Messerattacke in Brokstedt

Zahlreiche Straftaten: Warum wurde Ibrahim A. nicht gestoppt?

Die Messerattacke im Regionalzug RE 70 in Brokstedt forderte zwei Todesopfer und mehrere Verletzte. Hätte die Tat durch bessere Arbeit der Behörden verhindert werden können?

Die Messerattacke im Regionalzug RE 70 in Brokstedt forderte zwei Todesopfer und mehrere Verletzte. Hätte die Tat durch bessere Arbeit der Behörden verhindert werden können?

Kiel. Ibrahim A. (33), der mutmaßliche Messerangreifer von Brokstedt, war Behörden über Jahre als Straftäter bekannt. Nach der schockierenden Tat im Regionalzug RE 70 am Mittwoch stellt sich die Frage: Wie konnte es so weit kommen?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Während Ibrahim A. am Freitag in die JVA Neumünster verlegt wurde, entwickelte sich eine Debatte über die schnellere Abschiebung von Straftätern und die Kommunikation von Behörden. Dabei geriet insbesondere das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in die Kritik. Die Diskussion offenbart auch die Lücken im behördlichen System beim Umgang mit geflüchteten Männern ohne Perspektive.

Inzwischen zeigt sich: Das Bamf erfährt schon kurz nach der Ankunft von Ibrahim A. am 2. Juli 2021 in Kiel vom kriminellen Dasein des staatenlosen Palästinensers und leitet am 19. November 2021 ein Widerrufs- und Rücknahmeverfahren seines Aufenthaltsrechts in Deutschland ein. Doch wie es mit diesem Verfahren weitergeht, bleibt bislang unbeantwortet.

Vor der Messerattacke in Brokstedt: Hamburger Landgericht entließ Ibrahim A. aus U-Haft

Fest steht: Ibrahim A. bleibt auffällig, fliegt am 30. November 2021 aus der Gemeinschaftsunterkunft in der Kieler Arkonastraße, verletzt am 18. Januar 2022 in Hamburg vor der Obdachlosenunterkunft „Herz As“ einen Mann mit einem Messer schwer und wird dafür durch das Hamburger Amtsgericht St. Georg zu einem Jahr und einer Woche Haft verurteilt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Ibrahim A. legt gegen das Urteil Berufung ein und bleibt in Untersuchungshaft. Zu einer Berufungsverhandlung kommt es nicht, das Landgericht Hamburg hebt den Haftbefehl zum 19. Januar 2023 auf. „Die erstinstanzlich gegen den Tatverdächtigen verhängte Freiheitsstrafe war nach der Feststellung des Landgerichts Hamburg durch den Vollzug der Untersuchungshaft fast vollstreckt“: So begründet eine Sprecherin der Hamburger Justizbehörde die Entlassung des 33-Jährigen.

Ibrahim A. wird im Hamburger Gefängnis psychologisch betreut

Der FDP-Landtagsabgeordnete Bernd Buchholz kritisierte am Freitag, dass Ibrahim A. trotz der Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung aus der Haft entlassen wurde, ohne dass Behörden informiert worden seien oder der 33-Jährige mit dem Ziel der Resozialisierung betreut worden wäre.

Dabei fällt der Palästinenser auch im Gefängnis auf. Die Hamburger Staatsanwaltschaft berichtet von zwei Tätlichkeiten im Juni und September 2022. In der Hamburger Justizvollzugsanstalt Billwerder veranlasst man daher, dass Ibrahim A. psychiatrisch betreut wird. Die Betreuung habe durchgängig stattgefunden, sagt die Justizsprecherin.

Diagnose bei Ibrahim A.: Keine Fremdgefährdung

Unmittelbar vor der Entlassung des Mannes wird er von einem Psychiater untersucht. Die Diagnose: Bei Ibrahim A. liegt keine Fremd- oder Selbstgefährdung vor. „Es gab daher keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, eine rechtliche Betreuung zu beantragen oder den sozialpsychiatrischen Dienst einzuschalten“, so die Sprecherin.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Anders als bei der Außervollzugsetzung eines Haftbefehls bestünden bei der Aufhebung eines solchen keine Möglichkeiten, Auflagen oder Weisungen zu erteilen. Ibrahim A. ist also wieder ein freier Mann – und bleibt sich selbst überlassen. Sechs Tage später steigt er in den Regionalzug RE 70.

Nach der Messerattacke in Brokstedt: Können psychotherapeutische Angebote Schlimmeres verhindern?

Beim Punkt der psychologischen Betreuung von Flüchtlingen setzt am Freitag SSW-Fraktionschef Lars Harms an: „Ein echtes Problem ist, dass Menschen ohne Aufenthaltsrecht kein Recht auf psychologische Betreuung haben.“ Durch einen Zugang zu psychotherapeutischen Angeboten könne das Risiko für Taten wie in Brokstedt deutlich minimiert werden. Der SSW habe das im vergangenen Jahr im Zuge einer Reform des Integrations- und Teilhabegesetzes aufgenommen.

Nach Ansicht von Harms hat der Rechtsstaat im Fall Ibrahim A. im Rahmen seiner Möglichkeiten gehandelt. Dennoch bleiben Fragen zum Vorgehen der Behörden offen. Zum Beispiel, warum das Bamf nicht früher über die kriminelle Karriere von Ibrahim A. informiert wurde.

Fall Ibrahim A.: Warum wurde das Bamf nicht früher informiert?

Zwischen 2015 und 2018 war er im Bezirk des Amtsgerichts Euskirchen bereits dreimal verurteilt worden – unter anderem 2016 wegen gefährlicher Körperverletzung. Auch in Nordrhein-Westfalen soll sich auf Antrag von SPD und FDP der Rechtsausschuss des Düsseldorfer Landtags mit der Angelegenheit befassen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Informiert wurde das Bamf über die Verurteilungen und Ermittlungen zu weiteren Straftaten schließlich erst durch die Landeshauptstadt Kiel, nachdem die dortige Ausländerbehörde im Juli 2021 die Akte von Ibrahim A. vom Kreis Euskirchen angefordert hatte. Laut Kiels Ordnungsdezernent Christian Zierau war die Information an das Bamf ein üblicher Vorgang. Auch Hinweise über weitere Straftaten von Ibrahim A. durch die Polizei in Hamburg habe man an das Bamf weitergeleitet.

Ibrahim A. sticht am 18. Januar 2022 einen Mann in Hamburg nieder

Nachdem Ibrahim A. am 30. November 2021 in der Kieler Gemeinschaftsunterkunft in der Akonastraße Hausverbot bekommt, weil Mitbewohner sich bedroht fühlen, und der 33-Jährige mit einem Messer auf dem Flur hantiert, verliert man ihn auch in der Landeshauptstadt aus den Augen. Das städtische Angebot einer Notunterkunft schlägt Ibrahim A. aus.

Am 14. Januar 2022 taucht er noch einmal in Kiel auf, holt an der Zentralen Beratungsstelle für wohnungslose Männer (ZBS) seine Post ab. Vier Tage später passiert der Vorfall vor der Hamburger Obdachlosenunterkunft „Herz As“, bei dem Ibrahim A. einem Mann in den Hals sticht. Der 33-Jährige bleibt allerdings noch zwei Tage auf freiem Fuß. Erst nach einer weiteren gefährlichen Körperverletzung am 20. Januar 2022 kann ihn die Hamburger Polizei festnehmen.

Mehr aus Schleswig-Holstein

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken