Die Zukunft oder Blödsinn? Autobauer und Zulieferer streiten über Oberleitungs-Lkw

Ein Hybrid-Lkw mit einem Stromabnehmer fährt auf der Autobahn A1 zwischen Lübeck und Reinfeld. Seit 2020 läuft der Praxistest für den sogenannten E-Highway, bei dem ein Oberleitungssystem an der Autobahn zur Elektrifizierung schwerer Nutzfahrzeuge genutzt wird.

Ein Hybrid-Lkw mit einem Stromabnehmer fährt auf der Autobahn A1 zwischen Lübeck und Reinfeld. Seit 2020 läuft der Praxistest für den sogenannten E-Highway, bei dem ein Oberleitungssystem an der Autobahn zur Elektrifizierung schwerer Nutzfahrzeuge genutzt wird.

München. Die Vorstellung ist ziemlich gewöhnungsbedürftig. Über Tausende deutscher Autobahnkilometer sind Stromleitungen gespannt. An sie koppeln Lkw per Stromabnehmer an und ab. Wenn es nach Siemens und Continental geht, wird dieses Bild nach der Bundestagswahl im großen Stil Realität.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Beide Dax-Konzerne kooperieren nun bei Oberleitungs-Lkw, um zeitnah mit Serienfertigungen zu beginnen. Die Stromabnehmer für Lkw will Continental nun fertig entwickeln und produzieren. Zum Bau der Oberleitungen steht die Siemens-Zugsparte parat.

„Wir übertragen das Prinzip der Bahnelektrifizierung auf die Straße“, erklärt Christoph Falk-Gierlinger als Chef der Conti-Tochter CES. Die verbündet sich nun mit Siemens Mobility, nachdem diese die Technologie seit einigen Jahren entwickelt.

Derzeit gibt es in Deutschland drei wenige Kilometer lange Teststrecken in Hessen und Schleswig-Holstein an Autobahnen sowie in Baden-Württemberg an einer Bundesstraße.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die E-Highway-Feldversuche werden durch die Bundesministerien für Umwelt und Verkehr unterstützt. Größere Pilotanlagen sind bis 2023 geplant. Die Dax-Konzerne wollen mehr. „Ziel von Siemens Mobility und CES ist es, das Lkw-Oberleitungssystem flächendeckend in ganz Europa zur Verfügung zu stellen“, erklärt das Duo.

Wird ein Drittel der deutschen Autobahnen elektrifiziert?

„Die Partnerschaft ermöglicht einen großen Schritt hin zu einem klimaneutralen Güterverkehr“, sagt Gierlinger zum ehrgeizigen Vorhaben. Die Stromtrassen sollen dafür sorgen, dass Elektro-Lkw elektrisch fahren und dabei ihre Batterien laden können.

Die von Siemens erfundene Technologie ermöglicht ein Aufladen der Batterien von Elektro-Lkw bei Geschwindigkeiten von bis zu 100 Stundenkilometern. Sie ist unabhängig davon, ob ein strombetriebener Lastwagen rein batterieelektrisch fährt oder mit einer wasserstoffelektrischen Brennstoffzelle bestückt ist. Wollen an die Stromtrasse angekoppelte Lkw überholen, wird der Stromabnehmer auf der Fahrerkabine automatisch eingefahren.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Durch die Speichermöglichkeit in der Lkw-Batterie ist es nicht nötig, das ganze Autobahnnetz mit seinen 13.200 Kilometern mit Stromleitungen zu überspannen. Rund 4000 Kilometer, ein knappes Drittel, würden reichen.

Die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität, eine Innovationsinitiative des Bundesverkehrsministeriums, empfiehlt, diesen Anteil des Autobahnnetzes bis 2030 zu elektrifizieren. Denn etwa zwei Drittel des Kraftstoffverbrauchs im Lkw-Fernverkehr auf deutschen Autobahnen entfallen auf die meistbefahrenen 4000 Kilometer. Könne man gezielt dort Diesel-Lkw durch Elektrovarianten ersetzen, könne ein hoher Beitrag zum Klimaschutz erbracht werden.

