Wieso konnten Säugetiere nach dem Asteroideneinschlag überleben – und Dinosaurier nicht?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/KEAEG7VIWJDUDJ5VL6KGK3BBTY.jpg)
So ähnlich könnte es in der Kreidezeit vor 135 bis 60 Millionen Jahren ausgesehen haben: Repenomamus-Säugetiere auf der Jagd.
© Quelle: imago/StockTrek Images
Professor Brusatte, wann tauchen die frühen Säugetiere auf und wie müssen wir sie uns vorstellen?
Das hängt von der Definition von „Säugetier“ ab. Darüber gibt es immer wieder wissenschaftliche Debatten. Die traditionelle Definition sieht darin die ersten Tiere mit einem Gelenk zwischen Zahnbein des Unterkiefers und Schuppenknochen des Oberkiefers. Diese frühen Säugetiere tauchen vor etwa 230 bis 220 Millionen Jahren auf. Tiere wie das Morganucodon sind klein und wendig und erinnern an kleine Mäuse oder Hamster. Ihr Lebensraum ist eine Welt, in der auch der Aufstieg der Dinosaurier gerade beginnt.
Klein, mausartig und im Schatten der Dinosaurier: Das passt zum gängigen Bild der frühen Säugetiere. Stimmt dieses Bild noch?
Nein, die Säugetiere waren schon zur Zeit der Dinosaurier eine sehr vielfältige Gruppe, perfekt angepasst an ihre Nische. Eins ist richtig: In den mehr als 100 Millionen Jahren, die sie zusammen mit den Dinosauriern lebten, blieben sie klein. Sie wurden nie größer als ein Dachs. Die Dinosaurier hielten sie klein, und die Säugetiere hielten die Dinosaurier groß.
Zur Person: Steve Brusatte ist Paläontologieprofessor an der Universität Edinburgh. Er ist Spezialist für die Anatomie, Genealogie und Evolution der fleischfressenden Dinosaurier wie Tyrannosaurus. Sein Buch „Aufstieg und Fall der Dinosaurier“ war ein Bestseller, für den kommenden „Jurassic World“-Film war er wissenschaftlicher Berater. Sein neues Buch „The Rise and Reign of the Mammals“ erscheint im Juni auf Englisch.
© Quelle: privat
Wie sah ihr Alltag im Schatten der Dinosaurier aus?
Säugetiere waren zur Zeit der Dinosaurier keine langweiligen B-Promis. Sie lebten überall auf der Welt und zeigten eine immense Diversität. Es gab Säugetiere, die auf dem Boden herumhuschten, und andere, die sich eingruben, auf Bäume kletterten, schwammen und sogar mit Flughäuten durch die Luft glitten. Einige ernährten sich von Insekten, andere von Samen und Pflanzen und manche aßen sogar Dinosaurierbabys zum Frühstück wie der Repenomamus, gefunden im heutigen China. Die meisten von ihnen waren vermutlich nachtaktiv, um den viel größeren Dinosauriern zu entgehen, die nicht nur Jagd auf sie machten, sondern sie auch im wahrsten Sinne des Wortes platt traten.
Das wissenschaftliche Interesse an den frühen Säugetieren ist gewachsen und damit auch das Wissen über sie. Woran liegt das?
Vor allem an neuen, ganz besonderen Fossilienfunden aus China, insbesondere aus der Provinz Liaoning im Nordosten. Jeden Monat werden dort neue Funde gemacht, meist von Bauern bei der Feldarbeit. Darunter sind auch vollständige Skelette mit erhaltenen Haaren. Diese Funde haben unsere Sicht auf die frühen Säugetiere revolutioniert.
Welche evolutionäre Entwicklung machten die Säugetiere in der Zeit durch, in der sie Seite an Seite mit den Dinosauriern lebten?
In der Trias, im Jura und in der Kreidezeit entwickelten die Säugetiere die meisten der charakteristischen und ziemlich erfolgreichen Merkmale, die sie heute zu Säugetieren machen. Mit anderen Worten: In dieser Zeit haben unsere Vorfahren den Bauplan der Säugetiere, den Körperbau der Säugetiere, entwickelt. Haare, große Gehirne, einen ausgeprägten Geruchssinn und gutes Gehör, Zähne, die in Backenzähne, Schneidezähne und Eckzähne unterteilt sind, die Fähigkeit, ihre Babys mit Milch zu füttern.
