„Enorme Umwälzung“: VW will komplett neues Werk bei Wolfsburg bauen
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VW-Markenchef Ralf Brandstätter (rechts) und Personalvorstand Gunnar Kilian: „großer Schritt für die Transformation von Volkswagen“.
© Quelle: picture alliance/dpa
Wolfsburg. Es klingt paradox: Das Volkswagen-Werk in Wolfsburg ist zurzeit nicht nur wegen des weltweiten Halbleiterengpasses schlecht ausgelastet – aber das Unternehmen denkt trotzdem darüber nach, zusätzlich eine neue Fabrik auf der grünen Wiese hochzuziehen. Auf einem noch zu findenden Gelände im Wolfsburger Umland will VW von 2026 an ein neues Modell unter dem Projektnamen Trinity bauen. Vor der Tesla-Fabrik in Grünheide, die Konzernchef Herbert Diess seinen Leuten stets als Maßstab vorhält, werde sich das neue Werk nicht verstecken müssen, meinen Ralf Brandstätter, Chef der Marke VW, und Gunnar Kilian, Personalvorstand des Konzerns.
Akute Probleme wie die schlechte Auslastung und der Personalüberhang in der Verwaltung sind damit allerdings nicht gelöst. Die heftigen internen Konflikte vor allem zwischen Diess und der Betriebsratsratsvorsitzenden Daniela Cavallo mögen die beiden Topmanager beim Doppelinterview im zwölften Stock des VW-Markenhochhauses dennoch nicht zum Thema machen. Mit Ausblick über die denkmalgeschützten Wolfsburger Hallen soll es vor allem um die Zukunft der Produktion gehen.
Vor uns liegt eins der größten Werksgelände der Welt. Wie kann man da mehr Platz brauchen, Herr Brandstätter?
Brandstätter: Für unser Projekt Trinity, das 2026 starten soll, haben wir viele Varianten geprüft. An dem Projekt wird seit Monaten intensiv gearbeitet. Aber wenn Sie sich den Plan des Wolfsburger Werks ansehen, werden Sie keine großen ungenutzten Flächen finden. Wir bauen hier auf vier Produktionslinien Golf, Tiguan und weitere Modelle – und das wird auch so bleiben. Gleichzeitig wird Trinity ein Auto neuen Typs – mit wenigen Varianten und sehr schlanker Produktion und Logistik. Es wird das Effizienteste, was es gibt. Das muss auch für die Produktion gelten. Die nötigen Umbaumaßnahmen könnten wir in der vorhandenen Struktur bei laufendem Betrieb nur mit kostenintensiven Maßnahmen realisieren. Deshalb halten wir eine neue Fabrik im Umland für die beste, weil wirtschaftlichste Lösung.
Und das alte Werk wird zum größten Museum der Welt?
Brandstätter: Nein, hier werden weiter sehr erfolgreich Autos gebaut. In den nächsten Jahren werden das vor allem Golf und Tiguan sein. Und klar ist: Die neue Fabrik wird ebenfalls zum Standort Wolfsburg gehören. Das langfristige Bild für Wolfsburg zeigt, dass hier auf zwei Linien weiter Verbrenner gefertigt werden. Auf den frei gewordenen Flächen wollen wir eine weitere Trinity-Variante fertigen.
Durch den Chipmangel ist das Werk nur zur Hälfte ausgelastet. Müssten Sie sich nicht eigentlich um akutere Probleme kümmern?
Kilian: Das tun wir und zwar täglich. Uns beschäftigen die Produktionsfahrweisen vor dem Hintergrund der Halbleitersituation oder auch die akut ansteigenden Covid-Zahlen in Deutschland und wie wir damit umgehen. Fakt ist aber auch: Trinity ist ein strategisch extrem wichtiges Projekt, mit dem wir auch nachhaltig die Zukunft des Standortes zu sichern. Und das müssen wir jetzt angehen.
Ihr Vorstandschef Herbert Diess präsentiert die Tesla-Fabrik in Grünheide immer als leuchtendes Beispiel. Kann VW da mithalten?
Kilian: Ja natürlich. Nehmen Sie unseren Produktionsvorstand Christian Vollmer. Zusammen mit seinem Team hat er in China beispielsweise binnen kürzester Zeit insgesamt sechs hocheffiziente Fabriken ans Netz gebracht.
Die Arbeitnehmer fordern den Bau eines weiteren Elektroautos in den alten Hallen – möglichst bald, weil Trinity noch weit weg ist.
Brandstätter: Darüber reden wir gerade, aber klar ist: es muss wirtschaftlich Sinn ergeben. Wir sind dazu in konstruktiven Gesprächen, noch ist nichts entschieden.
Angeblich boomt doch das Elektrogeschäft. Brauchen Sie nicht mehr Kapazität?
