Antarktis im Klimawandel

„Der Kipppunkt könnte überschritten sein“

Ein Riss auf 45 Kilometer Länge: Der gigantische Thwaites-Gletscher in der Westantarktis (hier eine undatierte Aufnahme aus der Luft) droht vollständig abzuschmelzen. Schuld ist der menschengemachte Klimawandel.

Ein Riss auf 45 Kilometer Länge: Der gigantische Thwaites-Gletscher in der Westantarktis (hier eine undatierte Aufnahme aus der Luft) droht vollständig abzuschmelzen. Schuld ist der menschengemachte Klimawandel.

Bremerhaven. Herr Eisen, in der Antarktis und Arktis war es zuletzt unge­wöhnlich warm. An der Messstation Dome Concordia in der Ostantarktis stiegen die Temperaturen rund 40 Grad höher, als sie es im März normaler­weise sind. Wie ist es zu diesen außer­gewöhnlichen Wetter­bedingungen gekommen?

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Ursache dieser Hitzeanomalien ist eine besondere Wetterlage, die zu einem sogenannten atmosphärischen Fluss geführt hat. Weltweit sind diese feucht-warmen Luft­strömungen häufig für Über­schwemmungen verantwortlich. Fakt ist, dass solche Temperaturen bisher an keiner Station auf dem Antarktis­plateau beobachtet wurden. Das aktuelle Ereignis hat nach ersten Abschätzungen eine Auftritts­wahr­scheinlichkeit von einmal pro 190 Jahren, ist also in etwa vergleichbar mit dem Stark­nieder­schlags­ereignis im vergangenen Jahr in Deutschland.

Gleichzeitig hat sich die Temperatur an der Kohnen-Station des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) seit Beginn unserer Aufzeichnungen im Jahr 2000 um 1,15 Grad Celsius pro zehn Jahre erwärmt. Die Klima­erhitzung ist eindeutig auch in der Festland-Antarktis, nicht nur auf der Antarktischen Halbinsel angekommen, auch wenn sie sich noch nicht in allen Gebieten gleichermaßen stark auswirkt. Die derzeitige Hitzewelle an der Forschungs­station Dome Concordia ist – wie die Wissenschaft so gerne sagt – ein Einzelereignis, aber sie passt ins Bild und ist durch den Klimawandel wahrscheinlicher geworden.

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Warum sind die Polar­regionen so bedeutend fürs Weltklima?

Die schneebedeckten weißen Flächen der Polarregionen strahlen viel Sonnen­energie ins Weltall zurück, was dazu beigetragen hat, dass die Energiebilanz auf der Erde in den letzten Zehntausenden Jahren stabil geblieben ist. Ein weiterer Aspekt ist, dass die Polarregionen sehr viel Eis speichern und damit auch den Meeres­spiegel auf dem Niveau halten, wie wir ihn heute haben.

Der menschen­gemachte Klimawandel, bedingt durch Treib­haus­gas­emissionen, verändert dieses Gleichgewicht. Wie wirkt sich die Erderwärmung dort aus?

Die größten Auswirkungen sehen wir derzeit in der Arktis, wo die Erwärmung um einen Faktor zwei bis drei größer ist als im übrigen Bereich der Erde. Das setzt Rück­kopplungs­effekte in Gang: Wenn sich das helle Meereis zurückzieht, kommen zwischen den Schollen immer mehr dunkle Wasser­flächen zu Tage. Das offene Wasser absorbiert circa 90 Prozent der Sonnen­strahlung und erwärmt sich. Durch das erwärmte Wasser schmilzt mehr Meereis, sodass die Eisfläche weiter zurückgeht.

Die Antarktis hingegen ist ein Kontinent, bedeckt von einem großen, mehrere Kilometer dicken Eisschild. Sie wird umgeben von einem Ozean, der sie ein bisschen abschirmt von dem, was im Rest der Welt passiert. Aber auch in der Antarktis sehen wir schon Auswirkungen, die auf die Erwärmung des Klimas zurückzuführen sind. Schon heute tragen abbrechende und ‑schmelzende Gletscher­massen mehr zum Meeres­spiegel­anstieg etwa in der Deutschen Bucht bei als Eis, das von Grönland aus ins Meer geht.