Vor 66 Millionen Jahren endete die Zeit der Dinosaurier mit einem gewaltigen Asteroideneinschlag. Wie schaffen es die Säugetiere zu überleben?
Die Säugetiere wären beinahe mit den Dinosauriern verschwunden. Wir schätzen, dass nur etwa 10 Prozent von ihnen den Einschlag überlebten. Vermutlich waren das vor allem kleine Säugetiere, die sich von ganz unterschiedlichen Dingen ernähren konnten und in der Lage waren zu graben. Diese Eigenschaften erwiesen sich als besonders nützlich, auch weil die Welt nach dem Einschlag des Asteroiden so schnell ins Chaos stürzte.
Die Säugetiere wären beinahe mit den Dinosauriern verschwunden.
Es gab Erdbeben, gewaltige Brände, Tsunamis. Die Sonne verschwand für Jahre hinter Staub und Asche, die Temperaturen fielen dramatisch. Sich in Höhlen zu verstecken und Allesfresser zu sein war da eine gute Überlebensstrategie. Wahrscheinlich hatten viele Tiere aber auch einfach Glück.
Wie schnell erholte sich die Artenvielfalt?
Ziemlich schnell. In den mehr als 100 Millionen Jahren neben den Dinosauriern wurden die Säugetiere nie größer als ein Dachs. Kaum sind die Saurier weg, entstehen innerhalb von ein paar Hunderttausend Jahren Tiere in der Größe von Schweinen. Nach nur einer Million Jahren gab es bereits Säugetiere in der Größe von Kühen. Diese für die Evolution rasante Entwicklung zeigt, wie schnell die überlebenden Säugetiere die entstandene Nische füllten und sich die Welt zu eigen machten.
Welche neuen Arten tauchen auf?
Eine besonders spannende Gruppe sind die Plazentasäugetiere. Das sind diejenigen, die wie wir lebendige, gut entwickelte Junge zur Welt bringen. Das sind also unsere Vorfahren und Verwandten, die sich nach dem Massenaussterben zu diversifizieren beginnen. Viele dieser Vorfahren sahen allerdings ziemlich merkwürdig aus und hatten wenig mit heutigen Arten gemeinsam. Sie waren eher stämmig, muskulös, besaßen kleine Gehirne. Damit hatten sie sich noch nicht vollständig an die neue Welt angepasst. Das braucht noch ein paar Millionen Jahre.
Können wir in dieser Zeit die ersten Vorfahren der Menschen ausmachen?
Die allerersten Primaten, die sogenannten Plesiadapiformes, tauchen kurz nach dem Asteroideneinschlag auf. Fossilien einer spannenden Art wurden in Montana gefunden. Sie heißt Purgatorius und taucht einige Zehntausend Jahre nach dem Ende der Dinosaurier auf. Unsere Vorfahren scheinen wie ein Phönix aus der Erde aufzusteigen.
Unsere Vorfahren, die Primaten, bekamen ihre Chance erst, als die Dinosaurier starben.
Es war unglaublich, wie schnell sich die Säugetiere diversifiziert haben. Und es zeigt: Wäre der Asteroid nicht eingeschlagen, wären die Dinosaurier nie gestorben, würden wir wahrscheinlich nicht hier sein und dieses Gespräch führen. Unsere Vorfahren, die Primaten, bekamen ihre Chance erst, als die Dinosaurier starben.
Hätten die Säuger die Dinosaurier ohne Massenaussterben verdrängt?
Dies ist eine der großen „Was wäre, wenn“-Fragen der Vorgeschichte. Aber ich denke, nein. Die Dinosaurier hatten sich über 150 Millionen Jahre lang gut entwickelt. Sie haben so vieles überlebt und ertragen: Phasen mit steigenden und fallenden Temperaturen, steigende und fallende Meeresspiegel, Vulkanausbrüche. Wenn der Asteroid nicht eingeschlagen wäre, hätten sich die Dinosaurier meiner Meinung nach weiter angepasst.
Laden Sie sich jetzt hier kostenfrei unsere neue RND-App für Android und iOS herunter