Fahrerloses China: Die Volksrepublik möchte ganz vorne mitmischen
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Derzeit arbeitet die chinesische Regierung noch an einer landesweiten Gesetzgebung für autonomes Fahren.
© Quelle: Tpg/TPG via ZUMA Press/dpa
Hannover. Mit breitem Lächeln begrüßt Li Hongda – blaue Funktionärsjacke, rotes Parteizeichen am Revers – die ausländischen Journalisten. Wir befinden uns auf dem Firmengelände von „Cherry&Wanda“, einem staatsnahen Busproduzenten. Mit seinen fensterlosen Hallen, verlassenen Gehwegen und verrosteten Autokarosserien erinnert das Areal ein wenig an ein bankrottgegangenes Filmstudio. Nebel und Nieselregen sorgen für zusätzliche Tristesse, und die unverputzten Häusersiedlungen am Horizont signalisieren tiefste Provinz. Doch genau hier, im südwestlichen Guiyang, locken satte Regierungssubventionen für die fahrerlose Zukunft.
Versuche wirken noch holprig
„Steigen Sie ein“, sagt Li und bittet in die neueste Errungenschaft der Chinesen: einen autonomen Stadtlinienbus, der eigenständig durch die Teststrecke manövriert. „Wir können zwar nie wissen, welche Gesetzesregulierungen in der Zukunft kommen werden, aber bis auf Weiteres investieren wir alle unsere Ressourcen in einen möglichst fortgeschrittenen autonomen Bus“, sagt der Manager selbstbewusst. Doch bislang wirken die Versuche der Chinesen noch etwas holprig: Der Bus fährt nur eine primitive Teststrecke ab, die Geschwindigkeit ist gedrosselt und zur Sicherheit bleibt stets ein Fahrer hinterm Lenkrad.
Seit 2017 selbstfahrende Autos unterwegs
Die wirklich federführenden Entwicklungen im Bereich autonomes Fahren finden nämlich nicht in der Provinz statt, sondern 3000 Kilometer nördlich: Peking hat bereits im Dezember 2017 als landesweit erste Stadt damit begonnen, selbstfahrende Pkw auf öffentlichen Straßen zu testen. Schon damals wurden Abschnitte von 105 Kilometern für Testfahrten freigegeben.
Da die Regulatoren den Autobauern eine strenge Dokumentation abverlangen, lässt sich der Fortschritt der Branche gut in empirischen Zahlen widerspiegeln: 2019 fuhren allein in Peking fahrerlose Autos über eine Million Kilometer ab. 2020 wurden sie zudem im Kampf gegen die Covid-Pandemie eingesetzt, etwa als Essens- und Medizinlieferant für das Haidian-Krankenhaus.
Bis 2025 soll es flächendeckend „Robotaxis“ geben
Mittlerweile haben insgesamt 27 chinesische Städte Teststrecken freigegeben, auf denen mehr als 70 heimische und internationale Firmen mit einer Flotte von rund 600 selbstfahrenden Autos experimentieren. Das Ziel der Regierung ist es, bis 2025 flächendeckend „Robotaxis“ und fahrerlose Lkw kommerzialisiert zu haben. Die für nächsten Februar geplanten Olympischen Winterspiele in Peking sollen als Schaubühne dienen, um der Welt die technologischen Fortschritte aus Fernost zu präsentieren.
Chaotischer Verkehr erschwert autonomes Fahren
Doch insgesamt betrachtet steht die Branche noch vor massiven Herausforderungen. Im „Autonomous Vehicles Readiness Index“, einer jährlich von KPMG herausgegebenen Studie, rangiert China unter allen 30 untersuchten Ländern lediglich auf dem 20. Platz. Darin werden zwar die rasanten Fortschritte der Volksrepublik gelobt, doch gleichzeitig der chaotische Verkehr auf chinesischen Straßen bemängelt: „Das macht es komplizierter und herausfordernder für autonomes Fahren“, sagt Philip Ng von KPMG China. Letztendlich bräuchte es wohl auf chinesischen Autobahnen eine eigene Spur, ausschließlich für fahrerlose Pkw.
Marktführer betreibt 200 autonome Fahrzeuge
Führender Player auf dem chinesischen Markt ist mit deutlichem Abstand das Internetimperium Baidu, welches zunächst als Onlinesuchmaschine à la Google groß geworden ist. Bereits im vergangenen Jahr hat Baidu erste „Robotaxis“ auf Pekings Straßen eingeführt. Zunächst mutete dies mehr wie ein PR-wirksames Technikgadget an: Interessierte mussten jede Fahrt zunächst reservieren und wurden stets von einem menschlichen Chauffeur hinterm Lenkrad abgesichert.
