Krieg gegen die Ukraine schüttelt auch die Börse durch
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Der Dax rutschte unter 14.000 Punkte.
© Quelle: Arne Dedert/dpa
Hannover. Der Krieg hat die Börsen erreicht. Nachdem die Finanzmärkte in den vergangenen Tagen noch relativ gelassen auf den Konflikt um die Ukraine reagiert hatten, rutschen die Aktienkurse nun angesichts des russischen Einmarschs massiv. Das Geld fließt stattdessen in Anlagen, die Investoren für vergleichsweise sicher halten: Staatsanleihen sowie Gold und Silber. Auch Bargeldbestände werden aufgestockt. Gleichzeitig steigen die Preise vieler Rohstoffe: Öl und Gas, aber auch Aluminium und Weizen.
Einen großflächigen russischen Angriff auf die Ukraine hatte an den Börsen kaum jemand auf der Rechnung. Er galt als schlimmster, aber auch unwahrscheinlicher Fall. Entsprechend waren die Kurse in den vergangenen Tagen zwar unter Druck geraten, insgesamt aber erstaunlich stabil geblieben. Mit dem Beschuss ukrainischen Staatsgebiets hat sich das vor allem an den europäischen Börsen geändert. So rutschte der Dax zunächst um rund 5 Prozent und damit deutlich unter 14.000 Punkte.
Gelassene US-Börsen bremsen den Absturz
Gegen Abend schaffte der Index aber wieder den Sprung über diese Marke und konnte seine Verluste auf knapp 4 Prozent eindämmen. Denn jenseits des Atlantiks sehen Anleger die Situation gelassener als hier: Die US-Börsen starteten zwar auch mit Verlusten. Die waren aber mit rund 2 Prozent deutlich kleiner als in Europa und schrumpften in den ersten Handelsstunden weiter. Die Technologiebörse Nasdaq bewegte sich sogar auf Vortagsniveau.
Das färbte auf den deutschen Markt ab. Nachdem stundenlang keine einzige Dax-Aktie im Plus gelegen hatte, gab es am Abend doch noch einige Gewinner, allen voran Siemens Energy. Dort setzen Anleger darauf, dass die börsennotierte Tochter Siemens Gamesa vollständig integriert wird, um die Probleme dort in den Griff zu bekommen.
Flucht aus der Gazprom-Aktie
Von der russischen Börse dagegen flüchteten die Anleger in Panik. Dort brach der RTS-Aktienindex nahezu um die Hälfte ein. Die auch bei deutschen Kleinanlegern beliebte Gazprom-Aktie ist bereits seit einer Woche auf Talfahrt. Der russische Energiekonzern hat innerhalb weniger Stunden ein weiteres Viertel an Wert verloren. Die Papiere der russischen Sberbank rutschten um zwei Drittel.
Sorge vor Zwangsverkäufen und Panik
Die Experten erwarten für die nächsten Tage starke Kursschwankungen, die alten Szenarien für den Rest des Jahres sind nicht mehr viel wert. An neue Voraussagen traut sich aktuell kaum jemand heran. „Wir überprüfen unsere strategischen Prognosen“, erklärte die Fondsgesellschaft DWS.
„Die Marktdynamik nach unten könnte sich verstärken, wenn bestimmte Risikolimits bei institutionellen Anlegern ausgelöst werden oder wenn Kleinanleger in Panik geraten“, schreiben die Fachleute in einer Analyse. Die zum Versicherungskonzern gehörende Allianz Global Investors hatte bereits zu Wochenbeginn Risikopositionen – also vor allem Aktien – reduziert.
Gute Zahlen werden ignoriert
Bisher galt die Einschätzung, dass es nach einem unruhigen Jahresbeginn an den Börsen einen Aufschwung geben werde. Die Unternehmen liefern zum Teil überraschend gute Ergebnisse für das vergangene Jahr, haben volle Auftragsbücher, und der Ifo-Index signalisierte am Dienstag noch eine deutlich gestiegene Stimmung. Mit dem Abebben der Pandemie, so die Hoffnung, sei der Weg frei für die große Konjunkturerholung. Als größtes Risiko galten die Inflation und ein zu schneller Zinsanstieg.
