brandenburg warten, schauen verblüfft, was sich da an ihrem Bahnsteig breitmacht. Eine Cargo-Lok, zwei antike Schlafwagen in auffälligem Wellblechkleid, dazu rot-weiße Liegewagen, die mindestens doppelt so alt sind wie die jetzt sehr interessierten jungen Leute auf dem Bahnsteig.
Chris Engelsman schiebt das Fenster in seinem Abteil herunter (natürlich kann man in diesen Wagen die Fenster herunterschieben). „Was ist das für ein Zug?“, fragen die Wartenden auf dem Bahnsteig. „Das ist mein Zug“, antwortet der Eisenbahn-Jungunternehmer einigermaßen beiläufig, aber nicht ohne Stolz. „Wir fahren über Nacht nach Brüssel. Und vorher nach Amsterdam.“
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Nachtzug-Gründer Elmer van Buuren und Chris Engelsman bei der Ankunft in Brüssel.
© Quelle: Jan Sternberg/RND
European Sleeper heißt seine Firma, erklärt er und zeigt auf den Schriftzug unter sich am Waggon, den sie an diesem Nachmittag gerade angebracht haben. Die Schlafwagen wurden vor fast 70 Jahren in Belgien gebaut und vor 30 Jahren renoviert. Die gemieteten Liegewagen stammen aus der DDR, zugelassen sind sie in der Slowakei, die Halterungen für die Fahrtzielanzeiger stammen von der polnischen Bahn. Ein wahrhaft europäisches Sammelsurium, das sich hier auf den Weg gemacht hat.
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Chris Engelsman ruft den Wartenden am Bahnhof noch die Adresse der Buchungs-Website zu, dann rollt der Zug wieder an, westwärts auf seinem ersten Weg durch die Nacht.
Engelsman und Elmer van Buuren sind die Gesichter hinter diesem neuen niederländisch-belgischen Start-up, das von wachsender Flugscham und einer europäischen Nachtzug-Renaissance profitieren will.
Van Buuren begrüßt die Fahrgästinnen und Fahrgäste persönlich in vier Sprachen über die Zuglautsprecher. „Wir müssen das aufnehmen und jedes Mal abspielen“, scherzt Engelsman währenddessen. Van Buuren steckt seinen Kopf ins Abteil: „Das war beileibe nicht meine erste Ansage, ich war jahrelang Zugbegleiter“, erklärt der Niederländer.
„Was nicht verschrottet ist, fährt“
Ursprünglich war der European Sleeper bereits für 2022 angekündigt und sollte bis nach Prag fahren. Der Plan zerschlug sich zunächst. Prag steht jetzt für 2024 wieder im Fahrplan. In den vergangenen Jahren mussten Engelsman und van Buuren einige Rückschläge einstecken, vor allem die Suche nach Wagen gestaltete sich schwieriger als gedacht.
„Was nicht verschrottet ist, fährt“, bringt es Patrick Neumann auf den Punkt, Bahn-Enthusiast und Mitglied der Initiative Back on Track, die sich für mehr Nachtzüge in Europa einsetzt. Natürlich ist auch der gesamte Vorstand von Back on Track an Bord und zeigt Flagge.
Der neue Nachtzug fährt von Berlin unter anderem über Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen nach Brüssel. In Deutschland hält er nur in Berlin und in Bad Bentheim an der niederländischen Grenze. Hannover wird ohne Halt durchfahren. Er startet montags, mittwochs und freitags um 19.22 Uhr in Brüssel. Ankunft in Berlin ist um 6.48 Uhr. Von Berlin nach Brüssel geht es sonntags, dienstags und donnerstags um 22.56 Uhr. Ankunft ist um 9.27 Uhr.
Wer auf dem Landweg nach London fahren möchte, kann in Brüssel in den Eurostar umstiegen.
Wegen umfangreicher Bauarbeiten an der Strecke verkehrt der Zug allerdings oft bereits früher und ab anderen Berliner Bahnhöfen. Auch in Belgien gibt es in der nächsten Zeit Streckenbauarbeiten.
