Weltraumtourismus von Deutschland aus: Science-Fiction oder bald Wirklichkeit?
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So soll der geplante Weltraumbahnhof in der Nordsee einmal aussehen.
© Quelle: Harren&Partner Group/dpa
Berlin. Wohin soll die Reise in diesem Sommer gehen? Italien, Ostsee – oder vielleicht mal auf den Mond? Da fühlt man sich so schön schwerelos und kann beim Anblick der Milchstraße den Alltag vergessen. Weltraumnahrung aus Tuben ist eine willkommene Abwechslung zum Hotelbüfett, all-inclusive mit Frikadellenbrühwürfel und gefriergetrocknetem Kaffee. Na gut, die Anreise ist etwas länger, aber dafür besteht kaum Staugefahr – und die Aussicht aus dem Fenster ist auch nicht schlecht.
Was nach Science-Fiction klingt, ist heute nicht mehr ganz so utopisch wie noch zu Beginn der bemannten Raumfahrt. Die erste Allmission ohne Profi-Astronaut ist jüngst gestartet. Nach Richard Branson und Jeff Bezos verwirklichte sich damit der nächste Milliardär seinen Traum vom Fliegen. Jared Isaacman und drei weitere Passagiere umkreisen mit Elon Musks Raumfahrtunternehmen Space X mehrere Tage lang die Erde.
Doch wie sieht die Situation aus beim Welttourismus für jedermann?
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bremst Hoffnungen zunächst: „Anders als im Luftfahrtbereich, in dem der kommerzielle Markt stark ausgeprägt ist, wird die internationale Raumfahrt weitgehend bestimmt durch staatliche Raumfahrtstrategien und die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel“, heißt es auf der Website für Luft- und Raumfahrt. Die Luft- und Raumfahrtindustrie in Deutschland ist jedoch laut BMWI – obwohl eine vergleichsweise kleine industrielle Branche – von enormer strategischer Bedeutung. Deutschland ist nach Frankreich die zweitgrößte europäische Raumfahrtnation. Allein das Bundeswirtschaftsministerium fördert die Raumfahrtanwendung und -forschung mit mehr als einer Milliarde Euro pro Jahr.
Weltraumbahnhof in der Nordsee
Es klingt verlockend: eine schwimmende Startplattform in der Nordsee. Von einem Spezialschiff mit Startrampe geht es ab in die Schwerelosigkeit. Und nach dem Abstecher ins All könnte man noch ein paar Tage Strandurlaub anhängen. Tatsächlich nehmen die Pläne für einen Weltraumbahnhof in der Nordsee Gestalt an. Anfang September unterzeichneten vier europäische Raketenhersteller in Berlin Absichtserklärungen für die Zusammenarbeit mit der German Offshore Spaceport Alliance (GOSA), zu der Firmen wie das Raumfahrt- und Technologieunternehmen OHB gehören.
Ziel ist es, bereits im Jahr 2023 den ersten Start einer Minirakete aus der Nordsee zu realisieren. Es geht um Satelliten in der Größe eines Schuhkartons. Für die Zukunft gibt es jedoch keine Pläne mit Weltraumtouristen an Bord. Es handelt sich um eine Microlauncher-Startplattform, die die Nutzung von Kleinsatelliten möglich machen soll und nicht der bemannten Raumfahrt dient.
Bavaria One
Bei der Ankündigung ihrer Luft- und Raumfahrtstrategie Bavaria One zeigte sich die bayerische Staatsregierung ambitioniert. Mit einem Investitionsumfang von 700 Millionen Euro solle die Luft- und Raumfahrtindustrie in Bayern gefördert werden und in Ottobrunn Europas größte Fakultät für Luft- und Raumfahrt entstehen. So heißt es auf der Website. Doch die Informationen stammen aus dem Jahr 2018. Über den aktuellen Stand der Entwicklungen war am Donnerstag auf RND-Nachfrage nichts zu erfahren. Im Jahr 2019 berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, dass im Doppeletat für 2019 und 2020 für das Projekt lediglich 30 Millionen Euro vorgesehen seien.
Die Opposition lästerte damals: „Söderchens Mondfahrt ist abgeblasen, Bavaria One ist in der Atmosphäre der politischen Realität verglüht. Vom ambitionierten Weltraumabenteuer der CSU bleibt nichts übrig“ (FDP-Fraktionschef Martin Hagen). Immerhin hat Bavaria One schon für Aufsehen gesorgt: mit dem feschen Logo, das Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder als Weltraum-Captain im Comiclook zeigt.
Esa
Deutschland gehört zu den 22 Mitgliedsstaaten der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) und ist mit rund 3,3 Milliarden Euro vor Frankreich das beitragsstärkste Mitgliedsland. Die touristische Raumfahrt steht jedoch nicht im Fokus des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), das im Auftrag der Bundesregierung für Planung und Umsetzung der deutschen Raumfahrtaktivitäten zuständig ist und sich vor allem auf Forschungszwecke konzentriert. DLR-Missionsleiter Volker Schmid kann sich jedoch vorstellen, dass Weltraumtourismus für den Otto Normalverbraucher in etwa 50 Jahren möglich sein könnte. Dem RND sagte er: „Die Weltraumfahrten der Milliardäre aus den USA und aus Japan geben wichtige Impulse. Wenn die Entwicklung so rasant weitergeht, bin ich einigermaßen optimistisch.“ Schmid zieht den Vergleich zur Luftfahrt. „In den 1920er-Jahren war das Fliegen einer zahlungskräftigen Klientel vorbehalten. Dann hat es aber gar nicht so lange gedauert, bis auch Normalverdiener die Urlaubsreise mit dem Flugzeug antreten konnten.“
Bei der Raumfahrt gäbe es natürlich besondere technologische Herausforderungen, die einige Größenordnungen über jenen der Luftfahrt lägen, wie lebenserhaltende Systeme an Bord, kostengünstiger Transport und Thermalschutz. Für die Realisierung müsste es Schmid zufolge einen Technologiesprung geben, der insbesondere auch die negativen Folgen für die Umwelt ausschließt. In Europa sei man eigentlich gut aufgestellt: Es gäbe Sponsoren und auch Industrien für die Fertigung von Raumfahrzeugen. „Was die USA aber von Europa unterscheidet, ist die Bereitschaft, größere Risiken einzugehen.“ Schmid fände es gut, wenn immer mehr Menschen ins All flögen. „Das liefert eine andere Perspektive auf unseren Planeten Erde. Von dort oben sieht man keine Grenzen. Aber dafür die Notwendigkeit, unser Raumschiff Erde zu bewahren.“
Zwar lässt sich auch in Deutschland eine zunehmende Kommerzialisierung der Raumfahrt beobachten. New Space heißt diese Neuerkundung des Weltraums unter wirtschaftlichen Aspekten. Doch der Traum vom Kurztrip in den Kosmos bleibt vorerst Science-Fiction.