„Haben hohe Versorgungssicherheit“

AKW-Laufzeitverlängerung vom Tisch: Habeck will zwei Meiler als Notreserve behalten

Bundes­wirtschafts­minister Robert Habeck erläutert die Stresstest­ergebnisse auf der Bundes­presse­konferenz in Berlin.

Bundes­wirtschafts­minister Robert Habeck erläutert die Stresstest­ergebnisse auf der Bundes­presse­konferenz in Berlin.

Berlin/Hannover. Die Laufzeitverlängerung für Deutschlands drei verbliebene Atomkraftwerke am Netz ist vom Tisch. Wirtschafts­minister Robert Habeck (Grüne) will am bereits geplanten Atomausstieg Ende 2022 – so wie dieser auch im Atomgesetz geregelt ist – festhalten, wie er am Montag während der Vorstellung der Ergebnisse eines zweiten Netzstresstests erklärte.

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Ein finales Aus für die Kernkraft in Deutschland bedeutet dies aber noch nicht ganz. Von den drei verbliebenen Meilern sollen zwei bis Mitte April als Notreserve dienen. „Die beiden AKW Isar 2 und Neckar­westheim sollen bis Mitte April 2023 noch zur Verfügung stehen, um falls nötig über den Winter einen zusätzlichen Beitrag im Stromnetz in Süddeutschland 2022/2023 leisten zu können“, wird der Grünen-Politiker in einer zuvor von seinem Ministerium verbreiteten Mitteilung zitiert.

Der zweite Netzstresstest komme zu dem Ergebnis, „dass stundenweise krisenhafte Situationen im Stromsystem im Winter 2022/2023 zwar sehr unwahrscheinlich sind, aktuell aber nicht vollständig ausgeschlossen werden können“, hieß es in der Mitteilung.

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2011 hatte die damalige Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima den schritt­weisen Ausstieg aus der Kernenergie für Deutschland beschlossen. Die aktuelle Gesetzeslage sieht vor, dass die drei noch laufenden Kernkraftwerke Isar 2 in Bayern, Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg am 31. Dezember 2022 vom Netz gehen. Danach ist die Leistungs­betrieb­­berechtigung erloschen.

Nun sollen die beiden süddeutschen Meiler über den 31. Dezember hinaus in einem Stand-by-Modus gehalten werden und könnten bei Bedarf binnen einer Woche wieder voll aktiviert werden, also Strom liefern. Allerdings muss Habeck zufolge zu diesem Zweck entweder das Energiesicherheitsgesetz oder das Atomgesetz geändert werden. Damit ist die Zustimmung von SPD und FDP erforderlich. Zumindest die Liberalen vertreten eine andere Position.

Habeck: Szenarien für Stresstest mussten nachgeschärft werden

Bei der Präsentation der Stresstest­ergebnisse für den Strommarkt betonte Habeck: „Wir haben eine hohe Versorgungs­sicherheit. Wir sind ein Strom­exportland. Wir haben eine große Netzstabilität.“ Und weiter: „Wir haben genug Energie in Deutschland und versorgen unsere europäischen Nachbarn mit dieser Energie mit.“ Als Teil des europäischen Energiesystems würden sich aber auch Veränderungen im europäischen Ausland auf Deutschlands Energie­markt auswirken.

Die am 17. Juli übermittelten Szenarien für den Stresstest hätten nachgeschärft werden müssen. „Wir haben immer gedacht, 300 Euro pro Megawattstunde Gas sind ein extremes Szenario. Während der letzten Wochen wurde der Preis über 300 Euro noch erreicht und wir hatten zwischendurch Spitzen von 350 Euro“, sagte er. Die Trockenheit habe nicht nur in Südeuropa, sondern auch in Nordeuropa Auswirkungen. „Entsprechend die Situation an den Kohlekraftwerken, so dass wir oder die Übertragungs­netz­betreiber während der Arbeit gesagt haben, wir müssen die Szenarien nachschärfen, und das wurde auch getan“, sagte Habeck.

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Habeck-Kritik an Merkel: In den letzten Jahren beim Stromausbau „geschlurt“

Ein Stresstest sei eigentlich ein Routinevorgang, „in diesem Jahr ist aber nichts Routine“, so der Grünen-Politiker. Dabei spielte er auf die Ausfälle der russischen Gaslieferungen und deren Ersatz an. Aber auch die problematische Lage der französischen AKW, das Rhein-Niedrigwasser im Zuge der Trockenheit sowie die schwierige Wasserkraft­situation von Norwegen bis zu den Alpen hätten sich als zusätzliche Herausforderungen entpuppt.

