Soja, Lupinen, Insekten: Fleischersatz wird immer beliebter
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Auch große Burgerketten experimentieren mit verschiedenen Fleischersatzprodukten.
© Quelle: Steve Helber/AP/dpa
Schnitzel haben nicht den besten Ruf. Über Fleisch wird gestritten – ob „Massentierhaltung“ ein Kampfbegriff ist, ob die Tierhaltung vertretbar ist, ob wir Fleisch überhaupt essen sollen. Und nun stehen auch noch Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen in der Kritik, weil es dort Corona-Ausbrüche gegeben hat. Müssen Kunden nicht nur wegen Tier-, sondern auch wegen Menschenquälerei ein schlechtes Gewissen haben?
Die Diskussion wird hitzig geführt, die Positionen gehen weit auseinander. Nur eines macht der Streit nicht: Appetit. Mal wieder wird das Lebensmittel Fleisch mit Hygienemängeln, Krankheit und Leid in Verbindung gebracht.
Beyond Meat und Co.: Markt für pflanzliche Alternativen wächst stark
Fleisch ist schwach, aber vielleicht brauchen wir es gar nicht. Welche Veränderungen die Corona-Krise auslöst, ist noch nicht klar abzusehen. Aber schon Ende 2019 konstatierte eine Studie der Uni Kassel im Auftrag des Bio-Bauerninstituts FIBL: „Der Markt für pflanzliche Lebensmittel in Deutschland wächst stark.“ Zwischen 2013 und 2018 hat sich die Zahl veganer Produktneuheiten in Deutschland verdreifacht.
Und während der Boom sich früher eher in der Bio-Nische abspielte, reicht er heute bis in die großen Burgerketten. Die Fleischersatz-Buletten von Beyond Meat und Impossible schreiben international Schlagzeilen, sie lösen Anstürme probierwilliger Käufer aus. Hier geht es nicht mehr darum, dass Weltverbesserer sich einen Bratling schönreden. Überzeugenden Ersatz aus Soja, Lupinen, Erbsenprotein oder anderen Zutaten zu kreieren, ist eine Kunst. Vorreiter wie der „Vegetarische Metzger“ aus Holland stellen seit Jahren Ersatzfleisch her, dass auch professionelle Köche nicht sicher vom Original unterscheiden können.
Große Fleischanbieter wie Wiesenhof und Rügenwalder haben inzwischen Ersatzprodukte mit Pflanzenproteinen im Sortiment. Auch Nestlé ist in diesem Markt unterwegs und präsentierte letztes Jahr auf der Grünen Woche eine Currywurst, der man die Fleischfreiheit kaum noch anschmeckt. Der Konzern bestätigt auf Nachfrage, dass „Fleischersatzprodukte und Veggie-Produkte auf Gemüsebasis seit den vergangenen Jahren ein starkes Wachstum“ erleben. Nestlé verkauft eine „Incredible Bratwurst“ ohne Fleisch, betont aber, dass Verbraucher die Zutaten der Ersatzprodukte kennen würden – „zum Beispiel Soja, Rote Beete, Gemüsesäfte, Paprika sowie Raps- und Kokosnussöl.“ Und am Ende hat die Wurst „im Vergleich zu einer Schweinebratwurst 50 Prozent weniger Fett“.
Viele Produkte mit Zusatzstoffen und Aromen
Der Hinweis auf den möglichen Gesundheitsnutzen ist ein Knackpunkt in der Wurstdiskussion. Denn die Gründe für Fleischverzicht fallen vielseitig aus. Geht es den Kunden um das Tierwohl, geht es um Nachhaltigkeit, um Nährwerte, um Gesundheit?
Die Antwort auf die Frage ist sehr persönlich – und so gibt es auch sehr verschiedene Produkte. Dass die Menschen in Deutschland durchschnittlich viel mehr Fleisch essen, als gesund wäre, ist unbestritten. Dass viele Kunden angesichts veganer Burgerpattys Misstrauen schöpfen, ist aber auch verständlich. Denn oft ist nicht so einfach zu verstehen, woraus die Pattys genau gemacht werden. Die Albert-Schweitzer-Stiftung untersuchte Anfang 2017 Fleischalternativen im Handel und fand eine Fülle an Zusatzstoffen und Aromen, allein schon Hefeextrakt bei der Hälfte der Produkte. Sie empfahlen Fleischersatz aus dem Bio-Sortiment; der besitze weniger Zusatzstoffe.