„Beim Kampf gegen den Klimawandel spielt der Straßengüterverkehr eine zentrale Rolle“, erklärt der Chef der Siemens-Bahnsparte, Michael Peter. In Deutschland verursache er ein Drittel aller Emissionen des Klimakillers Kohlendioxid im gesamten Verkehrssektor. Mit dem E-Highway habe Siemens eine einsatzreife Technologie für kostengünstigen und emissionsfreien Lkw-Verkehr erfunden.

Daimler Truck: „Oberleitungstechnologie ist ausgemachter Blödsinn“

Das sehen nicht alle so, speziell beim Stuttgarter Nutzfahrzeughersteller Daimler Truck. „Die Oberleitungstechnologie ist ausgemachter Blödsinn und Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen“, urteilte vorigen Herbst dessen Chef Martin Daum. Man plane deshalb keinen Oberleitungs-Lkw. Die Positionen von Daimler Truck zu diesem Thema hätten sich seitdem nicht verändert, merkt man dort heute spitz an.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die Stuttgarter glauben, ihren Elektro-Lkw eActros schon bald so weit zu haben, dass zusätzliche Stromleitungen zum Aufladen während der Fahrt schlicht überflüssig sind. Das sollen immer reichweitenstärkere Batterien sowie die Brennstoffzellentechnik ermöglichen.

2024 will Daimler einen fernverkehrstauglichen Elektrobrummi haben, der dann weit flexibler sei als an Oberleitungsstrecken gebundene Fahrzeuge, die bei Streckensperrungen durch Baustellen oder Unfälle vor einem Problem stehen. Aber wenn Lkw-Bauer die Oberleitungstechnik ablehnen, droht der eine Totgeburt.

Andere in der Brummibranche glauben dagegen an die Technologie. „Scania testet seit Mitte 2020 in Deutschland auch Oberleitungs-Lkw und hat dabei positive Erfahrungen gesammelt“, erklärt die VW-Tochter Traton, zu der die Lkw-Marken Scania, MAN und VW do Brasil zählen, auf Anfrage. Die VW-Nutzfahrzeug-Holding ist mit einer Testflotte von mittlerweile 22 Lastern an den laufenden Siemens-Tests beteiligt und sieht die Oberleitungstechnik beim elektrischen Fahren als praktikable Ergänzung.

Auch Continental ist zuversichtlich, dass Nutzfahrzeughersteller mit Stromabnehmer bestückte Lkw bauen. „Aktuell sind wir mit einigen Kunden in Kontakt”, erklärt CES auf Anfrage. Namen dürfe man wegen Geheimhaltungsvereinbarungen leider nicht nennen. Viel Fantasie gehört nicht dazu, zumindest Lastwagenmarken aus dem VW-Imperium zu diesen Interessenten zu zählen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Klar ist aber auch, dass der Startschuss für die Oberleitungstechnik nur von der Politik gegeben werden kann, und zwar mit Blick auf transeuropäische Lkw-Verkehre auf EU-Basis. In Europa gebe es aber bislang keine koordinierenden Absprachen zum Bau einer grenzüberschreitenden Infrastruktur für Oberleitungen, legt der heimische Verband der Automobilindustrie (VDA) den Finger in die Wunde.

Bei Investitionskosten von 2 Millionen bis gut 4 Millionen Euro je Kilometer Autobahn käme das zudem kostspielig. 8 Milliarden bis 16 Milliarden Euro wären es so gerechnet allein für 4000 deutsche Autobahnkilometer und ein Vielfaches in EU-Dimension. Die Frage, ob Deutschland sich das leisten will und dann die EU davon überzeugen kann, muss die kommende Bundesregierung beantworten.

Mehr aus Wirtschaft

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken