Nach umstrittenem US-Wirtschaftsgesetz: „Europe first“ ist kein Tabu mehr
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Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission.
© Quelle: Virginia Mayo/AP/dpa
Brüssel. An „America first“ erinnern sich die meisten Menschen in Europa mit Grauen. Das war Donald Trumps Slogan, mit dem er 2016 die Wahl in den USA gewann und den er anschließend gegenüber Europa zu einer wirtschaftlichen Waffe machen wollte. Nun ist Trump (hoffentlich) Geschichte. Doch was sich sein Nachfolger Joe Biden ausgedacht hat, klingt für die Europäerinnen und Europäer ganz nach der Neuauflage des alten Plans.
Das Gesetz heißt offiziell Inflation Reduction Act, hat aber mit dem Kampf gegen die Teuerung wenig zu tun, sondern ist ein gewaltiges Subventionspaket. Fast 370 Milliarden Dollar will Biden aufbringen, um die US‑Wirtschaft klimafreundlich zu machen. Geld vom Staat bekommt aber nur, wer in den USA produziert oder US‑Produkte verwendet oder seine Produktion in die USA verlagert.
Protektionistische Signale aus Brüssel
„Protektionismus“, schreien sie in Brüssel empört auf. Eine Kampfansage sei das, ein Verstoß gegen den freien Welthandel. Und weil man sich in Europa kaum gegen ein Gesetz wehren kann, das nur in den USA gilt, werden jetzt erstmals seit Jahrzehnten wieder protektionistische Signale aus Brüssel gesendet. „Europe first“, das war lange ein Tabu. Jetzt nicht mehr. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen träumt schon von einem EU‑Sonderfonds für industrielle Entwicklung.
Vielleicht werden wir an diesem Mittwoch ein bisschen klarer sehen, ob die EU neue Verbündete findet. In Brüssel treffen sich die EU‑Spitzen mit den Asean-Staaten. Seit 45 Jahren pflegt die EU diplomatische Beziehungen mit dieser Staatengruppe in Südostasien. Das wäre ein schöner Anlass für ein Freihandelsabkommen, finden manche. Das könnte tatsächlich helfen, den Protektionismus der USA zu kontern. Doch kurzfristig hilft das nicht. Bis Freihandelsabkommen unterschriftsreif sind, vergehen mitunter Jahrzehnte. Bis dahin werden wir in Europa wahrscheinlich längst andere Probleme haben als „America first“.