Energiekrise: Woher bekommt Deutschland sein Gas?
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Die Ostseepipeline Nord Stream 1, durch die seit 2011 russisches Erdgas nach Deutschland fließt, wird wegen planungsmäßiger Wartungsarbeiten für etwa zehn Tage abgeschaltet. (Symbolbild)
© Quelle: Jens Büttner/dpa
Am Montag wurde die russische Gaspipeline Nord Stream 1 wegen planmäßiger Wartungsarbeiten abgestellt. Seitdem kommt im mecklenburgischen Lubmin kein russisches Gas mehr an. Die Sorge wächst, dass Moskau die Reparaturen als Vorwand nutzt, um den deutschen Gasimport weiter zu drosseln. Doch woher bekommt Deutschland sein Gas, falls Russland die Lieferungen komplett stoppen sollte?
Gas aus Russland: die Pipelines Nord Stream, Jamal und Transgas
Die wohl bekanntesten russischen Gaspipelines sind die Nord-Stream-Leitungen. Nord Stream 2 sollte den Gasimport aus Russland weiter ausbauen, wegen des von Russland angezettelten Konflikts mit der Ukraine wurde die umstrittene Pipeline allerdings nur wenige Tage vor Kriegsstart auf Eis gelegt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte damals erklärt, die Lage müsse neu bewertet werden. Heute sind sich Bundesregierung und Opposition größtenteils einig: Die Abhängigkeit vom russischen Gas war ein Fehler.
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Forderungen nach einem Importstopp für russisches Gas wurden in Berlin und Brüssel allerdings schnell zurückgewiesen. Denn: Die EU kann die russischen Lieferungen bei Weitem nicht kompensieren. Die Gasförderung innerhalb der EU ist stark rückläufig. Die EU-Klimaziele sehen die Zukunft besonders bei den erneuerbaren Energien. Fossile, klimaschädliche Brennstoffe wie Erdgas stehen perspektivisch vor dem Aus.
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Die Ungewissheit über künftige Gaslieferungen aus Russland und die anhaltende Corona-Krise in China zehren an den Nerven der Wirtschaft.
© Quelle: Reuters
Bis Deutschland größtenteils mit erneuerbaren Energieträgern versorgt werden kann, ist die Bundesrepublik allerdings noch immer auf Kohle und Gasimporte angewiesen. Hierzulande gibt es kaum Erdgasvorkommen: Lediglich 5 Prozent des bundesweiten Verbrauchs könnte Deutschland selbst decken – Tendenz fallend. Eben aus dieser Abhängigkeit fließt noch immer Gas aus Russland – zumindest bis zum heutigen Montag.
Zwei von drei russischen Leitungen liegen still
Nord Stream 1 war bis zuletzt die wichtigste Gaspipeline aus Russland. Bevor Moskau die Lieferungen im Juni auf knapp 40 Prozent der Maximalleistung drosselte, landeten in Lubmin bei Greifswald täglich 1800 Gigawattstunden Gas an. Zuletzt reduzierte Moskau die Liefermengen auf knapp 700 Gigawattstunden Gas pro Tag. Nun steht die bedeutendste russische Gasleitung Leitung komplett still.
Neben Lubmin bei Greifswald sind Waidhaus in Bayern und Mallnow in Brandenburg die wichtigsten Importpunkte für russisches Gas. In Waidhaus endet die Transgas-Pipeline, die russisches Gas über die Ukraine nach Deutschland liefert. Auch diese Lieferungen wurden zuletzt gedrosselt. Aktuell kommen in der oberpfälzischen Stadt täglich etwa 200 Gigawattstunden Gas an. Vor einigen Wochen war es noch die dreifache Menge. Die Ukraine hatte eine Zulieferpipeline, die Sojus, wegen Kampfhandlungen abgestellt.
Auch Polen war lange Transitland für russisches Gas: Mallnow in Brandenburg empfängt russisches Gas aus der Jamal-Leitung, die über polnisches Gebiet verläuft. Seit Moskau die Gaslieferungen in das deutsche Nachbarland allerdings eingestellt hat, liegt auch die Jamal-Leitung still. Mit den politischen Entscheidungen und Wartungsarbeiten hat Russland seine Gasexporte nach Deutschland demnach insgesamt um fast 85 Prozent gedrosselt.