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Einer dieser Gletscher, der der Wissen­schaft große Sorgen bereitet, ist der Thwaites in der West­ant­arktis. Er wurde auch schon als „Welt­unter­gangs­gletscher“ bezeichnet. Forscher wollen Risse auf 45 Kilometern Länge entdeckt haben, wo das Eis auf das Meerwasser trifft. Was genau passiert dort gerade?

In der Westantarktis liegt der Eisschild zwar auf dem Untergrund auf, die Grenze zwischen Eis und Untergrund verläuft aber unter dem Meeresspiegel. Wenn sich der Gletscher zurückzieht, gelangt sehr viel Wasser vom Eisschild in den Ozean, was global dazu führt, dass der Meeresspiegel ansteigen wird. Die Befürchtung ist, dass auch hier ein Prozess in Gang gesetzt wurde, der sich nicht mehr aufhalten lässt.

So brechen Gletscher ab: Die Infografik zeigt einen Vergleich der Meereisbildung und Strömungsverhältnisse vor und unter dem Filchner-Ronne-Schelfeis heute und in der Zukunft.

So brechen Gletscher ab: Die Infografik zeigt einen Vergleich der Meereisbildung und Strömungsverhältnisse vor und unter dem Filchner-Ronne-Schelfeis heute und in der Zukunft.

Im Gegenteil, wenn dieser Prozess der marinen Eis­schild­instabilität einmal angefangen hat, wird er sich aufgrund der besonderen Bedingungen in der Westantarktis noch verstärken. Der Thwaites-Gletscher verliert seit etwa zwanzig Jahren Masse. Das betrifft aber auch andere Gletscher wie Pine Island oder das Getz-Schelfeis. Die ganze Region in der Amundsen-Bucht ist sehr empfindlich für Störungen durch wärmeres Ozeanwasser.

Ist dieser Kipp­punkt im west­antarktischen Eisschild denn schon überschritten?

Wahrscheinlich ist das der Fall. Daher steht der Thwaites-Gletscher so im Mittelpunkt der Forschung: Wir müssen herausfinden, ob wir diesen Prozess schon angestoßen haben. Dann müssen wir uns drauf einstellen – oder ob das erst in den nächsten Jahrzehnten kommen wird.

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An seinem Arbeitsort: der Polarforscher Olaf Eisen.

An seinem Arbeitsort: der Polarforscher Olaf Eisen.

Um wie viel könnte der Meeresspiegel dadurch weiter steigen?

Derzeit steigt der Meeresspiegel allein durch die Westantarktis um einen halben Millimeter pro Jahr an. Das ist erstmal eine kleine Zahl, aber über zehn oder 100 Jahre kommt da einiges zusammen. Global rechnen wir mit einem Meeres­spiegel­anstieg von einem halben Meter bis 80 Zentimetern bis 2100. Das sind aber konservative Prognosen, gemessen an den zu erwartenden Treib­haus­gas­emissionen. Wenn man auch noch die oben beschriebene marine Eis­schild­instabilität berücksichtigt, kann es durchaus sein, dass wir mit wesentlich mehr als einem Meter, durchaus mit 1,5 Metern rechnen müssen.

Welche Folgen hätte das?

Das hätte enorme Auswirkungen, gerade in Nord­deutsch­land, zum Beispiel auf Bremen und Bremerhaven, wo ich wohne und arbeite. Die Frage, wie man sich an diese Entwicklung anpasst, spielt eine sehr große Rolle: Müssen wir die Deiche innerhalb von zehn Jahren um einen halben Meter erhöhen, oder haben wir dafür 30 oder 100 Jahre Zeit?

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Könnte man den Gletscher mit technischen Methoden noch retten?

