Christian Longardt zu Boostedt
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KN-Chefredakteur Christian Longardt äußert sich im Leitartikel zur Situation in Boostedt.
© Quelle: ulf dahl
Boostedt. Die Bürger haben die Arme weit ausgebreitet, als es galt, Hunderte Zuwanderer aufzunehmen, sie ehrenamtlich zu betreuen, ihnen bei den ersten Schritten in der neuen Umgebung weiterzuhelfen. Boostedt hat im christlichen Sinne Barmherzigkeit gezeigt, sein Bürgermeister Hartmut König stand und steht an exponierter Stelle für diese menschliche Haltung. Umso schwerer wiegt das, was er unserer Redaktion jetzt offenbart hat.
So offen, so ehrlich und, ja, so mutig hat wohl noch kein Bürgermeister in Deutschland die realen Probleme mit Zuwanderern in seinem Ort beim Namen genannt. Wir haben uns dazu entschieden, seine Schilderungen im Wortlaut zu dokumentieren – auch weil auf diese Weise der moralische Zwiespalt deutlich wird, der den Christdemokraten quält.
Klima hat sich verändert
Diesen Zwiespalt erleben nach drei Jahren intensiver Flüchtlingsdebatte doch auch viele andere, selbst wenn sie viel weiter vom Asylthema entfernt sind als der Bürgermeister einer Kommune mit zentraler Asylunterkunft. Straftaten von Migranten, die längst hätten abgeschoben werden sollen, haben das Klima in der Republik nachhaltig verändert, der Terroranschlag von Berlin war ebenso eine Zäsur wie der Fall der ermordeten Susanna in Mainz und die Affäre um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
In Boostedt geht es nicht um Terror, nicht um schwere Kriminalität. Hartmut König beschreibt einen schleichenden Prozess, der die Stimmung in seinem Dorf der Flüchtlingsfreunde Stück für Stück zum Kippen bringt. Selbst die Willkommensinitiative hat schon die Segel gestrichen. In Boostedt geht es um mangelnden Respekt, um Grenzüberschreitungen und das wachsende Gefühl, das einem Teil der Migranten nicht mehr zu helfen ist, weil sie keine Hilfe wollen.
Für die Integration verloren
Die grundlegende Frage, die weit über Boostedt hinausreicht: Was macht unsere Gesellschaft mit Migranten, die hier im Lande sind und absehbar noch bleiben, aber für Integrationsbemühungen der Mehrheitsgesellschaft nicht erreichbar sind? Hunderte vorwiegend junge Zuwanderer auf engem Raum, die aus verschiedenen Gründen nicht außer Landes gebracht werden können und für die Integration verloren sind: Das kann auf Dauer nicht gutgehen. Und es geht in der Landesunterkunft offenbar auch nicht gut. Das auszusprechen, ist Königs Verdienst. Teile der Öffentlichkeit werden ihn dafür heute als Rassisten beschimpfen, was ebenso erwartbar wie ungerecht ist.
Daniel Günther hat dieser Tage gefordert, die Politik solle dem Flüchtlingsthema weniger Aufmerksamkeit schenken. Manchem Boostedter muss das wie Hohn geklungen haben. Die Gemeinde, die solidarisch viele Lasten getragen hat und nun sichtlich überfordert ist, braucht die Solidarität der verantwortlichen Politiker. Weggucken löst keine Probleme.