„Systemrelevant für die ganze Welt“: Wieso die Industrie eine Eskalation im Taiwan-Konflikt fürchtet
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Zwei Soldaten senken die Nationalflagge während der täglichen Flaggenzeremonie auf dem Freiheitsplatz der Chiang Kai-shek Memorial Hall.
© Quelle: Chiang Ying-Ying/AP/dpa
China und die USA liefern sich im Pazifik eine Machtprobe. Es geht um Taiwan, die Inselrepublik, über deren Status die beiden Großmächte seit Jahrzehnten streiten. Nun reist Nancy Pelosi, die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, nach Taipeh – und China reagiert mit Militärmanövern und drastischer Propaganda. Derweil werden in Deutschland Warnungen laut. Denn Taiwan liefert einen beträchtlichen Teil der Chips und Halbleiter, die hier ebenso wie weltweit verbaut werden.
Zur Bedeutung Chinas für deutsche Unternehmen muss nicht viel gesagt werden: Knapp 246 Milliarden Euro betrug das Handelsvolumen zwischen Bundes- und Volksrepublik 2021, für große Branchen wie die Automobilindustrie ist China mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohnern längst der wichtigste Absatzmarkt. Öffentlich zur amerikanisch-chinesischen Machtprobe äußern wollten sich hiesige Unternehmen und Verbände denn auch nicht.
BGA spricht von „weitreichenden Folgen“
Taiwan hingegen kommt auf nicht einmal ein Zehntel des deutsch-chinesischen Handelsvolumens, allerdings mit einem klaren Schwerpunkt: „Die größte Abhängigkeit Deutschlands dürfte im Bereich der Halbleitertechnologie liegen“, teilte der Außenhandelsverband BGA auf Anfrage mit. In Taiwan ansässige Unternehmen würden 64 Prozent des weltweiten Bedarfs abdecken. „Ein Ausfall der Lieferungen von Halbleitern aus Taiwan hätte somit weitreichende Folgen auf die vielen Industriezweige, die auf Halbleiter angewiesen sind und somit auf die gesamte Wirtschaft“, erklärte der BGA.
„Sollte die Halbleiterproduktion in Taiwan länger stillstehen, käme es innerhalb weniger Wochen zu schwerwiegenden Störungen in der weltweiten Hightechwirtschaft“, sagt auch Peter Fintl, Chipexperte bei der Unternehmensberatung Capgemini, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Das wertvollste Unternehmen Asiens sitzt in Taiwan
Fintl kennt die Branchengrößen Taiwans gut, spricht von einer „gigantischen Erfolgsgeschichte“. Die verkörpert vor allem ein Konzern: Die 1987 gegründete Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) ist mittlerweile das wertvollste Unternehmen Asiens. TSMC beliefert so ziemlich alle Techkonzerne weltweit mit Chips. Apple, Nvidia, AMD und sogar Konkurrent Intel gehören ebenso zu den Kunden wie hiesige Automobilkonzerne. „TSMC ist heute systemrelevant – und zwar für die ganze Welt“, meint Fintl.
Spezialisiert haben sich die Taiwanerinnen und Taiwaner auf die Auftragsfertigung, dabei hat TSMC laut Fintl je nach Chip einen Marktanteil von 60 bis 90 Prozent. Meist entwickelt TSMC also nicht selbst, viel mehr wird umgesetzt, was anderswo geplant wird. Dabei ist nicht zuletzt entscheidend, wie viele Transistoren auf die kleinen Chips gequetscht werden können. Und TSMC ist wirklich gut darin, die derzeit kleinstmöglichen Transistoren zu verbauen: „Bei der 7nm- beziehungsweise der 5nm-Technologie ist TSMC führend“, sagt Fintl. Lediglich Intel könnte ihm zufolge TSMC bei der nächsten Chipgeneration wieder einholen, allerdings frühestens im Jahr 2025.
Nancy Pelosi in Taiwan gelandet
Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses traf am Dienstagabend Ortszeit im Rahmen ihrer Asien-Reise am Flughafen von Taipeh ein.
© Quelle: Reuters
Die Automobilindustrie braucht Chips aus Taiwan
Insgesamt betreibt TSMC 14 Chipfabriken auf der Insel vor Chinas Küste, wichtigster Arbeitgeber ist er dort sowieso. Produziert werden einerseits die ultrakleinen Leading-Edge-Chips, andererseits aber auch Chips gröberer Bauart, die oft robuster ausfallen. In Smartphones und Computern landen die selten, wohl aber in zahlreichen Industriegütern. Dafür ließen sich womöglich alternative Lieferanten finden, „aber gerade bei in Fahrzeugen verbauten Infotainment- und Cockpitsystemen führt an sogenannten Systems on a Chip aus der Fertigung von TSMC kein Weg vorbei“, so Fintl.
Dass die EU, ebenso wie die USA, schnell von Chips aus Taiwan unabhängig werden, glaubt er ebenso wenig wie andere Fachleute. Und die Industrie in Deutschland hat schon in den vergangenen zwei Jahren leidvolle Erfahrungen mit Störungen der Chiplieferkette gemacht. Ursache waren Logistikprobleme, aber auch Ausfälle in wichtigen Werken in Taiwan und Japan.
Kapazitäten aus Taiwan nicht ersetzbar
Längst setzt deshalb auch die EU auf den Aufbau einer hiesigen Chipfertigung. Doch die entsprechenden Fabriken erfordern im Regelfall gigantische Investitionssummen, da werden schnell 10 bis 20 Milliarden Euro für ein Werk fällig. Die EU hat deshalb schon im vergangenen Jahr eine europäische Chipstrategie auf den Weg gebracht, 45 Milliarden Euro sollen in die Branche fließen. Erste Erfolge wie die geplante Intel-Ansiedlung in Magdeburg gibt es bereits, doch abgeschlossen soll das Vorhaben erst 2030 sein. „Die Halbleiterkrise war ein Weckruf“, meint denn auch Fintl. Kurzfristig seien die Kapazitäten aus Taiwan aber nicht vollständig ersetzbar.
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