Hohe Gaspreise oder weniger Klimaschutz
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Anlagen an deutschen Küsten, die Flüssiggas wieder gasförmig machen, helfen auch, den aktuellen Gaspreis zu senken. Langfristig braucht es aber mehr.
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München. Bis 2026 besteht die Chance, dass die Großhandelspreise für Erdgas ohne jede Lieferung aus Russland wieder das Niveau von 2018 erreichen. Das lässt eine Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln (EWI) im Auftrag des Industrieverbands Zukunft Gas erwarten. Dafür seien aber Voraussetzungen nötig, betont Studienmacher Eren Cam. „Die EU muss dazu ihre Gasnachfrage um 20 Prozent reduzieren“, betont der EWI-Experte. Das habe preisdämpfende Effekte. Erreichbar sei das durch einen Ausbau erneuerbarer Energien und zunehmende Elektrifizierung sowie mehr Biomethan als Energiequelle. Weitere Prämisse ist, dass in den USA neue Kapazitäten zur Verflüssigung von Erdgas zu LNG in großem Umfang entstehen.
„Es gibt da erhebliche Unsicherheiten“, warnt Cam. Timm Kehler erklärt das mit hohen Investitionskosten für entsprechende Anlagen. „Die liegen um den Faktor zehn über denen von Anlagen zur Regasifizierung, wie sie in Deutschland nun gebaut werden“, sagt er. Immerhin müsse Erdgas in den USA auf minus 160 Grad Celsius gekühlt werden, um die dann im Volumen erheblich geschrumpfte Fracht per LNG-Tanker nach Europa zu bringen. Hohe Milliardensummen würden in den USA aber erst dann investiert, wenn langfristige Abnahmegarantien vorlägen, weil sich das Ganze sonst finanziell nicht rechne.
Habeck treibt Planungen für deutsche LNG-Terminals voran
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck treibt die Planungen für die ersten Flüssigerdgas-Terminals in Deutschland voran.
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Kehler spricht dabei von Vertragslaufzeiten von 15 bis 20 Jahren. Die EU müsste sich also demnächst vertraglich verpflichten, für solche Zeiträume US-LNG abzunehmen, weil sonst keine neuen Verflüssigungsanlagen gebaut werden. Ohne die sind die Studie und stark sinkende Gaspreise aber Makulatur.
Sinkende Gaspreise sieht Kehler zwar auf alle Fälle binnen 18 Monaten kommen, weil durch den Bau von LNG-Terminals vor allem an deutschen Küsten Importengpässe beseitigt werden. Das Ausmaß des Gaspreisrückgangs und vor allem ein Erreichen des Niveaus von 2018 sei aber vor allem von US-Investitionen in Gasverflüssigungskapazitäten abhängig.
Nur die USA könnten relativ schnell fehlende Gasmengen liefern
Nur die USA könnten binnen weniger Jahre die großen LNG-Mengen liefern, die fehlendes russisches Gas ausgleichen können, stellt Cam klar. Alternative Lieferanten wie Norwegen, Katar, Nigeria oder Israel könnten nur noch geringe Mengen zusätzlich beisteuern, weil sie langfristige Lieferverträge mit asiatischen Abnehmern eingegangen sind, das Gas vor Ort gebraucht wird oder die Lagerstätten begrenzt sind.
Sich auf bis zu 20 Jahre an LNG aus den USA zu binden, das zudem durch enorm umweltschädliches Fracking gewonnen wird, widerspricht aber EU-Klimaschutzzielen, wissen auch Kehler und Cam. Das Dilemma ist damit offensichtlich. Beide Experten sind deshalb unsicher, ob die EU langfristige Lieferverpflichtungen gegenüber den USA eingeht und ob dort neue LNG-Kapazitäten aufgebaut werden. Ohne die bleiben die Gaspreise aber vor allem in Europa hoch und über dem Niveau von denen in Asien und den USA, was einen Wettbewerbsnachteil für EU-Firmen darstellt. Derzeit liegen die Großhandelspreise für Erdgas in der EU um 15 bis 20 Prozent höher.
Sollte Europa in den sauren Apfel langer Abnahmegarantien beißen, wären die USA die klaren Gewinner des Gaskriegs und würden per LNG binnen weniger Jahre für 40 Prozent der EU-Gasimporte verantwortlich werden. Russland dagegen wäre ein ebenso klarer Verlierer. Denn Cam hat auch berechnet, wie sich die Gasexporte Russlands entwickeln dürften. Auch wenn die Russen vermehrt nach Asien liefern, würde das einen kompletten Ausfall der europäischen Liefermengen nicht ausgleichen. 2026 würden russische Gasexporte nach EWI-Berechnungen um knapp ein Drittel unter dem Niveau von 2021 liegen und 2030 immer noch um ein Fünftel. Damit einher ginge ein dann auch gesunkenes Preisniveau. Der russische Staatshaushalt muss sich also auf erhebliche Einbußen einstellen.