Personalmangel: „Die Demografie schlägt immer stärker durch“
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Gestrichene Flüge, Lange Warteschlangen und Streiks: In der Reisebranche fehlt das Personal besonders. Nicht nur das Missmanagement der Flughafenbetreiber trägt daran Schuld. Die Demografie zeichnet ein düsteres Bild.
© Quelle: Boris Roessler/dpa
Enzo Weber ist Arbeitsmarktökonom am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. Dort ist er für Prognosen zuständig – und sorgt sich ob des demografischen Wandels.
Herr Weber, derzeit klagen gefühlt alle Branchen über Personalmangel. Was ist auf dem Arbeitsmarkt los?
Wir haben Engpässe, allerdings mit unterschiedlichen Ursachen: In der Pflege treibt die Demografie den Arbeitskräftebedarf, bei IT-Kräften ist es die Digitalisierung. Gleichzeitig wird viel gebaut, während im Handwerk seit Jahren der Nachwuchs fehlt, besonders bei Ausbildungsberufen. Und da kommt noch die Energiewende hinzu. Um die bau- und klimapolitischen Ziele des Koalitionsvertrags umzusetzen, bräuchte man nochmal 400.000 Arbeitskräfte.
Auch an Flughäfen und in der Gastronomie fehlt Personal.
Das hängt mit der Pandemie zusammen, allerdings anders als häufig angenommen: Es gab es keine Massenflucht der Beschäftigten, auch nicht bei Gastronomie, im Veranstaltungs-, Kultur- und Freizeitbereich und in der Flugbranche. Vielmehr ist die Zahl der Neueinstellungen während der Pandemie gesunken. Wenn man Abgänge über eine lange Krise hinweg nicht richtig ausgleicht, steht man am Ende mit einer relativ großen Lücke da. Und jetzt müssen alle diese Branchen kurzfristig und gleichzeitig wieder aufstocken. Das verursacht im Moment die sehr stark spürbare Mangelsituation.
Zeichnet sich denn schon eine Normalisierung ab?
Wir sind über zwei Jahre in die Situation hineingeraten, da werden wir nicht innerhalb von zwei Monaten wieder herauskommen. Aber eine Normalisierung sollte Schritt für Schritt bis nächstes Jahr möglich sein. Es drohen aber weiterhin Engpässe. In den vergangenen Jahren hatten wir jedes Jahr trotz des demografischen Wandels stets einige Hunderttausend Leute mehr im Arbeitsmarkt, wegen der zeitweise sehr starken Zuwanderung und der höheren Erwerbstätigkeit von Frauen und Älteren. Die Demografie schlägt aber immer stärker durch, es wird schwieriger, das zu kompensieren.
Was verspricht Besserung?
Ein Teil der Minijobber kann und will durchaus mehr arbeiten, da könnte man kurzfristig auf sozialversicherungspflichtige Jobs umsteuern. Auch liegt die Zahl der Langzeitarbeitslosen noch um 200.000 höher als vor der Pandemie. Mit Unterstützung der Jobcenter könnten da noch Potenziale gehoben werden. Aber klar ist: Ohne Zuwanderung werden wir bis 2030 fünf Millionen Menschen weniger im Arbeitsmarkt haben. Ein Hebel wäre, mehr Frauen mit besserer Kinderbetreuung, Pflegeangeboten und flexibleren Arbeitszeiten den Weg in Vollzeit zu ebnen.
Wie hilfreich wäre ein höheres Renteneintrittsalter?
Die Lebensarbeitszeit wird sicher steigen, aber einfach das Renteneintrittsalter anzuheben reicht nicht. Einige wollen auch mit 67 weiterarbeiten, aber viele schaffen es nicht einmal bis Anfang 60. Da braucht es Konzepte, für ältere geeignete Tätigkeiten zu finden und die Menschen dort hin zu qualifizieren, wie auch frühzeitig das Gesundheitsmanagement zu stärken. Aber selbst, wenn wir alles im Inland zusammennehmen, reicht das immer noch nicht. Zuwanderung ist deshalb ein ganz wichtiger Punkt, gebraucht wird ein Saldo von 400.000 Personen pro Jahr. Dafür müssen die Hürden, besonders bei der Voraussetzung eines anerkannten Berufsabschlusses, gesenkt werden – auch für Menschen, die von außerhalb der EU kommen. Dann sollten wir berufsbegleitend auf systematische Qualifizierung und Sprachförderung setzen.
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