Gas aus Europa: Unterstützung aus Norwegen und den Niederlanden
Aktuell ist die Bundesregierung umso mehr auf europäisches Gas angewiesen: Zu den wichtigsten europäischen Gasexporteuren für Deutschland zählen vor allem Norwegen, die Niederlande und Belgien. Deutschland hat insgesamt acht Anlandestationen für Gas aus Europa. Drei Viertel der deutschen Gasimporte stammen aus den Erdgasleitungen der drei europäischen Länder Norwegen, Niederlande und Belgien.
Norwegen ist neben Russland Deutschlands zweitgrößter Gaslieferant. Im vergangenen Jahr lieferte das Land rund 45 Prozent der deutschen Erdgasmenge. Oslo hat Berlin und Brüssel bereits im März zugesagt, die Erdgasförderung über den Sommer zu erhöhen und mehr nach Europa zu exportieren.
Aktuell liefert Norwegen über drei Pipelines pro Tag zwischen 1000 und 1500 Gigawattstunden Gas nach Deutschland. Aus den Niederlanden und Belgien kommen täglich 1750 Gigawattstunden Gas. Damit wird Deutschland aktuell stärker von seinen europäischen Energiepartnern versorgt als von Russland.
Problematisch wird es allerdings bei der niederländischen Gasförderung. Diese gilt seit Jahrzehnten als umstritten: Wegen großer Schäden durch Hunderte von künstlich erzeugten Erdbeben in der Provinz Groningen hatte die niederländische Regierung zuletzt angekündigt, die Gasproduktion im größten europäischen Erdgasvorkommen bis zum Jahresende zu stoppen. Das niederländische Energieministerium hatte allerdings zugestanden, Nachbarländern im Falle eines vollständigen Gaslieferstopps aus Russland zu helfen und die Gasgewinnung in Groningen wieder hochzufahren.
Wenn Nord Stream abgeschaltet wird oder Deutschland alle russischen Importe verliert, dann wird das Auswirkungen auf ganz Nordwesteuropa haben.
Rob Jetten,
Energieminister der Niederlande
Hoffnung auf LNG-Terminals
Für den Übergang zu einer Energieversorgung setzt die Bundesregierung auch auf Flüssigerdgas (LNG). Aktuell plant Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den Bau von zwei provisorischen LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel. Zum Jahreswechsel 2022/2023 könnten diese bereits in Betrieb genommen werden, so Habeck gegenüber der „Welt am Sonntag“. Die Bundesregierung habe vier schwimmende Flüssiggasterminals gemietet. „Zwei Schiffe stehen bereits in diesem Jahr zur Verfügung und sollen zum Jahreswechsel in Wilhelmshaven und Brunsbüttel eingesetzt werden“, so der Minister.
In einem nie da gewesenen Tempo wollen Bund und Länder die Infrastruktur für die Versorgung mit Flüssiggas bauen. Genehmigungsverfahren und Aufbau würden mit besonderem Tempo behandelt werden, hieß es zuletzt immer wieder. Erst in der vergangenen Woche hatte das Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg den Bau in Wilhelmshaven genehmigt. Auch die notwendigen Pipelines befinden sich aktuell in Planung: Der Gasnetzbetreiber Open Grid Europe (OGE) will etwa eine 26 Kilometer lange unterirdische Pipeline von Wilhelmshaven bis zum nächsten Anschluss an das Gasfernleitungsnetz im ostfriesischen Etzel (Landkreis Wittmund) bauen. Auch diese Pläne wurden bereits genehmigt.
Nach dem Zeitplan der Grünen müssen die LNG-Terminals allerspätestens 2043 wieder vom Netz gehen, sofern sie Erdgas anlanden. „Daher empfiehlt sich für die Betreiber eine rechtzeitige Planung zur Umstellung auf grünen Wasserstoff oder Wasserstoffderivate“, heißt es vonseiten der Partei. Die LNG-Terminals sollen künftig für klimafreundliche Energieträger umfunktioniert werden. Schließlich soll Deutschland bereits 2045 klimaneutral sein.
Bis dahin könnte Deutschland allerdings zum Frackinggroßkunden werden. Wichtigster Lieferant dürften nach Bau der Terminals die USA werden, die ihr Gas vor allem mit der hierzulande verbotenen Frackingfördertechnik gewinnen. Auch Katar wird als Lieferant des Flüssiggases gehandelt.
RND/hyd mit Agenturmaterial
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