Sparkassenpräsident: „Die Situation am Wohnungsmarkt birgt sozialen Sprengstoff“
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Helmut Schleweis ist seit 2018 Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands.
© Quelle: Axel Heimken/dpa
Nach mehrjähriger Corona-Pause treffen sich in dieser Woche die Größen der öffentlich-rechtlichen Geldhäuser zum Sparkassentag in Hannover. Für den Präsidenten des Sparkassen- und Giroverbands, Helmut Schleweis, ist es auch eine Abschiedsvorstellung – zum Jahresende wird er abtreten. Amtsmüde wirkt der 68-Jährige beim RND-Interview in der Berliner DSGV-Zentrale allerdings nicht.
Sie haben schon vor Jahren die Zinswende gefordert, Herr Schleweis. Jetzt ist sie da – alles gut also?
Es ist für Kunden und die Kreditwirtschaft eine gute Nachricht, dass das gewohnte Geschäftsmodell und die entsprechenden Anlagemöglichkeiten zurückkommen. Wir hätten uns das schon früher gewünscht, denn Minuszinsen sind auf Dauer nicht gesund. Die hohe Inflation und der schnelle Zinsanstieg setzen die gesamte Volkswirtschaft derzeit unter Stress. Das wird uns noch eine Weile beschäftigen. Aber der Kurs der EZB ist richtig, wir begrüßen die Zinswende.
Sie hat Banken in den USA und der Schweiz in Schwierigkeiten gebracht, weil Kunden massenhaft Geld abzogen. Haben Sie da auch um Sparkassen gefürchtet?
Für ernsthafte Sorgen gab es keinen Grund. Der europäische und insbesondere der deutsche Bankenmarkt sind heute viel stabiler und robuster, als noch vor zehn bis 15 Jahren. Im Gegensatz zu den USA, wo die Regulierung für etliche Banken in den vergangenen Jahren wieder gelockert wurde und wichtige internationale Kapitalmarktregeln nicht gelten. Die aktuell 357 deutschen Sparkassen erfüllen die Liquiditätsanforderungen der Aufsicht zu mehr als 168 Prozent – bei hoher Kernkapital- und niedriger Verschuldungsquote. Natürlich gibt es eine gewisse Spreizung in der Gruppe, aber die Institute stehen stabil im Markt.
Wie sollten die nächsten Schritte der EZB aussehen? Es wird ja schon über eine Zinspause diskutiert.
Wir haben Verständnis dafür, dass die EZB zuletzt etwas Tempo aus dem Zinserhöhungskurs genommen hat. In einigen Branchen sind die Belastungen durch die Zinssteigerungen nicht zu übersehen. Trotzdem muss die Inflation gesenkt werden, um der Wirtschaft wichtige Impulse zu geben und uns allen wieder mehr finanzielle Spielräume zu verschaffen. Ich bin sicher, dass wir noch einige Zinsschritte sehen werden, bevor – vielleicht gegen Ende kommenden Jahres – die Inflation wieder auf etwa 2 bis 2,5 Prozent gesunken ist.
Die für Geldinstitute angenehme Seite der Zinswende sind höhere Erträge. Verdienen die Sparkassen jetzt ordentlich Geld?
Sparkassen nehmen die Einlagen ihrer Kunden an und vergeben Kredite. Dabei spielt der Zinsertrag eine wichtige Rolle. Dieses Geschäftsmodell kommt langsam zurück. Die schnelle Zinswende belastet die Sparkassen aber auch. Die Institute mussten im vergangenen Jahr auf ihre Eigenanlagen zumindest temporäre Abschreibungen vornehmen. Das macht niemandem Spaß, aber die Erträge kommen in den kommenden Jahren Stück für Stück wieder zurück – ich sehe eine Tendenz zur Normalisierung!
Immerhin gäbe es Spielraum, um auf Guthaben höhere Zinsen zu zahlen. Andere tun das, warum kommen die Sparkassen nicht in die Gänge?
