Deutschland und seine Wasserstoffstrategie: Nichts geschehen „außer Ankündigungen“?
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Auch Wasserstofftankstellen soll es in Deutschland deutlich mehr geben.
© Quelle: Ole Spata
München. Es ist eine Bilanz, die von enttäuschter Aufbruchstimmung zeugt. Vor ziemlich genau 1000 Tagen hat die damalige Bundesregierung mit großen Worten eine international viel beachtete nationale Wasserstoffstrategie aus der Taufe gehoben. „Das ließ große Hoffnung aufkeimen“, erinnert sich Werner Diwald als Chef des deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellenverbands. Als das Erdöl von morgen sei vor allem grüner Wasserstoff gepriesen worden. „Die Realitäten sind ernüchternd“, stellt der Manager klar. Zehn Gigawatt Leistung sollen in Deutschland bis 2030 durch Elektrolyseure installiert sein, um grüne Energien in grünen Wasserstoff zu wandeln. „Mit 0,08 Gigawatt 2022 sind wir davon weit weg“, bedauert Timm Kehler.
Auch wenn der russische Einmarsch in der Ukraine Branche wie Politik ein Jahr lang in Krisenmodus versetzt hat, müsse Deutschland nun endlich in die Gänge kommen, spricht der Chef des Industrieverbands Zukunft Gas aus, was auch in Abnehmerindustrien viele denken. Denn anderswo in der Welt tue sich inzwischen Konkreteres, betonen die Gasindustrie und ihre Industriekunden und -kundinnen mit Blick auf die USA aber auch Japan oder China. „Wir sind nicht auf dem Zielpfad“, stellt Kehler klar. Globale Leitmärkte drohten anderswo zu entstehen.
„Nichts gekommen außer Ankündigungen“
„Von 38 konkreten Maßnahmen der nationalen Wasserstoffstrategie ist nichts gekommen außer Ankündigungen“, kritisiert Diwald. Dabei sei vor allem grüner Wasserstoff unumstritten ein Kernelement der Energiewende. Teils hätten sich die Dinge aber sogar wieder rückwärts entwickelt. „Es wird eher entschleunigt“, beobachtet der Wasserstoffmanager. Worüber seitens der Politik zuletzt noch am ehesten gesprochen wurde, seien Wasserstoffimporte von außerhalb Europas. Dabei böten vor allem innereuropäische Netze viel Potential für kostengünstige Versorgung per Pipeline.
„Wir müssen uns als EU resilienter aufstellen“, findet Diwald. Das sei auch eine Lehre aus dem Ukrainekrieg und seinen Folgen für den Energiemarkt. Klar sei, dass es ohne Wasserstoffimporte nicht geht. „1500 bis 2000 Terawattstunden brauchen wir, 600 bis 700 Terawattstunden können wir selbst erzeugen“, rechnet Diwald vor. Beim Fehlenden solle man vor allem auf einen europäischen Pipelineverbund inklusive Ukraine als Lieferland setzen.
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Selina Breilmann weiß ungefähr, was die dafür nötige Infrastruktur kostet. „Das Investitionsvolumen wird auf 80 bis 143 Milliarden Euro geschätzt“, sagt die Expertin des Gasnetzverbunds Open Grid Europe mit ihren 31 angeschlossenen Netzbetreibern. 53.000 Pipelinekilometer bekäme man bis 2030 dafür, wovon knapp zwei Drittel auf schon bestehenden Erdgaspipelines beruhen. Ein Kilogramm Wasserstoff lasse sich darin über 1000 Kilometer für 11 bis 23 Cent transportieren, was tragfähig sei. Was es nun brauche, seien politische Entscheidungen und beschleunigte Genehmigungsverfahren.
Erste Stahlwerke rüsten auf klimafreundliche Produktion um
Erste Pflanzen der Wasserstoffwirtschaft würden dabei in Deutschland schon wachsen, erkennt Kehler an und nennt dabei an erster Stelle den Wilhelmshavener Wasserstoffhub. Dort stünden ein Hafen zum Anlanden des Öls von morgen bereit, unterirdische Kavernen zum Speichern und Anbindungen an Gasnetze. Gut die Hälfte des deutschen Wasserstoffbedarfs könne darüber einmal abgewickelt werden. Ein Mengenproblem sieht Diwald dabei nicht. Es bedürfe nur einer politischen Initialzündung, dann würde rasch genug auch grüner Wasserstoff produziert und das nicht nur für Deutschland oder die EU. Wer von einem deutschen Leitmarkt wolle, müsse aber vor allem erst einmal die heimische Produktion entwickeln, fordert Diwald und spricht von mehreren Milliarden Euro an nötiger Förderung. „Wir können und müssen sofort loslegen“, sagt er mit Blick auf die Industrie.
Scholz: Neue Gaskraftwerke sollen gleich „Wasserstoff ready“ gebaut werden
undeskanzler Olaf Scholz hat den Bau neuer Gaskraftwerke angekündigt, um den verabredeten früheren Ausstieg aus der Kohlenutzung zu ermöglichen.
© Quelle: Reuters
Alexander Redenius bestätigt das. Er ist Leiter für Ressourceneffizienz bei Salzgitter und Experte für das dortige Salcos-Projekt. Dort laufen derzeit Arbeiten für die Umrüstung eines großen Stahlwerks auf klimafreundliche Produktion. Der Standort ist nicht irgendeiner. „Mit 4,5 bis 5 Millionen Tonnen sind wir der zweitgrößte Stahlhersteller Deutschlands“, sagt Redenius. Acht Millionen Tonnen des Klimakillers Kohlendioxid (CO₂) und damit ein Prozent aller in Deutschland verursachten CO-Emissionen fielen dabei an.
Bis 2025 soll es fast ein Drittel weniger sein, bis 2030 nur noch die Hälfte und bis 2033 sollen sie zu 95 Prozent getilgt werden. Voraussetzung ist die Versorgung mit grünem Wasserstoff. „Wir hoffen auf Anbindung an das Wasserstoffnetzwerk“, sagt Redenius und spricht von ambitionierten Zeitplänen. Die Experten und Expertinnen sind sich durch die Bank einig. Die gerade laufende Überarbeitung der nationalen Wasserstoffstrategie muss Worten nun auch konkrete Taten und einen schnellen Hochlauf folgen lassen.