Klassenfahrt nach Kanada für 35000 Euro
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/WTGSXHSM52G7EGNUWNUTM7PKQA.jpg)
Zu viel des Guten? Zehn Bildungspolitiker aus Schleswig-Holstein fliegen nach Kanada, um sich über die Kultur und das dortige Schulsystem zu informieren.
© Quelle: imago/ZUMA Press
Kiel. „Kanada bietet sich als Ziel an“, meint der Vorsitzende des Bildungsausschusses, Peer Knöfler (CDU), der mit neun anderen Politikern vom 8. bis 14. September reist. Kanada habe wie Deutschland eine föderale Struktur und sei mit Englisch und Französisch mehrsprachig wie Schleswig-Holstein (Deutsch und Dänisch). Informieren möchten sich die Politiker laut Landtags-Pressestelle auch über das „Zusammenleben in einem Land mit unterschiedlichen Kulturen“.
Teilnehmer sind von Reise begeistert
„Kanada ist uns in einigen Dingen voraus“, betont die Abgeordnete Ines Strehlau (Grüne). „Es ist besser, sich die Dinge vor Ort anzuschauen als es auf Papier zu lesen.“ Angetan von der Reise ist auch der SPD-Bildungspolitiker Martin Habersaat. Ich bin schon seit meiner Studienzeit ein Fan des kanadischen Schulsystems“, berichtet der Studienrat. „Die Kanadier haben ein Einheitsschulwesen ohne Sortierung.“ Habersaat erzählt auch, wie die Politiker ausgerechnet auf Kanada gekommen sind. Eine deutsche Professorin hatte vor einigen Monaten ihre Studie über den in Kanada und Neuseeland gezahlten Bildungsbonus (Extra-Geld für Problemschulen) vorgestellt.
Nicht alle fahren mit
Umstritten ist die Reise selbst unter den Schulpolitikern. Frank Brodehl (AfD) bleibt zu Hause, weil sich ihm die Verhältnismäßigkeit der Reise nicht erschließt. Die gestandene Bildungspolitikerin Anita Klahn (FDP) hat aus persönlichen Gründen abgesagt, verrät aber auf mehrmalige Nachfrage, dass ein Trip nach Dortmund oder Berlin für den Ausschuss wohl einen ähnlichen Erkenntnisgewinn brächte. Anstelle Klahns fliegt ihr Stellvertreter, FDP-Fraktionschef Christopher Vogt. „Ich war etwas überrascht über das Reiseziel“, sagt er. Die Geschäftsordnung sehe aber eine Teilnahme auch der FDP-Fraktion vor.
Schleswig-Holstein: Politiker kritisieren Politiker
Politiker, die nicht im Bildungsausschuss sitzen, halten den Kanada-Trip für „ein Unding“, für kaum vermittelbar oder sogar „Steuerverschwendung“, weil der Landtag in Kiel Flüge und Hotels bezahlt. Öffentlich will allerdings kein Abgeordneter über seine Fraktionskollegen herziehen. Für zusätzliches Kopfschütteln sorgt der Reiseplan von Knöfler. Er reist zunächst mit dem Wirtschaftsausschuss nach San Francisco und will von dort mit dem Abgeordneten Kai Vogel nach Toronto jetten. Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Andreas Tietze (Grüne), legt Wert darauf, dass sich die Reisen des Bildungs- sowie des Wirtschaftsausschusses grundlegend unterscheiden. Die Wirtschaftspolitiker wollen die angelaufene Kooperation mit der Kieler Partnerstadt San Francisco und dem Silicon Valley vorantreiben und werden von einer Wirtschafts- und Hochschuldelegation begleitet.
Philologenverband: Geld lieber in Schulprojekte stecken
Mit dem Abstand zum Landeshaus wächst die Kritik an den Schulpolitikern. „Ich bezweifle, dass sich die Schulsysteme von Kanada und Schleswig-Holstein vergleichen lassen“, sagt der Vorsitzende des Philologenverbandes, Jens Finger. Es sei sicherlich sinnvoll, mal über den Tellerrand zu schauen. Das gehe aber auch klimafreundlicher, etwa mit einer Videokonferenz. Und: „Ich könnte mir vorstellen, dass die mehr als 30000 Euro für die Reise in kleinen Schulprojekten in Schleswig-Holstein besser angelegt wären.“
Steuerzahlerbund: "Lustreise"
Noch härter geht der Steuerzahlerbund mit den Politikern ins Gericht. „Eine Bahnfahrt nach Bayern ist klimafreundlicher als ein Flug nach Toronto und brächte auch mehr Erkenntnisse für die Schulpraxis im Norden“, so Verbandsgeschäftsführer Rainer Kersten. „Es kann nicht sein, dass Steuergelder für eine Lustreise ausgegeben werden.“
Lesen Sie dazu auch einen Kommentar von Ulf B. Christen.
Mehr Nachrichten aus Schleswig-Holstein lesen Sie hier.