Auch bei den Sparkassen kommt der Zins zurück. Für Festgelder gibt es – je nach Laufzeit – schon wieder zwei Prozent und mehr. Viele Kunden haben sich in den vergangenen Jahren aber noch günstige Zinsen gesichert und langfristig laufende Kredite vereinbart. Hier braucht es dann einfach noch ein bisschen Zeit, bis dann auch auf der Einlagenseite, insbesondere beim Tagesgeld, wieder höhere Zinsen gezahlt werden können. Gerade die Sparkassen haben auch sehr lange gewartet, bis sie Verwahrentgelte bei den Kundinnen und Kunden eingeführt haben.
Vielleicht hat es der Marktführer auch einfach nicht nötig?
Der Markt in Deutschland ist hart umkämpft. Aber wenn Sie sich das anschauen, werden Sie sehen, dass zurzeit nur wenige Anbieter, meistens Direktbanken, auf das Tagesgeld höhere Zinsen zahlen. Und wenn, dann sind diese Angebote immer mit Bedingungen verknüpft und gelten nur für Neukunden oder nur wenige Monate lang. Der Markt ist da insgesamt noch abwartend. Mit klassischen Sparprodukten können sie im Augenblick die Inflation aber sowieso nicht ausgleichen – der Realzins bleibt negativ. Deswegen empfehlen wir Wertpapiersparen mit Aktien oder Fonds.
Alles zusammen hat zur Folge, dass sich eine Familie mit zwei durchschnittlichen Gehältern praktisch kein Wohneigentum mehr leisten kann – das ist nicht akzeptabel.
Helmut Schleweis
DSGV-Präsident
Auf der anderen Seite werden Kredite immer teurer, das Hypothekengeschäft der Sparkassen ist eingebrochen. Wer kann sich noch eine Hausfinanzierung leisten?
Für die Menschen ist im Augenblick neben der Inflation vor allem die Frage bezahlbaren Wohnraums wichtig. Es sind ja nicht allein die Kreditzinsen. Sie sind zwar stark gestiegen, aber im langfristigen Vergleich sind 4 Prozent für einen Baukredit immer noch moderat. Hinzu kommen hohe Baupreise, die Planungskosten mit Gebühren und die Grunderwerbsteuer, die das vorhandene Eigenkapital aufzehren. Alles zusammen hat zur Folge, dass sich eine Familie mit zwei durchschnittlichen Gehältern praktisch kein Wohneigentum mehr leisten kann – das ist nicht akzeptabel. Wir schlagen vor, zumindest die Grunderwerbsteuer auf selbstgenutztes Wohneigentum abzuschaffen. Das würde die Belastung gleich zu Beginn senken und wäre einfach umzusetzen.
Am Immobilienmarkt gab es schon immer Wellen. Ist das nicht einfach ein Schweinezyklus?
Die Situation am Wohnungsmarkt birgt sozialen Sprengstoff. Es fehlen Hunderttausende Wohnungen und es entstehen viel zu wenig neue, um das Problem in absehbarer Zeit zu lösen. Große Projektentwickler rechnen vor, dass sie zum aktuellen Mietniveau keine neuen Wohnungen bauen können – auch, weil Bauvorschriften die Kosten hochtreiben. Der Druck auf dem Mietmarkt bleibt sowieso. Es bleibt dabei: Wir müssen mehr Wohnraum schaffen. Dazu müssen auch auf allen Ebenen die Bauvorschriften entrümpelt werden.
Noch ein Thema, das die Gemüter erregt: Automatensprengungen. Man hat das Gefühl, das Problem sei außer Kontrolle.
Das Problem hat sich in den vergangenen Monaten extrem verschärft. Es vergeht fast kein Tag mehr ohne eine Sprengung, die Täter gehen mit äußerster Brutalität vor. Die Sparkassen haben mit rund 22.000 Geldautomaten das dichteste Netz in Deutschland. Uns ist wichtig, die Menschen gerade auch in Flächenländern überall mit Bargeld zu versorgen. Dafür haben wir in den vergangenen Jahren auch viel in die Sicherheit der Automaten investiert und sie entsprechend aufgerüstet. Gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden muss es gelingen, den Kreislauf aus immer schärferen Sicherungsmaßnahmen und immer brutalerem Vorgehen der Täter zu brechen.
