„Diskussion überflüssig“: EZB-Präsidentin Lagarde gegen Abschaffung von Bargeld

Die französische Politikerin Christine Lagarde ist die erste Frau an der Spitze der EZB.

Die französische Politikerin Christine Lagarde ist die erste Frau an der Spitze der EZB.

Berlin. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, hält die Gefahr eines zusätzlichen Preisschubs durch die Energiewende oder die anstehenden Tarifrunden für gering. „Die ganze Debatte über Greenflation halte ich für übertrieben“, sagte Lagarde dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

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„Die aktuellen Auswirkungen der Dekarbonisierung auf die Preise sind minimal, und zwar egal, ob wir über Emissionshandel oder Sondersteuern reden“, fügte sie hinzu. Das gilt nach ihren Worten auch für die immer teurer werdende Rohstoffe der Energiewende wie Silizium, Nickel oder Kupfer. „Die Auswirkung dieser speziellen Rohstoffpreise auf die allgemeine Preisentwicklung ist klein, jedenfalls zur Zeit“, argumentierte sie.

Auch durch die anstehenden Tarifrunden erwartet Lagarde keinen weiteren Inflationsschub. „Zunächst einmal halte ich es für verständlich und legitim, wenn Gewerkschaftsführer in dieser Situation höhere Lohnforderungen stellen, um die Kaufkraft der Arbeitnehmer zu erhalten“, sagte sie. Dass Lohnabschlüsse den Inflationsprozess beschleunigten, sehe sie „im Moment aber überhaupt nicht“. Lagarde: „In den meisten Euro-Ländern, auch in Deutschland, sind die Lohnforderungen ausgesprochen moderat.“

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Lagarde will bei Zinserhöhungen nicht „überstürzt handeln“

Bei den Energiepreisen erwartet Lagarde eine Stabilisierung auf hohem Niveau. Die hohen Kosten für Öl und Gas seien zwar kein vorübergehendes Phänomen, betonte sie. „Das Preisniveau ist aber jetzt schon sehr hoch. Der Ölpreis ist von unter 20 Euro im April 2020 auf 90 Euro pro Fass gestiegen, und es ist sehr unwahrscheinlich, dass er in der gleichen Dynamik weiter steigt. Die Inflation wird sich allein schon deshalb verlangsamen.“

Die EZB beobachte die Auswirkungen der hohen Energiepreise auf die allgemeine Teuerung sehr genau, betonte Lagarde. „Wir werden uns das im März sehr genau ansehen und bei allen weiteren Treffen in den nächsten Monaten. Falls nötig, werden wir handeln. Aber das geht nur Schritt für Schritt.“

Zu möglichen Zinserhöhungen sagte die EZB-Präsidentin: „Wenn wir jetzt überstürzt handeln, könnte die Erholung unserer Volkswirtschaften deutlich schlechter ausfallen und Arbeitsplätze wären gefährdet. Damit wäre niemandem geholfen.“ Man müsse behutsam vorgehen. „Wir sind noch nicht am Ziel, die Inflationsrate auch auf mittlere Sicht und dauerhaft bei unserem Ziel von 2 Prozent zu stabilisieren. Aber wir machen Fortschritte und kommen dem näher. Das würde uns erlauben, einige unserer Interventionen zurücknehmen“, erklärte sie.

Den Weg zu einer Normalisierung der Zinspolitik verglich Lagarde mit dem Abbiegevorgang beim Autofahren. „Niemand macht das im fünften Gang in voller Fahrt, sondern man geht vom Gas und schaltet schrittweise zurück. Genau das tun wir gerade. Und sobald das Tempo richtig ist und die Situation es zulässt, nehmen wir die Kurve.“

Keine Unterschiede bei Banknoten nach Ländern

Die EZB-Präsidentin hat sich zudem dafür ausgesprochen, auf den Euro-Scheinen künftig berühmte Europäer abzubilden. „Ich persönlich kann mir sehr gut vorstellen, auf den Banknoten Gesichter berühmter Europäer zu zeigen: Leonardo da Vinci, Ludwig van Beethoven oder James Joyce“, sagte Lagarde dem RND. „Ich selbst erinnere mich gern an den Fünf-Franc-Schein mit Victor Hugo, den es vor 50 Jahren in Frankreich gab“, fügte sie hinzu.

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Derzeit zeigen die Euro-Scheine fiktive Bauwerke. „20 Jahre nach der Einführung des Euro ist es an der Zeit, uns zu fragen, ob es etwas gibt, mit dem sich Europäerinnen und Europäer noch besser identifizieren können. Etwas, was wir alle als typisch europäisch wahrnehmen und uns verbindet“, betonte sie. Möglich sei auch ein berühmtes Bild oder ein Baudenkmal.

Eine je nach Ausgabeland unterschiedliche Gestaltung wie bei den Münzen lehnte sie ab. Ziel sei es, Geschlossenheit zu zeigen. „Es wäre ein Fehler, wenn wir jetzt wieder anfangen würden, nach Ländern zu unterscheiden. Wir sollten herausfinden, was uns eint und verbindet – nicht, was uns trennt.“ Die EZB plant eine Neugestaltung der Banknoten bis 2024. Dabei sollen die Bürgerinnen und Bürger einbezogen werden.

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„Ich liebe es, Banknoten in meinem Portemonnaie zu haben“

Einer Abschaffung von Bargeld hat Lagarde eine klare Absage erteilt. „Die Menschen sind an Bargeld gewöhnt und wollen es nicht aufgeben. Die Diskussion über eine Abschaffung von Bargeld halte ich daher für überflüssig“, sagte die EZB-Präsidentin. „Auch ich liebe es, Banknoten in meinem Portemonnaie zu haben“, fügte sie hinzu und versicherte, auch wenn ein digitaler Euro eingeführt werde, gebe es weiterhin Euro-Münzen und Banknoten.

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Für das Projekt der EZB, einen digitalen Euro einzuführen, sprechen nach Ansicht Lagardes mehrere Gründe: So gebe es private Anbieter, die versuchten, Kryptowährungen zu etablieren. „Dem müssen wir etwas entgegensetzen. Es kann nicht sein, dass mit persönlichen Daten der Nutzerinnen und Nutzer Geld verdient wird“.

Außerdem biete die Technologie für private digitale Währungen auch neue bedenkliche Möglichkeiten, zum Beispiel für die Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche, so Lagarde. „Deshalb sollte die Schaffung eines digitalen Euro ein öffentliches Projekt sein.“

Das diene auch Europas Unabhängigkeit, schließlich liefen derzeit viele digitale Zahlungen über außereuropäische Systeme, etwa Visa oder Mastercard. „Wir erleben gerade bei Öl, Gas oder Mikrochips, wie teuer es sein kann, von externen Lieferanten abhängig zu sein, dort fehlt uns Souveränität. Ich denke, dass wir im Bereich der Finanzen ebenso vorsichtig sein müssen“, betonte die EZB-Chefin.

Das gesamte Interview mit Christine Lagarde beim RND lesen Sie hier.

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