Es gibt verschiedene Überlegungen, Wasser von unten auf das antarktische Eisschild zu pumpen oder eine Barriere vor dem Gletscher zu errichten, damit warmes Wasser nicht mehr an den Gletscher drankommt. Aber die Antwort geht in den Bereich der Spekulation. Wir reden hier über ein riesiges Gebiet, der Thwaites allein ist halb so groß wie Deutschland. Da kann man nicht mal eben eine Mauer bauen, die zehn Meter hoch ist wie ein Deich: Sie müsste mehrere Hundert Meter hoch sein. Eigentlich ist das technisch nicht durchführbar.

Die einfachste Methode, das Abschmelzen zu verhindern, und die billigste zugleich, ist, unsere Treib­haus­gas­emissionen zu reduzieren. Das sagt die Wissenschaft schon seit 30 Jahren, nur wurde wenig drauf reagiert.

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Hat sich Ihre Arbeit als Polar­forscher am Südpol dadurch verändert?

Durch viele Jahre Arbeit in der Region habe ich einen anderen Blick darauf bekommen, nicht wie lebensfeindlich, sondern wie empfindlich sie eigentlich ist. In der Neumayer-Station gibt es eine große Kaiser­pinguin­kolonie. Kleine Umwelt­veränderungen, die man bei einem oder zwei Besuchen vielleicht gar nicht wahrnimmt, können sich zum Beispiel in der Sterblichkeit der Küken zeigen. Der Mensch ist in der Gegend unterwegs, um Krill zu fangen, und steht in direkter Konkurrenz mit einer Spezies, die es ohnehin schon sehr hart hat. Gleichzeitig werden Pinguine von den Menschen als niedliche Wesen gesehen. Das passt dann nicht ganz zusammen.

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Sie rufen vor der Kulisse der Pinguin­kolonie im ewigen Eis dazu auf, beim Kampf gegen den Klimawandel auf die Wissen­schaft zu hören. Wie fühlen Sie sich als Forscher angesichts Ihrer Erkenntnisse?

Ich mache mir wirklich Sorgen, sage aber auch, wir können noch handeln. Man muss nur handeln, und das geht natürlich die Politik an, wie auch die Gesellschaft, die von der Politik repräsentiert wird.

Wenn man schon in seinem eigenen Arbeitsleben erlebt, wie sich die Situation verändert, macht man sich Gedanken: Wo werden wir in 50 Jahren sein? Und was bedeutet das für meine Kinder, und deren Kinder? Bei vielen Wissen­schaftlern bringt das das Bedürfnis zutage, die Öffentlichkeit so gut und fundiert zu informieren, wie es geht.

Die Antarktis wird jedes Jahr von Tausenden Menschen besucht, mehr als 74.000 waren es in der Vor­pandemie­saison 2019/20. Wie stehen Sie dem Tourismus in der Region gegenüber?

Sehr kritisch. Der Tourismus hat in den vergangenen Jahren exponentiell zugenommen und ist ein großes Problem. Die Touristen lieben diese Gegend, zerstören aber langfristig das, was sie dort eigentlich sehen möchten. Jeder Flug und jeder Besuch mit dem Motorschlitten an einer Pinguinkolonie raubt den Tieren Energie, die der gesamten Kolonie langfristig fehlt. Das kann zu weniger Küken im Sommer führen.

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Flüge und Kreuzfahrten sind zwar durch Selbst­verpflichtungen reguliert, aber bei Weitem nicht so, dass man damit eine Schädigung der Ökologie vor Ort ausschließen kann. Auch hier ist ein großer Handlungs­bedarf da, zukünftig so wenig Störung wie möglich zu verursachen.

Wie Polarforschende den extremen Wetter­bedingungen standhalten und wie es sich in der deutschen Forschungsstation Neumayer III in der Antarktis lebt – das ganze Gespräch hören Sie in der aktuellen Podcastfolge „Klima und wir“. Jeden zweiten Dienstag gibt’s eine neue Episode. Folgen Sie uns gern auch auf Instagram: @klimaundwir.

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