Experten-Interview

"Autonomes Fahren ist ein Hirngespinst"

Foto: Autonomes Fahren: Wie sicher sind die Zukunftspläne der Autoindustrie?

Autonomes Fahren: Wie sicher sind die Zukunftspläne der Autoindustrie?

Lübeck. Nicht erst seit dem ersten tödlichen Unfall mit einem selbstfahrenden Auto Ende März im amerikanischen Arizona wird das Thema kontrovers diskutiert. Vor allem die rechtlichen Aspekte sind alles andere als klar. Im Interview erklärt der Rechtsexperten Hans-Ernst Böttcher (73), der in Kiel aufgewachsen ist, seine Einschätzung.

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Frage: Herr Böttcher, wie kommen Sie dazu, sich mit den Rechtsfragen rund um die selbstfahrenden Autos zu befassen?

Hans-Ernst Böttcher: Ein guter Freund, der Verleger, kritische IT-Experte und praktische Philosoph Welf Schröter, hat mich auf gefordert, einen Beitrag zu einem Buch zu schreiben, dass sich mit Autonomie und Verantwortung befasst („Autonomie des Menschen – Autonomie der Systeme“, erschienen im Talheimer Verlag/Mössingen 2017; eine fortgeschriebene Fassung erscheint demnächst in der hiesigen regionalen Juristenzeitschrift „Schleswig-Holsteinische Anzeigen“). Ich sollte den juristischen Part übernehmen und habe das am Beispiel der selbstfahrenden Autos gemacht, vor dem Hintergrund der Vorstellungen unseres Grundgesetzes von 1949, unseres guten alten BGB von 1900 und vieler moderner Gesetze, dass für von Menschen und deren Produkten veranlasste Gefahren und deren Folgen Menschen verantwortlich sind; eine Übertragung der Verantwortung auf Maschinen (Fahrzeuge) oder Algorithmen gibt es da nicht! Das wäre ein Rückschritt ins rechtliche Neandertal.

Was gibt es denn zu den selbstfahrenden Kraftfahrzeugen eigentlich Neues in Deutschland?

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Nun, wir haben zum einen eine aufgeregte öffentliche Debatte, nach der es sich so liest, als ob demnächst in unseren Straßen im öffentlichen Verkehr die „autonomen Fahrzeuge“ nur so herumflitzten. Dann lesen wir gelegentlich, wie jetzt im März aus den USA, dass es da eine Tote gegeben hat und alles sieht plötzlich wieder ganz anders aus. Was mich aber als kritischen Juristen und erfahrenen Richterpraktiker besonders interessiert: Ohne dass es eigentlich jemand so richtig wahrgenommen hat, sind seit vorigem Juni in unser Straßenverkehrsgesetz, das u.a. die Haftung des Fahrers und des Halters von Kraftfahrzeugen regelt, zwei neue Paragrafen eingefügt worden, die Paragrafen 1 a und 1 b. Sie sagen, kurz zusammengefasst, dass jetzt (theoretisch) auch Autos in unseren Straßen fahren dürfen, deren Fahrer „abschalten“. Die Fahrer müssen auch nicht einmal im Fahrzeug sitzen, sie können auch, wie wir das ja auch von den fliegenden „Drohnen“ kennen, anderswo am Computer sitzen. Das Fahrzeug fährt „von selbst“. Aber: Das Fahrsystem muss so ausgestaltet sein, dass es dem „Fahrer“ sagt: „Achtung, gleich passiert etwas, übernimm bitte wieder selbst!“ Darauf muss er jederzeit gefasst sein und dann eintreten. Der „Fahrer“ wiederum muss doch soviel Aufmerksamkeit entfalten, dass auch er, wenn er den Eindruck hat, da laufe etwas schief, von sich aus selbst wieder das Kommando übernimmt.

Da sagen Sie sicher spontan: Das kann doch gar nicht funktionieren; das geht ja nach dem Prinzip „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ Oder auch: „Das ist die berühmte eierlegende Wollmichsau!“ Da haben Sie recht.

Die Rechts- und Verkehrspolitiker haben das nun so dargestellt, als sei mit dem System der Haftung nun alles neu und anders. So ist es aber nicht! Vielmehr haften, wie bisher, der Halter und in bestimmtem Umfang auch der Fahrer. Und mit dem Halter die Versicherung.

Meinen Sie, dass bald im öffentlichen Straßenverkehr in Deutschland selbstfahrende Autos unterwegs sein werden?

Nein, das glaube ich nicht. Zum einen schon wegen des enormen Haftungsrisikos, das ich gerade beschrieben habe. Aber dann vor allem aus ganz praktischen Gründen: Jeder erfahrene Verkehrsrichter oder Verkehrsanwalt weiß, dass die plötzlichen Gefahrensituationen im Straßenverkehr so vielfältig sind, dass schon ein Einprogrammieren in noch so feine Fahrprogramme an der Wirklichkeit vorbeigeht. Und dann vor allem: Die nächste Unfallsituation fragt nicht danach, ob es sie schon einmal gegeben hat.