Habeck ging zudem hart mit den Merkel-Legislaturen ins Gericht. Deutschland habe in den vergangenen Jahren beim Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Stromausbau insgesamt „geschlurt“ und sei dabei „schlecht“ gewesen.

Atomkraftwerke haben laut Habeck nur geringen Einfluss

Habeck hatte diesen zweiten Stresstest in Auftrag gegeben, um herauszufinden, ob Deutschland auch unter den negativsten Bedingungen infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine auf die drei Atomkraftwerke verzichten kann. Das Ergebnis liegt nun vor. Ihm zufolge könnten sie auch in kritischen Situationen im Stromnetz nur einen begrenzten Beitrag leisten. Zur Stabilisierung würden die drei Kraftwerke in einem „sehr kritisch“ genannten Szenario den Bedarf an Ausgleichskraftwerken im Ausland nur um 0,5 Gigawatt senken, berichteten die Übertragungsnetzbetreiber. Es bliebe auch dann ein Bedarf im Ausland von 4,6 Gigawatt.

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Die Übertragungsnetzbetreiber rieten unter anderem, die Nord-Süd-Transportkapazität zu erhöhen und sich Kraftwerksleistung für den Ausgleich von Netzengpässen im Ausland zu sichern. Ferner sollte es ermöglicht werden, dass große Stromverbraucher gegen Entschädigung auf Stromverbrauch verzichten können, erklärte der Vorsitzende des Übertragungsnetzbetreibers 50 Hertz, Stefan Kapferer.

Netzbetreiber empfehlen, „alle Möglichkeiten“ zu nutzen

Wie bei der Vorstellung der Stresstest­ergebnisse herauszuhören war, sind die Netzbetreiber mit Habecks Plänen allerdings nicht zufrieden. Mehr noch scheint der Wirtschafts­minister den geäußerten Empfehlungen nicht zu folgen. Henrik Neumann von Amprion hob hervor, dass alle drei Kernkraftwerke helfen würden, eine „Lastunterdeckung“ zu vermeiden.

Noch deutlicher wurde Stefan Kapferer vom Betreiber 50 Hertz. „Wir stehen vor einer angespannten Situation im Winter in ganz Europa“, sagte er und unterstrich: „Unsere Botschaft ist klar: Alle Möglichkeiten zur Stromerzeugung und für Transport­kapazitäten gilt es zu nutzen.“ An späterer Stelle konkretisierte Kapferer, dass die Netzbetreiber vorgeschlagen haben, alle verbliebenen AKW weiterlaufen zu lassen. „Dass Lingen nun abschaltet, ist eine politische Entscheidung.“

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FDP und Union für AKW-Weiterbetrieb

Worte, die FDP-Parteichef Christian Lindner in seiner Meinung bestärken dürften. Kurz vor der Pressekonferenz in Berlin machte er wiederholt deutlich: „In diesen Zeiten sollten alle Möglichkeiten genutzt werden, den Strompreis für die Menschen und die Betriebe zu reduzieren“, sagte Lindner am Montag der „Süddeutschen Zeitung“. Er forderte in diesem Zuge eine verlängerte Laufzeit der Meiler „bis mindestens in das Jahr 2024 hinein“.

Rund 1800 Demonstranten sind am 4. September bei der Kundgebung „Nord Stream 2 in Betrieb nehmen! Bürgerdialog – jetzt reden wir!“ im Ostseebad Lubmin gewesen.

„Grüne Politik zerstört Existenzen“: 1800 Menschen demonstrieren für Öffnung von Nord Stream 2

Die deutsche Sanktionspolitik gegen Russland stößt nicht bei jedem auf Gegenliebe. Das zeigt nicht zuletzt eine Demo mit fast 2000 Teilnehmern am Sonntag in Lubmin. Lautstark machen sie ihrem Unmut über die Bundesregierung Luft – und setzen sich für die Öffnung von Nord Stream 2 ein.

Auch Unionsfraktionschef Friedrich Merz pochte kurz vor der Bekanntgabe des zweiten Stresstests für den Strommarkt auf den Weiterbetrieb der drei noch laufenden Atomkraftwerke in Deutschland. „Es macht keinen Sinn, jetzt über Reserve-, Stand-by-Betriebe oder etwas Ähnliches zu reden“, sagte Merz, der auch CDU-Vorsitzender ist, am Montag vor einer Sitzung der CDU/CSU-Abgeordneten in Berlin. Vielmehr müsse es jetzt heißen: „Volle Kraft voraus aller drei Kernkraftwerke. Einschließlich neuer Brennstäbe, so dass diese Kernkraftwerke noch möglicherweise drei bis vier Jahre am Netz bleiben können, bis wir diese Krise hinter uns haben.“

Mit Material der dpa

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