Seit Mai jedoch wurde der Dienst ausgeklügelter: Erstmals werden die „Robotaxis“ als kommerzieller Service für zahlende Kunden angeboten, und statt Kontrollfahrer wacht nur mehr ein menschliches Auge via Remotezugriff. Allerdings sind die Fahrzeuge bislang nur in einem bestimmten Kiez innerhalb der Hauptstadt zugelassen.
Die mittelfristige Vision Baidus ist jeodoch durchaus ambitioniert: Derzeit betreibt der Techkonzern 200 autonome Fahrzeuge, darunter eine kommerzielle Busstrecke im westchinesischen Chongqing. Bis Jahresende 2023 möchte man 3000 „Robotaxis“ auf die Straßen von 30 chinesischen Städten gebracht haben. Dies fügt sich ein in die von der Zentralregierung in Peking vorgegebene Zielsetzung, dass bis 2025 die Hälfte aller verkauften Autos mit selbstfahrender Technik ausgestattet sein soll.
Regierung hegt großes Interesse
„Wir sehen China eigentlich sehr gut entwickelt beim Thema autonomes Fahren“, sagt Stefan Bratzel, Direktor des „Center of Automotive Management“ der Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW). Weltweit führe zwar das Silicon Valley, insbesondere in Form der Google-Tochter Waymo. Doch nach den großen amerikanischen Playern folgten schon bald Baidu und das in Guangzhou ansässige Pony.ai.
„Ein großer Vorteil, den chinesische Unternehmen haben, ist die starke Unterstützung der Regierung“, sagt Experte Bratzel. Damit meint er nicht nur die flächendeckenden Subventionen, sondern vor allem eine offene und rasch angepasste Gesetzgebung. Zudem gibt es stets den politischen Druck auf die meist staatsnahen Betriebe, im Ziel der nationalen Interessen gemeinsam zu kooperieren und Ressourcen zu bündeln.
Insbesondere Lokalregierungen wollen sich bei Zukunftstechnologien als führender Wirtschaftsstandort profilieren. „Autonomes Fahren ist die Zukunft“, sagt etwa der Regierungsbeamte Sun Wen von der Stadtverwaltung im zentralchinesischen Nanjing: „Wir sind sehr erpicht darauf, die Technologie einzusetzen, um das Leben der Leute zu verbessern“. Man verspreche sich vor allem mehr Verkehrssicherheit sowie eine effizientere Planung. Sun geht davon aus, dass das Gros an Bussen im öffentlichen Nahverkehr bis 2030 vollautomatisiert fahren werde.
Hunderte Angestellte werden bereits autonom chauffiert
Unweit von Nanjings futuristischem Stadtzentrum entstand auf einer Insel im Jangtse-Fluss eine der ersten Teststrecken des Landes. Auf Straßenabschnitten von über 15 Kilometern, assistiert von 500 5-G-Basisstationen, chauffieren längst unbemannte Busse des Start-ups „WeRide“ täglich Hunderte Angestellte zwischen den gläsernen Bürogebäuden hin und her.
Bis zu 40 Stundenkilometer dürfen die himmelblauen Vehikel bereits fahren, sie kommen längst ohne eingebaute Lenkräder oder Gaspedale aus. Im Fachjargon spricht man vom vierten von insgesamt fünf Automatisierungsgraden: Das System fährt bereits komplett selbstständig, nur müssen die Straßen zuvor für die Software kartographiert werden.
„Wir wollen, dass die Regierung unsere Busse einsetzt – etwa in Industrieparks oder touristischen Sightseeingorten“, sagt Wang Yan, die für „WeRide“ Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Einen weiteren großen Anwendungsnische sieht die Chinesin bei den „letzten drei Kilometern zwischen U-Bahnstation und Haustür“, für die künftig autonome Busse eingesetzt werden sollen. Dass dies bald möglich wird, daran arbeiten bei „WeRide“ 400 Angestellte. Fast neun von zehn sind Ingenieure.
China will ganz vorne mitmischen
Derzeit arbeitet die chinesische Regierung noch an einer landesweiten Gesetzgebung für autonomes Fahren. Bis dahin sind die einzelnen Lokalregierungen jedoch implizit dazu angehalten, im rechtlichen Graubereich die Technologie mit aggressivem Testen weiter voranzutreiben – vornehmlich, um im wirtschaftlichen Wettkampf mit den USA die Poleposition zu erhaschen.
In der ostchinesischen Provinz Zhejiang etwa wird an einem Autobahnabschnitt gearbeitet, wo menschenlose Pkw bis zu 150 Kilometer pro Stunde fahren dürfen und gleichzeitig via Fernladegeräten, die auf der Straßenoberfläche installiert werden, ihre Batterien aufladen können. Solche Vorstöße werden allein schon deshalb von der Regierung gefördert, weil man aus seinen Fehlern in der Vergangenheit gelernt hat: China, der mit Abstand größte Automarkt der Welt, konnte bei Verbrennungsmotoren niemals international konkurrieren. Bei der mobilen Zukunft hingegen möchte man ganz vorne mitmischen.