Mit anderen Worten: Wer die „autonomen Fahrzeuge“ auf den allgemeinen Straßenverkehr loslässt, an dem u.a. auch Kinder, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und überhaupt: eben z.B. auch Fußgänger und Radfahrer teilnehmen, der nimmt sehenden Auges Tote und Verletzte in Kauf. Dafür gibt es übrigens eine Strafvorschrift: den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315 b des Strafgesetzbuches). Und ich bin sicher: die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte werden ihrer Aufgabe nachkommen, die strafrechtlichen Ermittlungen aufzunehmen.

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Das alles wird dazu beitragen, dass sich das Gerede von den selbstfahrenden Autos als das erweist, was es ist: ein Hirngespinst.

Welche rechtlichen und gesellschaftlichen Probleme sehen Sie noch, die durch die Einführung von Systemen selbstfahrender Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr entstünden?

Es fängt noch recht banal an: Im Prozess hätten Sie nicht nur, wie jetzt schon regelmäßig, Halter (und evtl. auch Fahrer) sowie die Versicherungen auf beiden Seiten mit Anwälten vertreten, sondern auch noch die Hersteller der Fahrzeuge und die Hersteller und Betreiber der Fahrsysteme, jeweils ebenfalls mit ihren Anwälten.

Aber weit bedeutender und gefährlicher ist noch: Der Betrieb der „autonomen“ Fahrzeuge setzt ein riesiges Datensystem voraus, mit allen Problemen des Datenschutzes einerseits und der Fehleranfälligkeit andererseits, die wir von anderen „perfekten“ Systemen kennen. Und es liegt in der Logik eines solchen Systems und der sich verstärkt und noch komplizierter als heute stellenden Fragen der Beweisbarkeit für die Kausalitäten einer Unfallfolge, dass dann gesagt werden wird, alles funktioniere nur dann völlig richtig, wenn auch noch flächendeckend ein Kameraüberwachungssystem besteht – wieder mit den allgemeinen Problemen, denen des Datenschutzes und der Fehleranfälligkeit.

Das ganze ist ein gewaltiger Irrweg, technologisch, juristisch, gesellschaftlich. Übrigens auch einer, der Unsummen verschlingt. Und vor allem: der die Gefahr in sich birgt, dass wir wieder zu weit erhöhten Verkehrsopferzahlen kommen werden.

Das beste, was man sich noch erhoffen kann, ist – wie schon angemerkt - , dass das alles gar nicht funktioniert.

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Was schlagen Sie vor?

Der Gesetzgeber sollte darüber nachdenken, die Unsinnsparagrafen 1 a und 1 b wieder aus dem Straßenverkehrsgesetz zu streichen.

Er sollte zu der Erkenntnis kommen, dass autonome Fahrsysteme, wenn überhaupt, nur in absolut vom allgemeinen Verkehr getrennten und hoch gesicherten Bereichen in Betracht kommen. So ist es ja auch bisher in der Praxis aus guten Gründen: die fahrerlosen U-Bahnen auf einer Strecke in Paris und die Shuttles auf manchen Flughäfen fahren selbstverständlich auf Trassen, die für sie allein bestimmt sind. Seilbahnen, Aufzüge, Paternoster, Rohrpost – da gibt es sonstigen und insbesondere keinen Gegenverkehr auf der selben Strecke und keinen kreuzenden Verkehr!

Der Gesetzgeber  sollte auch die Erfahrungen bedenken, die zum Abbruch hoch angesiedelter technischer Zukunftsprojekte wie z.B. der Magnetschwebebahn „Transrapid“ geführt haben, die heute nach wie vor nur (und als letzter Versuch) zwischen der chinesischen Stadt Shanghai und ihrem Flughafen betrieben wird.

Die Rechtspolitiker und die Fachpolitiker (Verkehrs- und Technologiepolitiker, Wirtschaftspolitiker, Hochschul- und Forschungspolitiker), vor allem aber die Haushaltspolitiker sollten innehalten und nicht weiter Sachverstand und Unsummen in ein Projekt investieren, das so nicht menschengerecht funktionieren kann.

Die Leitenden im Ingenieurwesen und in der Geschäftsführung der Unternehmen der Automobilindustrie sowie der Automatik-Systeme und auch die hiervon berührten Gewerkschaften sollten mit den verfassungsrechtlich angeleiteten Fachjuristen an großen Runden Tischen die Alternativen ventilieren und in Projekten erproben.

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Kommen Sie sich nicht vor wie David gegen Goliath?

Ach, eigentlich war doch David ganz erfolgreich, oder? Und um wieder mehr zur Gegenwart zu kommen: Ich glaube einfach an die Vernunft und daran, dass die Menschen nach wie vor bereit sind, Verantwortung zu übernehmen; statt ihr Gewissen damit zu „beruhigen“, dass sie die Verantwortung auf Maschinen und Algorithmen abschieben. In der jüngeren Geschichte haben sich Rechtssysteme gerade dadurch als erfolgreich und menschengerecht erwiesen, dass sie für gefährliche Systeme eine noch schärfere Haftung hierfür verantwortlicher Menschen eingeführt haben, nicht umgekehrt die Anforderungen zurückgefahren haben.

Und ich kann es einfach nicht ertragen, wenn Unsinn geschieht. Noch dazu, wenn er lebensgefährlich ist und Milliarden verschlingt.

KN

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