Brandstätter: Unsere bisherigen Elektrostandorte sind ausgelastet. Wie dynamisch sich die Elektromobilität in einzelnen Märkten weiterentwickelt, hängt aber auch von den Rahmenbedingungen ab: Ausbau des Ladenetzes, die Verfügbarkeiten von Batteriekapazitäten sowie von erneuerbaren Energien zum Beispiel. Flexibilität in der Produktion ist also wichtig.
Jetzt ist so oft der Name Trinity gefallen – als warte da eine Revolution. Wir reden aber schon von einem Auto mit vier Rädern, oder?
Brandstätter: Das kann ich bestätigen. Die entscheidenden Veränderungen kommen mit der Software. Vom eigentlichen Fahrzeug – nennen wir es jetzt mal Hardware – wird es extrem wenig Varianten geben. Die Anpassung an Kundenwünsche wird vor allem über die Digitalisierung des Fahrzeuges passieren. Wir werden unsere neueste Softwareplattform nutzen und autonomes Fahren nach Level 4 ermöglichen. Sie können dann auf dem Weg zur Arbeit Mails lesen oder frühstücken – wie Sie mögen. Entsprechend muss der Innenraum gestaltet sein. Das ist die eigentliche Revolution.
Trotzdem muss die Software ordentlich fahren. Auf welcher technischen Plattform passiert das?
Brandstätter: Mit dem Trinity werden wir unsere neue Einheitsplattform SSP in große Stückzahlen bringen. Danach werden fast alle Modelle schrittweise auf diese neue Basis gestellt. Trinity ist das neue Urmeter für Elektrifizierung und Digitalisierung.
Weniger Varianten bedeuten sehr viel weniger Arbeit. Wie viele Menschen werden in der neuen Fabrik arbeiten?
Brandstätter: Das neue Auto wird ein Zehn-Stunden-Fahrzeug – länger soll die Produktion eines Fahrzeugs nicht dauern ...
Heute dauert es mindestens doppelt so lange.
Brandstätter: Genau – wir stehen vor einer enormen Umwälzung. Im ersten Schritt sollen 250.000 Trinity im Jahr gebaut werden. Wie viele Beschäftigte genau dafür nötig sind, hängt von der Fertigungstiefe ab – also davon, was wir selbst bauen und was wir einkaufen. Wir wollen die Transformation mit unserer Belegschaft schaffen.
Das klingt, als könnte das Projekt noch mächtig wackeln. Hat der Betriebsrat schon seinen Segen gegeben?
Brandstätter: Wir haben intensiv mit vielen Beteiligten gesprochen, und die Rückmeldungen sind sehr positiv. Aber klar ist auch: Es sind noch nicht alle Hindernisse aus dem Weg geräumt. Der Aufsichtsrat wird das Thema im Dezember sicher auf der Tagesordnung haben.
Bisher gilt bei VW das Mantra, Personal „entlang der demografischen Kurve“ abzubauen – also durch Vorruhestand und Altersteilzeit. Ist das durchzuhalten, wenn die Produktion so viel einfacher wird?
Kilian: Mit der ‚Vision für den Fahrzeugbau in Wolfsburg‘ ist die klare Aussage dazu: Ja.
Brandstätter: Mit dem Leitbild 2030 für die Produktion in Wolfsburg machen wir einen weiteren großen Schritt in der Transformation von Volkswagen. Wolfsburg steht dabei auch für die Zukunft des Automobilstandortes Deutschland insgesamt. Für unser Potenzial und unseren Willen zu Erneuerung. Ich bin zuversichtlich: Wir packen das gemeinsam!
Zur Person: Ralf Brandstätter
Ralf Brandstätter ist seit dem Sommer 2020 Chef von Volkswagen Pkw, der mit Abstand größten Marke im Konzern. Vorher war er dort bereits zwei Jahre lang für das Tagesgeschäft verantwortlich, während Konzernchef Herbert Diess in Personalunion auch die Marke führte. Der 53-jährige Brandstätter ist in Braunschweig geboren und machte eine Ausbildung zum Betriebsschlosser, bevor er Wirtschaftsingenieurwesen studierte. Seit 1993 arbeitet er im Konzern und war vor dem Schritt an die Spitze für die Beschaffung der Marke verantwortlich.
Zur Person: Gunnar Kilian
Gunnar Kilian hat eine ungewöhnliche Karriere hingelegt. Gestartet als Journalist, wurde er später Pressesprecher des VW-Betriebsrats und dann dessen Generalsekretär. In dieser Rolle spielte er den Chefdiplomaten für den nicht immer diplomatischen Vorsitzenden Bernd Osterloh. In der VW-Konzernwelt ist der 46-jährige Familienvater seitdem genauso gut vernetzt wie bei den größten VW-Aktionären, den Familien Porsche und Piech und dem Land Niedersachsen. Im Frühjahr 2018 wurde er zum Personalvorstand berufen.