Justiz in SH sagt zunehmendem Antisemitismus den Kampf an
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Silke Füssinger ist die neue Antisemitismus-Beauftragte der Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig.
© Quelle: Michael Helbing
Schleswig. Die Justiz in Schleswig-Holstein registriert einen wachsenden Antisemitismus. „Wir haben deutlich mehr Ermittlungsverfahren, mehr Beschuldigte und mehr Verurteilungen“, berichtet Silke Füssinger von der Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig. Die Oberstaatsanwältin ist seit Dezember Antisemitismus-Beauftragte der obersten Anklagebehörde und soll landesweit eine Null-Toleranz-Strategie gegen Judenfeindlichkeit garantieren.
„Die Entwicklung ist alarmierend“, betont Füssinger. 2020 hätten die vier Staatsanwaltschaften in Schleswig-Holstein (Kiel, Lübeck, Itzehoe und Flensburg) in 62 Verfahren wegen antisemitisch motivierter Straftaten gegen 51 Beschuldigte ermittelt. „2021 waren es bereits 118 Verfahren mit 125 Beschuldigten.“
Antisemitismus in SH: 20 Verurteilungen in 2021
Einen ähnlichen Trend gibt es beim Abschluss der Verfahren. 2020 machten die Staatsanwälte in 18 Fällen ernst (Anklage oder Antrag auf Strafbefehl) und erreichten vor Gericht acht Verurteilungen. 2021 waren es 29 Fälle und 20 Schuldsprüche.
„Bei den Straftaten handelt es sich um ganz unterschiedliche Delikte, oft um Hetze im Internet oder auch Hakenkreuz-Schmierereien“, berichtet Füssinger. Daten zur Herkunft der Beschuldigten hat sie nicht. Klar ist aber, dass anders als früher nicht nur Neo-Nazis und andere Rechtsextremisten, sondern auch linksradikale Palästina-Freunde und Islamisten Front gegen Juden oder den Staat Israel machen. „Zudem gibt es die Corona-Pandemie mit ihren Verschwörungstheorien.“
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Eine Schlüsselfigur ist der Impfgegner Sucharit Bhakdi
Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem Fall des prominenten Impfgegners Sucharit Bhakdi zu. Der von Querdenkern gefeierte Mediziner hatte gegen Juden gehetzt und schien zunächst davonzukommen, weil die Staatsanwaltschaft Kiel das Verfahren einstellte.
Das rief den damaligen General-Staatsanwalt Wolfgang Zepter auf den Plan. Er übernahm die Ermittlungen gegen Bhakdi wegen Volksverhetzung und berief Füssinger zur Antisemitismus-Beauftragten, und zwar mit dem klaren Auftrag, darauf hinzuwirken, dass die Staatsanwaltschaften des Landes "einheitlich und konsequent" Diskriminierung und Ausgrenzung von jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern und Einrichtungen entgegentreten.
Füssinger will sich zu dem laufenden Verfahren gegen Bhakdi nicht äußern, berichtet aber, dass sie bereits mit den Abteilungen für politisch motivierte Kriminalität der Staatsanwaltschaften in einen engen Austausch über ein abgestimmtes Vorgehen bei antisemitischen Vorfällen eingetreten sei. „Ein solcher Austausch ist wichtig, weil sich die Frage, ob etwas strafbare Hetze oder noch freie Meinungsäußerung ist, nicht immer einfach beantworten lässt.“
So können Juristen trefflich darüber streiten, wo die Grenze zwischen erlaubter Israel-Kritik und strafbarer Judenhetze verläuft. „Volksverhetzung setzt zudem eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens voraus.“ Auch dies müsse im Einzelfall festgestellt werden, erklärte Füssinger.
Einigkeit in der Justiz über konsequentes Vorgehen gegen Antisemitismus
„Ich bin mir aber mit allen Staatsanwaltschaften einig, dass wir klar und konsequent gegen Antisemitismus vorgehen werden“, bilanziert Füssinger. Das gelte auch bei Corona-Protesten, ergänzt sie und verweist etwa auf die von Querdenkern verwandte Behauptung, dass Ungeimpfte wie Juden im NS-Regime behandelt würden. „Solche und ähnliche Äußerungen können eine Verharmlosung des Holocaust darstellen“, sagt Füssinger.
Im Klartext: Wer auf der Straße oder im Internet massenwirksam die Opfer des Holocaust verhöhnt, steht mit einem Bein im Gefängnis. Konkret: Volksverhetzung kann mit einer Haftstrafe (bis zu fünf Jahre) oder einer Geldstrafe geahndet werden. Füssinger: „Bei Antisemitismus darf es kein Pardon geben.“
Von Ulf Christen
KN