Jetzt stehen andere Themen auf der Agenda. So wurden gute Zahlen und eine Rekorddividende der Mercedes-Benz Group komplett ignoriert – der Kurs rutschte um 6 Prozent. Auch die Deutsche Telekom verlor trotz guter Jahreszahlen mehr als 5 Prozent.
Völlig neue Risiken auf der Agenda
Gregor Hirt von Allianz Global Investors warnt vor völlig neuen Risiken: Versehentliche Kontakte russischer Soldaten mit Nato-Truppen seien zum Beispiel denkbar. „Dies würde zweifellos das Risiko massiver Marktreaktionen bergen, von den möglichen militärischen Folgen ganz zu schweigen.“ Die DWS fürchtet bei einem andauernden Konflikt „nie dagewesene Cyberangriffe aus Russland“ auch in Westeuropa. Zudem hänge viel von den weiteren Sanktionen ab, die die USA und EU auf der einen und Russland auf der anderen Seite gegeneinander verhängen werden.
Als sicher gilt, dass die Energiepreise nun hoch bleiben werden. „Ein erheblicher Gaspreisschock oder sogar eine Kürzung der Gaslieferungen könnte leicht zu einer Rezession in Europa führen, ganz zu schweigen von einer höheren Inflation“, heißt es in der DWS-Analyse.
Der Börsenpreis für Erdgas ist innerhalb von drei Tagen um mehr als 40 Prozent gestiegen. Ein Fass der Ölsorte Brent kostet mehr als 100 Dollar. „Die steigenden Energiepreise werden insbesondere in Europa zu einem Bremsfaktor für die Konjunktur werden“, sagt Marcel Müller vom Vermögensverwalter HQ Trust.
Notenbanken im Dilemma
Das bringt auch die Notenbanken in die Zwickmühle. Wegen der hohen Inflation bereiten Fed und EZB gerade die ersten Zinserhöhungen seit Jahren vor. „Angesichts der gravierenden Wachstumsrisiken, vor allem in Europa, dürfte die EZB vorerst jedoch eher eine abwartende Haltung einnehmen“, sagt Allianz-Experte Hirt.
Der EZB-Rat tagte inoffiziell, seine nächste reguläre Sitzung ist für den 10. März geplant. Geldpolitischen Anschub, auf den sich die Börsen ein Jahrzehnt lang verlassen konnten, wird es dieses Mal aber wohl nicht geben.
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Der Goldpreis steuert auf 2000 Dollar pro Feinunze zu.
© Quelle: dpa
Die Kombination aus hoher Inflation und Konjunkturrisiken hat Gold wieder attraktiver gemacht. Der Preis für eine Unze Feingold stieg um 2 Prozent auf gut 1950 Dollar, Silber verteuerte sich um 3 Prozent auf 25 Dollar. Auch bei den Währungen zählt Sicherheit: Dollar, Franken und Yen stiegen. Der Euro dagegen leidet unter seiner Nähe zum Krisengebiet und fiel deutlich auf 1,115 Dollar.
Die historische Erfahrung lehrt, dass solche Tage kein guter Zeitpunkt für Verkäufe sind.
DWS Fondsgesellschaft
Trotz der Kursturbulenzen raten die DWS-Experten von hektischen Verkäufen ab: „Die historische Erfahrung lehrt, dass solche Tage kein guter Zeitpunkt für Verkäufe sind.“ Zu den vergleichsweise sicheren Anlagen zählt die DWS derzeit Aktien aus den USA und Japan sowie den Branchen Gesundheitswesen und Basiskonsumgüter. Ölabhängige Werte sollten von anhaltend hohen Preisen profitieren.
Chancen für die Risikofreudigen
Georg von Wallwitz vom Vermögensverwalter Eyb & Wallwitz sieht angesichts der Kursstürze auch wieder Einstiegspreise kommen. „Die alte Weisheit, ‚Kaufen, wenn die Kanonen donnern‘, gilt nach wie vor für alle, die kaltblütig genug sind. Oder sollte man sagen kaltherzig?“, fragt der Fondsmanager. Wer jedenfalls seine Unternehmen gut kenne und auch in einer Rezession für robust halte, „kann demnächst relativ billig einkaufen“. Wann das Risiko wieder beherrschbar sein wird, sagt er allerdings nicht.