Gasmärkte in Panik: Kein Händler will mehr russisches Gas kaufen
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/K3TWVCK6FZGNFBOR2EFBKIPMTQ.jpeg)
Der Hauptsitz des russischen Gaslieferanten Gazprom in St. Petersburg: Das Unternehmen liefert weiter Gas, findet aber kaum noch Abnehmer.
© Quelle: Dmitri Lovetsky/AP/dpa
Frankfurt. Gas ist für private Haushalte erheblich teurer geworden. Und das Ende der Preisexplosion dürfte noch nicht erreicht sein – obwohl die Heizperiode zu Ende geht. Der Grund: Die Notierungen für den Brennstoff an den Energiemärkten klettern in neue Rekordhöhen.
„Die ungewisse Lage treibt die Großhandelspreise weiter nach oben. Wir gehen daher von weiter steigenden Heizkosten aus“, sagt Thorsten Storck, Energieexperte beim Vergleichsportal Verivox. Die für den europäischen Markt maßgebliche Referenzsorte kostete am Donnerstagmorgen fast 200 Euro pro Megawattstunde. Vor einem Jahr waren es weniger als 20 Euro gewesen.
Die Ursache für die massiven Aufschläge ist aber nicht beim russischen Monopolisten Gazprom zu finden. Die Lieferungen über eine wichtige Pipeline, die durch die Slowakei führt, seien auf hohem Niveau geblieben, berichten Nachrichtenagenturen. Für eine weitere Rohrleitung, die an der deutsch-polnischen Grenze in der Ortschaft Mallnow endet, hatte die Gazprom am Mittwoch hohe Kapazitäten gebucht. Allerdings berichtet Reuters, dass am Donnerstagvormittag die Weiterverteilung in die deutschen Netze gestoppt wurde. Weil es offenbar an Abnehmern mangelte.
„Nach den vorliegenden Daten liefert die russische Seite weiterhin Erdgas in normalen Mengen. Aber wir sehen einen extrem nervösen Gasmarkt“, sagte Carsten Fritsch, Energieexperte bei der Commerzbank, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er fügte hinzu: „Eine Ursache dafür könnte sein, dass in den westlichen Staaten immer stärker über Importstopps für Gas und Öl aus Russland diskutiert wird.“
Das Risiko, dass Russland die Gaslieferungen einstellt
Am Mittwochabend kursierten in den USA Spekulationen, dass Präsident Joe Biden Sanktionen gegen Energieexporte verhängen wolle. Seit Tagen macht sich der britische Premier Boris Johnson dafür stark, den Boykott für Ausfuhren aus Russland auszuweiten. Der britische Energiekonzern Centrica will seine Geschäftsbeziehungen zu Gazprom so schnell wie möglich kappen. Und auch Polens Ministerpräsident Mateusz Jakub Morawiecki hat die EU dazu aufgefordert, die Einfuhr der fossilen Energieträger sofort zu stoppen.
+++ Alle Entwicklungen zu Russlands Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++
„Zudem besteht weiterhin das Risiko, dass Russland von sich aus die Gaslieferungen einstellt“, erläutert Fritsch. Dies könne Händler dazu bringen, auf Alternativen zu russischem Gas zu setzen. Das bedeutet: Obwohl Energie nicht auf der Liste der Sanktionen gegen Russland steht, wirken sich die bereits beschlossenen Strafmaßnahmen indirekt aus – und zwar auf zahlreiche Wirtschaftssektoren.
So wird vielfach russischen Frachtschiffen die Einfahrt in Häfen verwehrt. Versicherungen sind nicht mehr bereit, Warentermingeschäfte für Produkte aller Art aus Russland abzuschließen. Dabei handelt es sich um Absicherungen für Lieferungen. Den Assekuranzen sind die Risiken offenbar zu hoch.
„Zudem sind Banken wegen der Sanktionen immer weniger bereit, Kredite für Energiegeschäfte mit Russland zu gewähren“, erläutert Fritsch. Ähnliche Mechanismen sind seit einigen Tagen beim Rohöl zu erkennen. Obwohl der Rohstoff aus russischen Quellen deutlich billiger als die Referenzsorte Brent angeboten wird, lassen Händler die Offerten links liegen. Zu groß sind die Befürchtungen, dass Terminkontrakte für Lieferungen in einigen Wochen nicht erfüllt werden können. Bei kreditfinanzierten Geschäften könnte es dann zu Zahlungsausfällen kommen. Solche Risiken wollen die Banken nicht eingehen.
Die Folge: Auch der Ölpreis steigt weiter. Das hat auch beim Gas einen selbstverstärkenden Effekt ausgelöst. Für viele automatisierte Käufe der Rohstoffe wurden Stoppschranken ausgelöst, weil sie zu kostspielig geworden sind.
Das Verhalten der Finanzbranche führt zu einer Verknappung des Angebots in Europa, während die Nachfrage weiter steigt. Weil das Abklingen der Pandemie viele Wirtschaftszweige nach wie vor beflügelt.
Zugleich haben sich die Regierungen westlicher Staaten auf die Suche nach Alternativen zu russischer Energie gemacht. In den vergangenen Wochen wurden die Lieferungen mit verflüssigtem Erdgas (LNG) nach Europa per Schiff massiv erhöht. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck hat den Kauf von LNG im Wert 1,5 Milliarden Euro gerade in Auftrag gegeben. Es soll helfen, die Gasspeicher hierzulande aufzufüllen. Die Reserven sind weitgehend aufgebraucht, der Füllstand liegt nur noch bei 29 Prozent. Habeck will für den nächsten Winter in jedem Fall 90 Prozent erreichen.
Derweil hat der Öl- und Gasimporteur Wintershall-Dea seinen Anteil an der Finanzierung der umstrittenen neuen Pipeline Nord Stream 2 komplett abgeschrieben. Das Projekt ist zwar fertiggestellt. Die Inbetriebnahme wurde aber auf Eis gelegt. Die Abschreibung bedeutet: Wintershall geht davon aus, dass die Rohrleitung nicht mehr ans Netz geht.
Für Verbraucher bedeuten die Turbulenzen vorläufig, dass nach Berechnungen von Verivox Erdgas in den Monaten zwischen September und Februar um 11 Prozent im Schnitt teurer geworden ist: eine Mehrbelastung von rund 116 Euro für einen Durchschnittshaushalt pro Jahr.