Erdgas: Was passiert, wenn Putin nicht mehr liefert?
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Ein Arbeiter dreht an einem roten Rad an der Verdichterstation in der Ortschaft Wolowicz in der Ukraine.
© Quelle: Pavlo Palamarchuk/AP/dpa
Frankfurt/Berlin. Der russische Angriff auf die Ukraine hat Schockwellen auch für die Wirtschaft ausgelöst. Es droht ein massiver ökonomischer Rückschlag. Verbraucher müssen sich auf drastische Preissteigerungen einstellen – nicht nur für Heizöl, Sprit und Gas. An den Aktienbörsen gingen die Kurse steil nach unten.
Europäisches Gas kostete am Donnerstagnachmittag an der Londoner Energiebörse ICE für eine Lieferung im März gut 141 Euro. Anfang der Woche waren es noch rund 70 Euro gewesen. Die weitere Entwicklung hänge nun davon ab, wie die stark die Sanktionen der Europäer und der USA durchschlagen, teilte Hans von Cleef, Energieanalyst der niederländischen ABN-Amro-Bank, mit. Es bestehe die Möglichkeit, dass der aktuellen Preisentwicklung schnell die Luft ausgehe, aber nur, wenn die Lieferungen für Öl und Gas nicht beeinträchtigt würden.
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Viele Experten wollen aber daran nicht glauben. Zwar versicherte der russische Staatsmonopolist Gazprom, dass Gas wie üblich gen Westen gepumpt werde. Allerdings verlaufen wichtige Pipelines quer durch die Ukraine. Lieferbeschränkungen könnte es aber allein schon durch Beschädigungen der Rohrleitungen im Zuge der am Donnerstag ausgebrochenen Kämpfe geben.
Gas: Russland liefert weniger
Energieberatungsfirmen wie Wood Mackenzie und Rystad Energy erwarten, dass das hohe Gaspreisniveau während des gesamten Jahres anhalten wird. Sie verweisen darauf, dass Russland bereits seit dem Spätsommer vergangenen Jahres die Lieferungen zurückgefahren hat. Nach Berechnungen der Denkfabrik Bruegel wurde vorige Woche etwa 40 Prozent weniger russisches Gas als vor einem Jahr in die EU transportiert.
Ausgeglichen wurde dies durch verflüssigten Brennstoff (LNG), der mittels Schiffen vor allem an südeuropäischen Terminals angelandet wurde. Das hat auch geholfen, die Gasreserven zu erhöhen. Derzeit sind die Speicher hierzulande zu etwa 30 Prozent gefüllt. In anderen EU-Ländern ist es teilweise deutlich mehr.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bekräftigte am Donnerstag, dass die Gasversorgung für die nächsten Monate gesichert sei. Selbst wenn aus Russland überhaupt kein Gas mehr kommen werde.
Erdgas ist für die deutsche Wirtschaft von besonderer Bedeutung, weil damit nicht nur geheizt wird. Der fossile Rohstoff wird in der Industrie für zahlreiche Prozesse benötigt. Und er spielt auch in der Stromerzeugung eine maßgebliche Rolle. Aus diesem Grund schossen am Donnerstag auch die Preise an den Strombörsen in die Höhe. Wobei da eine Rolle spielte, dass Kohlekraftwerke ihren Brennstoff teuer einkaufen müssen – Russland ist auch ein wichtiger Lieferant für Steinkohle.
Öl: Schon jetzt übersteigt die Nachfrage das Angebot
Zugleich kostete die für Europa maßgebliche Rohölsorte Brent am Donnerstagnachmittag rund 105 Dollar pro Fass (159 Liter). Das entspricht einem Plus von mehr als 8 Prozent im Vergleich zum Vortag. So steil ging es seit Jahren nicht mehr nach oben. Und es handelt sich um die höchste Notierung seit 2014. Gut ein Drittel des Bedarfs für Europa wird mit russischem Öl gedeckt.
Die Abhängigkeit Deutschlands ist noch höher. Auffallend ist, dass Händler derzeit für kurzfristige Lieferungen hohe Aufschläge zahlen. Dies deutet darauf hin, dass schon jetzt die aktuelle Nachfrage nicht gedeckt werden kann. Sollten russische Lieferungen zurückgefahren werden, könnten weitere Preissprünge die unmittelbare Folge sein. Carsten Fritsch von der Commerzbank und andere Experten befürchten, dass Russland den Ölhahn zudrehen könnte – als Vergeltung für Sanktionen des Westens.
Das gilt auch fürs Erdgas. Branchenexperten richten deshalb derzeit den Blick vor allem auf den kommenden Winter. „Im Fall einer verlängerter Lieferunterbrechung können die Gasspeicher im Sommer nicht wieder aufgefüllt werden“, so Kateryna Filippenko von Wood Mackenzie. „Wir würden mit einer katastrophalen Situation konfrontiert.“ Das könne bis hin zur Schließung von Fabriken wegen Brennstoffmangels führen.
Dahinter steckt, dass die Versorgung mit LNG ihre Grenzen hat. Zwar gibt es mit rund drei Dutzend Terminals in Europa ausreichend Kapazitäten zum Anlanden des Gases. Aber laut Bruegel sind die Flaschenhälse im globalen LNG-Geschäft die Anlagen zur Verflüssigung des Gases in den wichtigsten Erzeugerländern (USA und Arabische Emirate). Dort sei vielfach die maximale Auslastung bereits erreicht.
Weniger Geld in der Tasche
Nach Hochrechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) werden die hohen Gaspreise die Wirtschaft massiv beeinträchtigen. Bleiben sie auf dem Niveau vom Dezember, was nah an den aktuellen Preisen ist, werde die Inflationsrate in diesem Jahr auf 4,3 Prozent steigen.
„Die Verbraucher, aber auch die Unternehmen hätten noch weniger im Portemonnaie als ohnehin schon“, so das IW. Die Wirtschaftsleistung in 2022 würde daher um 0,2 Prozent gedrückt. Bei einem Anstieg der Gaspreise um weitere 50 Prozent werde die Inflationsrate sogar um 6,1 Prozent steigen.