Warum die Lohn-Preis-Spirale bisher ausbleibt
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Die durchschnittlichen Lohnsteigerungen im vergangenen Jahr von knapp 3,1 Prozent wurden vollständig von der Teuerungsrate aufgezehrt.
© Quelle: Arno Burgi/dpa-Zentralbild/dpa
An diesem Donnerstag tagt in Frankfurt der EZB-Rat – das Gremium, das die Inflation in den Griff bekommen soll. Zweifellos werden sich die Währungshüter auch den Kopf über sogenannte „Zweitrundeneffekte“ zerbrechen: Auf steigende Preise könnten hohe Lohnforderungen folgen, weshalb die Preise danach erneut steigen würden. Doch Expertinnen und Experten sind sich gar nicht sicher, wie groß die Gefahr überhaupt ist.
In einigen Branchen in Deutschland legen die Löhne derzeit deutlich zu, etwa in der Gastronomie. Sie sucht händeringend nach Personal, nun steigen die Tarifentgelte. „Diese Lohnsteigerungen von teilweise über 20 Prozent sind für unsere Mitglieder nach den Einbußen während der Corona-Pandemie und bei der aktuellen Rekordinflation besonders wichtig“, jubelt der stellvertretende Chef der Gastro-Gewerkschaft NGG, Freddy Adjan.
Werden Restaurants teurer?
Ob deshalb Kneipen, Gaststätten und Hotels die Preise erhöhen, will der Gaststättenverband Dehoga nicht voraussagen. Wirtinnen und Wirte könnten auch Betriebsabläufe optimieren oder ihr Angebot anpassen, sagt Dehoga-Geschäftsführerin und Arbeitsmarktexpertin Sandra Warden. Doch mit Blick auf ebenfalls steigende Energiekosten und Einkaufspreise wirkt das wie eine Quadratur des Kreises. „Solange die Qualität stimmt, werden die Gäste Verständnis für Preisanpassungen haben“, hofft Warden denn auch.
Bei Gasembargo: Wirtschaftsinstitute erwarten scharfe Rezession und hohe Inflation
Führende Wirtschaftsinstitute warnen vor Rezession und der höchsten Inflation seit Bestehen der Bundesrepublik im Falle eines Stopps russischer Gaslieferungen.
© Quelle: Reuters
Was Restaurantgäste möglicherweise ärgert, beschäftigt auch Volkswirte: Die Inflation ist auf Rekordhoch, mehr als 6 Prozent dürften es 2022 werden. „Damit steigt das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale“, warnte jüngst die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Schlussendlich, so die Sorge, könnte sich die Inflation verselbstständigen: Auf hohe Inflationsraten folgen hohe Lohnsteigerungen, die wiederum für höhere Inflationsraten sorgen, die noch höhere Löhne nötig machen.
Gewerkschaften halten sich teilweise zurück
Ein Automatismus sei das jedoch nicht, betont Grimms Kollege aus dem Wirtschaftssachverständigenrat, Achim Truger. „In den bisherigen Tarifabschlüssen ist noch kein übermäßiges Lohnwachstum zu sehen“, sagte der Ökonom dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er erwartet, dass sich die schlechteren Wirtschaftsaussichten wegen des Ukraine-Kriegs auch in den Tarifverhandlungen niederschlagen werden
Erste Anzeichen dafür gibt es: In der chemischen Industrie etwa hat die IG BCE zuletzt auf Lohnsteigerungen verzichtet. Mit den Arbeitgebern einigte man sich mit Blick auf die wackelige Konjunktur vorerst auf eine Einmalzahlung für die 580.000 Beschäftigten in der Branche. Dass es in der Gastronomie anders lief, liegt auch an den Arbeitgebern, die spätestens seit der Pandemie kaum noch Personal fanden: Ein „wichtiges Signal für die Fachkräftesicherung“ seien die steigenden Gehälter, sagt Warden.
Entlastungspakete bremsen Lohn-Preis-Spirale
Und wie sehr die Inflation die Kaufkraft schmälert, hängt auch vom Staat ab, der zuletzt schon 30 Milliarden Euro für Entlastungspakete eingeplant hat. „Dadurch wird etwas Druck aus den Lohnverhandlungen genommen“, meint Truger. „Weitere Entlastungsmaßnahmen könnten diesen Effekt verstärken.“ Um die finanziellen Spielräume des Staates macht er sich dabei wenig Sorgen: „Die Angst vor höherer Staatsverschuldung ist unbegründet und darf den notwendigen Mehrausgaben nicht im Weg stehen“, so der Ökonom.
Gebannt ist die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale indes nicht, womöglich beginnt sie erst in der zweiten Jahreshälfte. Auch Truger schließt das nicht aus, falls die Inflation weiter steigt. Doch ihm zufolge ist die Situation derzeit eine andere als in den Siebzigerjahren, als sich die Lohn-Preis-Spirale wirklich drehte. Damals hätten steigende Löhne schon vor dem Ölpreisschock die Inflation befeuert. In der jüngeren Vergangenheit sei die Teuerung hingegen eher zu niedrig als zu hoch gewesen, urteilt Truger mit Blick auf das bis 2020 meist unterschrittene Inflationsziel der EZB.
Normalisiert sich die Inflation?
Dass die Zentralbank ihr Ziel, etwa 2 Prozent Inflation, bald wieder erreicht, hält Truger für durchaus möglich: „Wenn es nicht zu einem weiteren rasanten Anstieg der Energiepreise kommt, etwa durch einen Stopp russischer Energielieferungen, dann sollte sich im Laufe des nächsten Jahres eine Normalisierung der Inflationsraten ergeben“, sagte er.
Dann würde auch der Druck bei Lohnverhandlungen nachlassen – sofern Beschäftigte kein größeres Stück vom Kuchen fordern. Denn in einigen Unternehmen sind Lohnsteigerungen womöglich drin, wie ein Blick auf Gewinnausschüttungen zeigt: Aktionärinnen und Aktionäre können sich laut der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz 2022 auf rekordverdächtige 70 Milliarden Euro an Dividenden freuen.