Auch bei der Premierenfahrt musste der Zug bereits um 21.10 Uhr in Berlin-Gesundbrunnen losfahren und erreichte Brüssel mit 45 Minuten Verspätung. Erstaunlich fröhlich und unzerknautscht steigen Engelsman und van Buuren in Brüssel aus dem Schlafwagen. „Für die Verspätung sind wir nicht verantwortlich, das waren die Deutschen mit unangekündigten Bauarbeiten“, sagt Engelsman. Anscheinend können die Nachtzug-Gründer gut in ihrem Produkt schlafen.
Findet man Schlaf im Liegewagen? Das ist auch Übungssache
Auch in den Liegewagen ist die Fahrt mit wenig Zwischenstopps einigermaßen erholsam – soweit man an diese Form des Reisens gewöhnt ist. Leider kündigt der Steward den ersten morgendlichen Halt Amsterdam um 6.30 Uhr morgens über den Lautsprecher an, sodass jetzt auch die Brüssel-Passagierinnen und ‑Passagiere aufschrecken. Da wäre individuelles Wecken – mit der Frühstückstüte voller Brötchen und Kaffee – deutlich angemessener.
Ein Sitzplatz kostet mindestens 59 Euro, ab 109 Euro bekommt man einen Platz in einem Liegewagen für vier oder sechs Personen und für einen Platz im Schlafwagenabteil für bis zu drei Personen zahlt man mindestens 139 Euro. In den Liegewagen und Schlafwagen wird Frühstück serviert. Die Schlafwagen sind für die ersten Monate schon ausgebucht. Wer als Ausweichmöglichkeit ein privates Liegewagen-Abteil buchen will, zahlt leider kaum weniger als im Schlafwagen.
Konkurrenz ab Dezember
Ab Dezember bekommt der European Sleeper Konkurrenz: Der Platzhirsch im Nachtzug-Verkehr, die österreichischen ÖBB, will sein bestehendes Angebot zwischen Brüssel und Wien ausbauen und mit einem neuen Nachtzug zwischen Berlin und Paris verbinden, sodass auch auf diesem Weg Fahrten zwischen Berlin und Brüssel möglich sein werden, vermutlich ebenfalls dreimal pro Woche.
Auch der Schienenverkehrsbeauftragte der Bundesregierung, Michael Theurer (FDP), erwartet verstärkte Nachtzug-Angebote in Europa in den kommenden Jahren. „Wir glauben an eine Renaissance der Nachtzüge“, sagte Theurer dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND/Dienstag). „Das ist auch wünschenswert, um klimaneutralen und grenzüberschreitenden Verkehr auf der Schiene zu ermöglichen.“
Theurer begrüßte auch den Start des neuen privaten Nachtzugs Berlin-Amsterdam-Brüssel, der seit dem Pfingstwochenende verkehrt. „Dass es jetzt wieder vermehrt Angebote gibt, ist auch Ergebnis einer verstärkten Kooperation auf europäischer Ebene“, sagte er dem RND.
Das Bundesverkehrsministerium habe kürzlich zwei Studien in Auftrag gegeben, sagte Theurer dem RND. „Neben der Erstellung einer umfassenden ökologischen und gesamtgesellschaftlichen Bilanz von Nachtzügen im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern werden auch die Anforderungen an das Wagenmaterial und die wettbewerblichen Rahmenbedingungen untersucht.“ Er verspreche sich von diesen wissenschaftlichen Studien ergänzende Informationen, „wo genau wir Dinge verändern können und müssen, um Nachtzüge in Europa wirtschaftlich betreiben zu können“. Die Aufgabe des Staates sei, die Rahmenbedingungen zu schaffen und zu klären. „Da geht es zum Beispiel um die Frage, welches Trassenentgelt man verlangen kann“.
Derzeit seien Nachtzüge „ein vielversprechendes Nischenprodukt, oder besser eine Angebotserweiterung“, sagte Theurer dem RND. „Wenn die sich bewährt mit ganzjährig stabilen Fahrplänen, dann wäre das eine verlässliche, zusätzliche Reiseoption.“
Informationen und Tickets über www.europeansleeper.eu. Der Zug ist bisher nicht über die DB-Fahrplanauskunft zu finden, das soll sich aber in den kommenden Wochen ändern.
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