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Gesprengte Gelautomaten sind inzwischen zum Massenphänomen geworden.
© Quelle: picture alliance/dpa
Aktuell wird über Verklebung diskutiert – Scheine aus einem gesprengten Automaten wären nicht mehr nutzbar.
Diese Technik ist eine von vielen und wir werden sie dort, wo es sinnvoll ist, natürlich auch einsetzen. Derzeit ist die Klebetechnik noch nicht zertifiziert und zugelassen. Es sind unter anderem noch Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie Haftungsfragen offen. Die müssen erst beantwortet werden. Bei allem, was wir tun, muss der Schutz der Kundinnen und Kunden, der Mitarbeiter und auch der Menschen, die in der Nähe eines Automaten wohnen, im Vordergrund stehen. Und man darf nicht glauben, dass die Klebetechnik alle Probleme löst. Es ist ja nicht auszuschließen, dass die Täter mit noch aggressiveren Methoden reagieren in der Hoffnung, dass nicht alle Banknoten verklebt wurden.
Wird es bald weniger Automaten geben?
Immer mehr Bezahlvorgänge werden heutzutage bargeldlos abgewickelt. Auch wenn Deutschland immer noch ein Bargeldland ist, nimmt die Bedeutung von Scheinen und Münzen ab. Das heißt, wir werden in Deutschland – übrigens so, wie in anderen europäischen Ländern auch – künftig weniger Geldautomaten benötigen. Die Entscheidung, wie die Versorgung mit Bargeld ausgestaltet wird, trifft jede Sparkasse sehr verantwortungsvoll selbst. Noch einmal: Wir wollen die Menschen überall in Deutschland mit Bargeld versorgen. Wir werden das Problem aber nur gemeinsam mit der Politik und den Sicherheitsbehörden lösen können.
Unabhängig davon ist die Zahl der Filialen ohnehin schon geschrumpft. Wird das weitergehen?
Dort wo die Menschen eine Filiale nicht mehr brauchen, wird sie auf Dauer nicht bestehen bleiben können. Es gibt keine Vorgabe oder Zielgröße – unsere Kundinnen und Kunden entscheiden darüber, auf welchem Weg sie mit uns in Kontakt treten möchten. Ich bin ein großer Fan der Filiale. Ich nehme aber auch wahr, dass die Menschen heute mit dem Handy zahlen und Bankgeschäfte online erledigen. Unsere App ist eine der erfolgreichsten in Deutschland, unsere digitalen Services sind extrem beliebt. Sparkassen stehen für die Nähe zu ihren Kundinnen und Kunden. Und die kommen heutzutage vor allem in die Filiale, wenn es um komplexe Beratungsbedarfe geht, eine Baufinanzierung oder eine Wertpapierberatung. Diesen Bedarf beobachten wir und richten uns danach – die Kundinnen und Kunden entscheiden.
Beim bevorstehenden Sparkassentag sind eine Menge politische Größen zu Gast, vom Kanzler bis zur EZB-Präsidentin. Welche Themen und Botschaften sind Ihnen besonders wichtig?
Uns ist wichtig, eine gemeinsame Sicht auf die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bekommen. Wir müssen soziale Teilhabe sichern und Wege finden, unseren Wohlstand zu bewahren. Das alles vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels. Das sind gewaltige Aufgaben, bei deren Lösung die Sparkassen wichtige Aufgaben haben. Wir helfen den Menschen und Unternehmen dabei, die Energiewende zu finanzieren und in ihre Zukunft zu investieren. Wir stabilisieren Wirtschaftskreisläufe in allen Regionen Deutschlands. Die Bedeutung der Beratung in unseren Häusern wird für alle Bevölkerungsteile in den kommenden Jahren enorm zunehmen. Dieser Aufgaben, die da auf die Sparkassen-Finanzgruppe zukommen, müssen wir uns noch stärker bewusst werden.