Wieviel Salz steckt drin?
Wer zumindest keinen ungesunden Fleischersatz essen will, dem empfiehlt Astrid Donalies, Ernährungsexpertin bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, einen „Blick auf die Zutatenlisten und die Nährwertangaben“. Große Unterschiede gebe es „im Fettgehalt und bei gesättigten Fettsäuren sowie beim Salz- und Zuckergehalt“; gerade der Salzgehalt sei oft sehr hoch. Ob das Veggie-Schnitzel gesünder als ein echtes Schweineschnitzel sei, das entscheide sich daran, „wie stark ein Lebensmittel verarbeitet ist und welche Zutaten verwendet wurden.“ Übertreiben müssen die Verbraucher ihre gesunde Skepsis aber nicht. Vor allem, wenn die Ersatzprodukte auch wirklich als Ersatz für Fleisch und Wurst gegessen werden, dann haben viele im Vergleich „einen gesundheitlichen Nutzen“, so Donalies.
Insekten statt Rindfleisch
Eine scheinbar exotische Alternative zum Schweineschnitzel steht bei über zwei Milliarden Menschen weltweit längst auf dem Speiseplan: Insekten. Marc Schotter, Gründer des Berliner Startups „Insnack", sieht in den Krabbeltieren „gesündere und nachhaltigere Lebensmittel“.
Schotter will seinen Kunden das Schnitzel nicht abgewöhnen: Er ist bekennender Flexitarier - isst also auch mal Fleisch -, aber auch ein Weltverbesserer. Er will mit seinem Unternehmen einen „Aufklärungsauftrag“ erfüllen und Menschen die kulturell angelernte Scheu vor Grillen und Würmern nehmen. Den meisten Produkten von „Insnack" sieht man die Zutat deswegen gar nicht an. Als Mehl landen die Grillen in Energieriegeln oder Knabbereien – eine Crowdfunding-Kampagne für neue „Powerpops“ läuft am 2. Juni auf der Plattform Startnext an. Schotter pocht auf den Umweltnutzen: Im Vergleich zu Tieren und besonders zu Rindern haben Grillen eine hervorragende CO2-Bilanz, außerdem ist die Haltung auf engstem Raum hier endlich einmal artgerecht. Seine Pops seien zumindest nicht so ungesund wie Erdnussflips, sie hätten „weniger Fett und Zucker“, erklärt Schotter.
Insekten enthalten mehr Energie, Natrium und gesättigte Fette
Die Insektenflips sehen normal aus, sie schmecken auch normal. Die Nussriegel schmecken nach Nüssen. Wie gesund oder ungesund Insekten sind, das lässt sich nur an einzelnen Produkten und im Vergleich seriös sagen. Astrid Donalies von der DGE ordnet ein: „Insekten sind in ihrer Nährstoffzusammensetzung sehr unterschiedlich.“ Käfer hätten mehr gesättigte Fettsäuren, Grillen dagegen viele mehrfach ungesättigte. Der Vitamin- und Mineralstoffgehalt würde auch durch das Futter beeinflusst. Einen wesentlichen Beitrag zum Nährstoffmix leisten sie eher in Ländern, die mit Unterernährung kämpfen. „Viele Insektenarten enthalten im Vergleich zum Fleisch von Rind, Schwein und Huhn mehr Energie, Natrium und gesättigte Fettsäuren.“, so Donalies.
Wer Proteinquellen sucht, aber weder Fleisch, noch Ersatz, noch Insekten mag, der hat immer noch reichlich Optionen: „Getreide, Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Nüsse und Sojaprodukte“ zählt Donalies auf. Die Frage nach einer gesunden Ernährung entscheidet sich nicht einfach an Fleisch oder Fleischersatz. Den über ieben Millionen Veganern und Vegetariern in Deutschland geht es nicht zwangsläufig besser oder schlechter. Sie haben vor allem moralische Argumente auf ihrer Seite. Die Frage, was aus welchem Grund auf dem Teller landet, bleibt Ermessenssache.