Erschütterung und Ängste

Trauma-Expertin aus Kiel: Das hilft Opfern

Trauma-Expertin aus Kiel: Inka Breßmann ist Psychologische Psychotherapeutin am Zentrum für Integrative Psychiatrie (Zip).

Trauma-Expertin aus Kiel: Inka Breßmann ist Psychologische Psychotherapeutin am Zentrum für Integrative Psychiatrie (Zip).

Kiel. Am Tag nach dem Messerangriff im Zug richtet sich der Fokus auch auf die Opfer. Welche Reaktionen löst so eine Bluttat bei Betroffenen aus? Inka Breßmann (43) ist Trauma-Expertin in Kiel und behandelt regelmäßig Gewaltopfer. Sie sagt: „So ein Extremereignis erschüttert das eigene Weltbild und das Sicherheitsgefühl, das wir grundsätzlich brauchen, um einen möglichst unbeschwerten Alltag zu erleben – jenseits der täglichen Stressoren.“

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Betroffene leiden demnach oft unter ähnlichen Gefühlen: „Etwas so Unfassbares zu erleben, bedeutet eine Ohnmacht. Man ist einer unkontrollierbaren Situation ausgesetzt, in der scheinbar alles möglich ist“, sagt Breßmann, Psychologische Psychotherapeutin in der Trauma-Ambulanz des Zentrums für Integrative Psychiatrie (Zip) am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH). Sie ergänzt: „Das löst Ängste aus, bis hin zu Todesangst.“

Unter Schock stehende Menschen könnten sich wie erstarrt fühlen, erklärt Breßmann. Der Puls rast, Schweiß bricht aus, Schwindelgefühle. Akute Belastungsreaktionen treten laut Breßmann innerhalb von 24 Stunden auf. Das sei völlig normal. Symptome wie Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit und unvermittelt auftretende Erinnungen an die Tat könnten auch Wochen nach dem Ereignis anhalten oder neu auftreten, so die Expertin.

Expertin aus Kiel: Auch Augenzeuge sein kann Trauma darstellen

Experten sprechen von Traumata – Verletzungen der Seele, die nicht nur unmittelbare Opfer eines Angriffs betreffen können. „Auch Augenzeuge sein kann ein Trauma darstellen und zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen“, sagt Inka Breßmann. 

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Was hilft nun in der Akutphase? „Unmittelbar nach dem Ereignis geht es um Stabilisierung und den Fokus auf das Hier und Jetzt – und dass es vorbei ist“, erklärt die Trauma-Expertin. Angehörige seien oft überfordert im Umgang mit Betroffenen. Dann können Gesprächsangebote, ein wohlwollendes Umfeld und genug Zeit und Raum, um sich auf die eigene Person und Bedürfnisse zu konzentrieren, hilfreich sein.

Eine Besinnung auf das, was vielleicht schon immer gut getan hat, empfiehlt sie auch. Lesen, gemeinsame Spaziergänge oder Ausflüge etwa. „Das Gute ist: Es gibt Ressourcen im Menschen, um die Selbstheilungskräfte zu aktivieren“, sagt Inka Breßmann. Dafür sei eines wichtig: „Man sollte Opfer nicht unter Druck setzen, reden zu müssen. Die Kontrolle sollte immer bei dem Betroffenen sein.“

Traumatisierte Opfer sollten Erlebtes besser nicht „mit aller Macht wegschieben“

Wie hilfreich ist der Impuls, das Erlebte schnell vergessen zu wollen? Ein natürlicher Reflex in der ersten Zeit, den die Therapeutin verstehen kann. „Wenn man versucht, es mit aller Macht wegzuschieben, ist das nicht so gut. Meine Empfehlung ist, zu versuchen, es zu teilen, nicht allein damit zu sein.“

Hier bekommen traumatisierte Gewaltopfer schnelle Hilfe

Opfer einer Gewalttat erleiden in vielen Fällen auch ein psychisches Trauma. Dann kann eine schnelle Behandlung sinnvoll sein. Betroffene, die nach dem 1. Januar 2021 Opfer einer Gewalttat werden, haben einen weitergehenden gesetzlichen Anspruch auf „schnelle Hilfen“ in einer Trauma-Ambulanz. Darauf weist das Landesamt für soziale Dienste hin.

Angeboten wird demnach unter anderem eine Soforthilfe für Gewaltopfer – mit Aufklärung, Beratung, Diagnostik und Behandlung von Belastungssymptomen. Betroffene, die selbst Opfer geworden sind, Angehörige und auch Hinterbliebene des Opfers sowie nahestehende Personen des Opfers können einen Antrag auf schnelle Hilfen (Behandlung in einer Trauma-Ambulanz) stellen. Übernommen werden für Gewaltopfer nach dem 1. Januar 2021 die Kosten für zunächst fünf Sitzungen bei Erwachsenen sowie acht Sitzungen bei Kindern und Jugendlichen. Fahrkosten zur Trauma-Ambulanz können unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls erstattet werden. Das Amt listet insgesamt acht Anlaufstellen in Kiel, Bad Segeberg, Elmshorn, Schleswig, Lübeck und Hamburg auf.

Es gibt zudem eine Zentrale Anlaufstelle für Opfer von Straftaten und deren Angehörige des Landes. Opferschutzbeauftragte ist Ulrike Stahlmann-Liebelt. Kontakt per Telefon: 0431/988 3763, per E-Mail: zentraleanlaufstelle@jumi.landsh.de.

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Ein gewisser Rückzug kann demnach bei Opfern vorkommen, eine gedrückte Stimmung. Wenn sich daran auch nach mehreren Wochen nichts bessert oder es sogar schlechter wird – dann, sagt Breßmann, sollte das Anlass zur Rücksprache mit dem Betroffenen sein – und professionelle Hilfe ist eventuell der richtige Schritt.

In Traumaambulanzen wie am Zip können Opfer psychologisch unterstützt werden. In einer Akut-Intervention sind für Erwachsene fünf Sitzungen möglich, eine Art seelische Erste Hilfe, wenn die Bewältigung nicht in Gang kommt. „Manche melden sich auch zeitnah nach solchen Ereignissen“, berichtet Breßmann. „Wenn sie sich sehr quälen und nichts hilft, haben sie ein Bedürfnis nach schneller Entlastung.“ Das sei eine Indikation, nach schneller Unterstützung zu suchen – „und es gibt gute Behandlungsmöglichkeiten.“

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Bewusste Fahrt mit dem Zug als Bewältigungsstrategie

Tipps hat sie auch für Pendler, die auf der Strecke zwischen Hamburg und Kiel auf den Zug angewiesen sind und die Fahrt nun mit ungutem Gefühl antreten: „Da hilft eine Risikoeinschätzung: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass so eine Tat genau dort wieder passiert.“ Die Vorteile der Zugfahrt dürften das Risiko daher überwiegen. Breßmann nennt eine weitere mögliche Bewältigungsstrategie: Die Fahrt bewusst anzutreten, um eine „korrigierende Erfahrung“ zu erleben, dass man sich auf eine sichere Fahrt wieder verlassen kann – und das Vertrauen ins Weltbild wieder aufzubauen.

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